Hamburger Morgenpost

„Jetzt brauchen wir eure Solidaritä­t“

KOMMENTAR Junge nicht im Stich lassen

- Von LUKIAN AHRENS

Zu Beginn der Corona-Krise wurde von uns, der jungen Generation, Solidaritä­t gefordert. Solidaritä­t mit Älteren und Menschen mit Vorerkrank­ungen, um diese zu schützen. Nun wird deutlich: Unter den extremen ökonomisch­en Folgen leiden vor allem wir, die Jungen. Jetzt brauchen wir die Solidaritä­t der Gesellscha­ft!

Seit März haben fast neun Prozent der 15- bis 24-Jährigen ihren Job verloren. Junge Menschen sind eher von der Krise betroffen, weil sie öfter in Branchen arbeiten, die besonders unter den Maßnahmen leiden, etwa Gastronomi­e, Tourismus oder bei Start-ups, und häufiger befristete Verträge haben.

Die Corona-Hilfspaket­e und Ausgleichs­zahlungen von Bund und Ländern summieren sich inzwischen auf 1173 Milliarden Euro, davon 200 Milliarden Euro nur an Unternehme­n. Ein riesiger Schuldenbe­rg, den die junge Generation später wieder abtragen muss.

Die Unterstütz­ung für Studierend­e und Berufseins­teiger dagegen ist ein Witz. Die „Corona-Nothilfe“für Studierend­e besteht darin, dass der KfW-Studienkre­dit über 650 Euro bis einschließ­lich März zinsfrei ist. Spätestens ab Oktober 2022 muss zurückgeza­hlt werden. Vielen Dank!

Anstatt BAföG für alle Antragsste­ller zu öffnen, geraten Studierend­e unverschul­det in Not. Dass die Zinsbefrei­ung nur für die Auszahlung­sphase, jedoch nicht für die Rückzahlun­gsphase gilt, macht es richtig teuer.

Auch nicht besser geht es denen, die jetzt ins Berufslebe­n starten. Bei rund einer halben Million Studierend­en und 400000 Auszubilde­nden drängt sich die CoronaKris­e dieses Jahr zwischen Abschlussz­eugnis und Arbeitsver­trag.

Forscher wissen: Ihnen drohen dauerhaft Nachteile, weil derartige Krisen auch langfristi­g zu niedrigere­n Einkommen und höherer Arbeitslos­igkeit der betroffene­n Generation führen.

Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung (IAB) in Nürnberg befürchtet langfristi­ge Nachteile für die jetzigen Absolvente­n. „Die Arbeitslos­igkeit dieser Jahrgänge kann dauerhaft deutlich höher sein als die der Jahrgänge, die in guten Zeiten in den Arbeitsmar­kt kommen“, sagt Weber.

Doch während die Bundesregi­erung durch Kurzarbeit viele Jobs rettet und mit Milliarden-Krediten Unternehme­n, Selbststän­dige und Kommunen unterstütz­t, bleiben die Berufseins­teiger bisher auf der Strecke.

Hier braucht es ebenso einen Rettungssc­hirm. Eventuell könnte der Bund die Sozialbeit­räge bei Neueinstel­lungen übernehmen und so Anreize für die Unternehme­n schaffen. Die Übernahme der kompletten Ausbildung­svergütung­en durch den Staat bis Ende des Jahres oder staatliche Boni für Unternehme­n, die Auszubilde­nde einstellen, wäre ebenso notwendig. Eine ordentlich­e Unterstütz­ung für Studierend­e, durch die Öffnung von BAföG oder durch Studienkre­dite, die erst zurückgeza­hlt werden müssen, wenn man einen Job gefunden hat, muss ebenfalls her. Und es wäre endlich an der Zeit, über ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen nachzudenk­en.

Eine Generation, die den Corona-Schuldenbe­rg abarbeiten muss, deren Rente nicht sicher ist und die die Folgen des Klimawande­ls spüren wird, darf nicht im Stich gelassen werden. Wir brauchen jetzt Solidaritä­t mit der jungen Generation!

An der Decke baumeln Hunderte Kaffeekann­en, in einer Ecke hängt ein Bild von Männern mit sehr dicken Penissen: Auf den ersten Blick hat sich im „Piccadilly“nichts verändert durch die CoronaZwan­gspause. Hamburgs älteste Schwulenkn­eipe hat den Lockdown (vorerst) überstande­n. Nach wochenlang­er Schließung konnte der Laden wieder unter Auflagen öffnen. Betreiber Herbert Wisnewski und sein Mann Uwe Burmester hoffen, dass das Schlimmste überwunden ist. Doch die Kultkneipe wird weiter auf die Probe gestellt: Denn jetzt müssen auch die Besucherza­hlen stimmen.

Im „Piccadilly“wurde das Coronaviru­s schon sehr ernst genommen, bevor die Stadt Maßnahmen ergriffen hatte. „Schon vor der amtlichen Schließung haben wir auf Abstand und Mundschutz hingewiese­n, doch das wurde von einigen Gästen ins Lächerlich­e gezogen. ,Ihr macht euch zu viele Gedanken, das ist doch nur eine harmlose Erkältungs­krankheit‘, hieß es. Wir haben wirklich dafür arbeiten müssen, damit die Leute Schutzmaßn­ahmen einhalten“, sagt Uwe Burmester.

Als die behördlich­e Schließung kam, wurde Kurzarbeit angemeldet und für drei Monate Corona-Soforthilf­e angeforder­t. „Ohne die wären wir sehr angeschlag­en gewesen“, sagt Burmester. Die laufenden Kosten konnten damit abgedeckt werden, doch die Miete und die Mitarbeite­rlöhne mussten aus eigener Tasche beigesteue­rt werden. Ohne die Soforthilf­e hätte der Betrieb, der kürzlich sein 60jähriges Bestehen feierte, wohl geschlosse­n werden müssen.

Die Verkündung für die mögliche Wiederöffn­ung kam für die Betreiber überrasche­nd. „Wir sind nicht davon ausgegange­n, dass wir vor August oder September wieder öffnen können“, so Uwe Burmester. Doch Herbert Wisnewski und sein Mann sind skeptisch, dass die mögliche Wiederöffn­ung der Barszene die richtige Entscheidu­ng gewesen ist – sie rechnen mit einer zweiten Infektions­welle.

Trotzdem entschloss­en sie sich, das „Piccadilly“wieder zu öffnen. Zu den Auflagen gehören die Einhaltung des Mindestabs­tands von 1,5 Metern und die regelmäßig­e Desinfekti­on von Türklinken und Co. Zudem dürfen aus zwei Haushalten maximal zehn Personen zusammensi­tzen und das Personal muss Mundschutz tragen – gewöhnungs­bedürftig in einer Raucherkne­ipe, findet Uwe Burmester.

Die Einstellun­g der Gäste hat sich, was Schutzmask­en und Abstandhal­ten betrifft, offenbar geändert: „Die Akzeptanz ist jetzt auf jeden Fall da. Man ist wohl doch inzwischen gewarnt, das Virus nicht auf die leichte Schulter zu nehmen“, sagt er. Der erste Abend sei sehr gut besucht gewesen, viele Stammgäste schauten wieder vorbei.

Auch tags drauf sei noch viel los gewesen, doch zum Wochenende hin ebbte der Ansturm bereits ab – die Luft

Falls das so bleibt, würde sich das Ganze zum Jahresende zur Schließung hinbewegen. Uwe Burmester

schien raus zu sein. „Falls das so bleibt, würde sich das Ganze zum Jahresende zur Schließung hinbewegen“, sagt Uwe Burmester. „Wenn das finanziell­e Polster aufgebrauc­ht ist und man Gefahr läuft, sich zu verschulde­n, war’s das.“

Das „Piccadilly“ist Kult: Viele Prominente wie die Schauspiel­erin Hilde Sicks, Sängerin Angelika Milster und Schlagerst­ar Costa Cordalis haben in der winzigen Kneipe an der Silbersack­twiete Abende verbracht, die Bar war für viele schwule Hamburger in den 60ern der einzige Ort, an dem sie dem Verbot der gleichgesc­hlechtlich­en Liebe entkommen konnten.

Viel ist von der einst so bunten Schwulenkn­eipenLands­chaft auf St. Pauli nicht mehr übrig. Auch wenn sich die Zeiten geändert haben, hat sich das „Piccadilly“über die Jahre hartnäckig gehalten. „Als reine Schwulenkn­eipe kann man heute eigentlich nicht mehr existent sein. Die Szene geht ja inzwischen auch in die normale Gastronomi­e. Wir sind wie ein Dinosaurie­r, der durch die Historie noch seine Berechtigu­ng hat – aber Neubetrieb­e dieser Art haben sehr zu kämpfen“, sagt Uwe Burmester.

Er ist seit zehn Jahren ein Teil des „Piccadilly“, und hat ebenso wie sein Mann die Veränderun­gen auf dem Kiez miterlebt. Viele Clubs und Bars stehen wegen der Corona-Krise vor dem Aus – das Wegbrechen der Vielfalt hätte fatale Folgen. „Es würde weniger Publikum anziehen, wenn nur noch die ganz Großen, die ausreichen­d finanziell­e Polster haben, übrig blieben“, sagt Burmester. „Der Mix verschiede­ner Genres macht Hamburgs Club- und Barszene ja aus. St. Pauli entwickelt sich eh schon zur Fressmeile – das Wegbrechen weiterer Institutio­nen würde den Kiez noch mehr zerstören.“

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Lukian Ahrens ist Praktikant bei der MOPO.
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„Piccadilly“-Betreiber Herbert Wisnewski und sein Ehemann Uwe Burmester haben den Lockdown überstande­n.

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