„Jetzt brauchen wir eure Solidarität“
KOMMENTAR Junge nicht im Stich lassen
Zu Beginn der Corona-Krise wurde von uns, der jungen Generation, Solidarität gefordert. Solidarität mit Älteren und Menschen mit Vorerkrankungen, um diese zu schützen. Nun wird deutlich: Unter den extremen ökonomischen Folgen leiden vor allem wir, die Jungen. Jetzt brauchen wir die Solidarität der Gesellschaft!
Seit März haben fast neun Prozent der 15- bis 24-Jährigen ihren Job verloren. Junge Menschen sind eher von der Krise betroffen, weil sie öfter in Branchen arbeiten, die besonders unter den Maßnahmen leiden, etwa Gastronomie, Tourismus oder bei Start-ups, und häufiger befristete Verträge haben.
Die Corona-Hilfspakete und Ausgleichszahlungen von Bund und Ländern summieren sich inzwischen auf 1173 Milliarden Euro, davon 200 Milliarden Euro nur an Unternehmen. Ein riesiger Schuldenberg, den die junge Generation später wieder abtragen muss.
Die Unterstützung für Studierende und Berufseinsteiger dagegen ist ein Witz. Die „Corona-Nothilfe“für Studierende besteht darin, dass der KfW-Studienkredit über 650 Euro bis einschließlich März zinsfrei ist. Spätestens ab Oktober 2022 muss zurückgezahlt werden. Vielen Dank!
Anstatt BAföG für alle Antragssteller zu öffnen, geraten Studierende unverschuldet in Not. Dass die Zinsbefreiung nur für die Auszahlungsphase, jedoch nicht für die Rückzahlungsphase gilt, macht es richtig teuer.
Auch nicht besser geht es denen, die jetzt ins Berufsleben starten. Bei rund einer halben Million Studierenden und 400000 Auszubildenden drängt sich die CoronaKrise dieses Jahr zwischen Abschlusszeugnis und Arbeitsvertrag.
Forscher wissen: Ihnen drohen dauerhaft Nachteile, weil derartige Krisen auch langfristig zu niedrigeren Einkommen und höherer Arbeitslosigkeit der betroffenen Generation führen.
Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarktund Berufsforschung (IAB) in Nürnberg befürchtet langfristige Nachteile für die jetzigen Absolventen. „Die Arbeitslosigkeit dieser Jahrgänge kann dauerhaft deutlich höher sein als die der Jahrgänge, die in guten Zeiten in den Arbeitsmarkt kommen“, sagt Weber.
Doch während die Bundesregierung durch Kurzarbeit viele Jobs rettet und mit Milliarden-Krediten Unternehmen, Selbstständige und Kommunen unterstützt, bleiben die Berufseinsteiger bisher auf der Strecke.
Hier braucht es ebenso einen Rettungsschirm. Eventuell könnte der Bund die Sozialbeiträge bei Neueinstellungen übernehmen und so Anreize für die Unternehmen schaffen. Die Übernahme der kompletten Ausbildungsvergütungen durch den Staat bis Ende des Jahres oder staatliche Boni für Unternehmen, die Auszubildende einstellen, wäre ebenso notwendig. Eine ordentliche Unterstützung für Studierende, durch die Öffnung von BAföG oder durch Studienkredite, die erst zurückgezahlt werden müssen, wenn man einen Job gefunden hat, muss ebenfalls her. Und es wäre endlich an der Zeit, über ein bedingungsloses Grundeinkommen nachzudenken.
Eine Generation, die den Corona-Schuldenberg abarbeiten muss, deren Rente nicht sicher ist und die die Folgen des Klimawandels spüren wird, darf nicht im Stich gelassen werden. Wir brauchen jetzt Solidarität mit der jungen Generation!
An der Decke baumeln Hunderte Kaffeekannen, in einer Ecke hängt ein Bild von Männern mit sehr dicken Penissen: Auf den ersten Blick hat sich im „Piccadilly“nichts verändert durch die CoronaZwangspause. Hamburgs älteste Schwulenkneipe hat den Lockdown (vorerst) überstanden. Nach wochenlanger Schließung konnte der Laden wieder unter Auflagen öffnen. Betreiber Herbert Wisnewski und sein Mann Uwe Burmester hoffen, dass das Schlimmste überwunden ist. Doch die Kultkneipe wird weiter auf die Probe gestellt: Denn jetzt müssen auch die Besucherzahlen stimmen.
Im „Piccadilly“wurde das Coronavirus schon sehr ernst genommen, bevor die Stadt Maßnahmen ergriffen hatte. „Schon vor der amtlichen Schließung haben wir auf Abstand und Mundschutz hingewiesen, doch das wurde von einigen Gästen ins Lächerliche gezogen. ,Ihr macht euch zu viele Gedanken, das ist doch nur eine harmlose Erkältungskrankheit‘, hieß es. Wir haben wirklich dafür arbeiten müssen, damit die Leute Schutzmaßnahmen einhalten“, sagt Uwe Burmester.
Als die behördliche Schließung kam, wurde Kurzarbeit angemeldet und für drei Monate Corona-Soforthilfe angefordert. „Ohne die wären wir sehr angeschlagen gewesen“, sagt Burmester. Die laufenden Kosten konnten damit abgedeckt werden, doch die Miete und die Mitarbeiterlöhne mussten aus eigener Tasche beigesteuert werden. Ohne die Soforthilfe hätte der Betrieb, der kürzlich sein 60jähriges Bestehen feierte, wohl geschlossen werden müssen.
Die Verkündung für die mögliche Wiederöffnung kam für die Betreiber überraschend. „Wir sind nicht davon ausgegangen, dass wir vor August oder September wieder öffnen können“, so Uwe Burmester. Doch Herbert Wisnewski und sein Mann sind skeptisch, dass die mögliche Wiederöffnung der Barszene die richtige Entscheidung gewesen ist – sie rechnen mit einer zweiten Infektionswelle.
Trotzdem entschlossen sie sich, das „Piccadilly“wieder zu öffnen. Zu den Auflagen gehören die Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 Metern und die regelmäßige Desinfektion von Türklinken und Co. Zudem dürfen aus zwei Haushalten maximal zehn Personen zusammensitzen und das Personal muss Mundschutz tragen – gewöhnungsbedürftig in einer Raucherkneipe, findet Uwe Burmester.
Die Einstellung der Gäste hat sich, was Schutzmasken und Abstandhalten betrifft, offenbar geändert: „Die Akzeptanz ist jetzt auf jeden Fall da. Man ist wohl doch inzwischen gewarnt, das Virus nicht auf die leichte Schulter zu nehmen“, sagt er. Der erste Abend sei sehr gut besucht gewesen, viele Stammgäste schauten wieder vorbei.
Auch tags drauf sei noch viel los gewesen, doch zum Wochenende hin ebbte der Ansturm bereits ab – die Luft
Falls das so bleibt, würde sich das Ganze zum Jahresende zur Schließung hinbewegen. Uwe Burmester
schien raus zu sein. „Falls das so bleibt, würde sich das Ganze zum Jahresende zur Schließung hinbewegen“, sagt Uwe Burmester. „Wenn das finanzielle Polster aufgebraucht ist und man Gefahr läuft, sich zu verschulden, war’s das.“
Das „Piccadilly“ist Kult: Viele Prominente wie die Schauspielerin Hilde Sicks, Sängerin Angelika Milster und Schlagerstar Costa Cordalis haben in der winzigen Kneipe an der Silbersacktwiete Abende verbracht, die Bar war für viele schwule Hamburger in den 60ern der einzige Ort, an dem sie dem Verbot der gleichgeschlechtlichen Liebe entkommen konnten.
Viel ist von der einst so bunten SchwulenkneipenLandschaft auf St. Pauli nicht mehr übrig. Auch wenn sich die Zeiten geändert haben, hat sich das „Piccadilly“über die Jahre hartnäckig gehalten. „Als reine Schwulenkneipe kann man heute eigentlich nicht mehr existent sein. Die Szene geht ja inzwischen auch in die normale Gastronomie. Wir sind wie ein Dinosaurier, der durch die Historie noch seine Berechtigung hat – aber Neubetriebe dieser Art haben sehr zu kämpfen“, sagt Uwe Burmester.
Er ist seit zehn Jahren ein Teil des „Piccadilly“, und hat ebenso wie sein Mann die Veränderungen auf dem Kiez miterlebt. Viele Clubs und Bars stehen wegen der Corona-Krise vor dem Aus – das Wegbrechen der Vielfalt hätte fatale Folgen. „Es würde weniger Publikum anziehen, wenn nur noch die ganz Großen, die ausreichend finanzielle Polster haben, übrig blieben“, sagt Burmester. „Der Mix verschiedener Genres macht Hamburgs Club- und Barszene ja aus. St. Pauli entwickelt sich eh schon zur Fressmeile – das Wegbrechen weiterer Institutionen würde den Kiez noch mehr zerstören.“