„Systemrelevant: Das Unwort des Jahres“
Der Handelskammer-Präses über Kultur in der Krise und rot-grüne Pläne
„Wie ist die Lage?“heißt der fast tägliche Podcast der Gute Leude Fabrik und der Hamburger Morgenpost. Darin spüren wir tagesaktuellen Fragen nach – zu Wort kommen Macher, Musikerinnen, Models, Mütter und Politiker, genau wie Helfer, Schwestern, Schweißer, Freiberufler. Die Auswahl ist rein subjektiv, aber immer spannend und überraschend. In dieser Woche macht das das „Discovery Dock“möglich. Die Gespräche finden über das Telefon statt. In Folge 18 spricht PR-Profi Lars Meier mit Norbert Aust, dem Präses der Handelskammer, Gesellschafter der Schmidts Tivoli GmbH und Mit-Gründer des „Pier3“Hotels in der HafenCity.
Lars Meier: Herr Aust, Sie haben mehr Jobs als Hamburg derzeit Corona-Neu-Infizierte. Welcher nimmt Sie derzeit am meisten ein? Norbert
Schwer zu sagen. Ich bin rundum beschäftigt. Und die CoronaZeit hat uns natürlich ganz hart erwischt.
Sie beschäftigen sich mit zwei Themenfeldern, die durch Corona besonders hart betroffen sind: Kultur und Gastronomie. Wie sieht es derzeit in Ihrem Hotel aus?
Im Hotel beginnt langsam das Leben. Die bösen Geister haben wir vertrieben. Wir haben die bisher erlaubte Auslastung von 60 Prozent fast erreicht. Es ist eine gute Stimmung im Hotel.
Wie sieht es im Tivoli aus?
Dort ist die Situation noch nicht so gut. Wir könnten spielen, dürften aber nur ein Drittel der Plätze besetzen. Und auch auf der Bühne müssten Abstandsregeln eingehalten werden. Das kann man sich nicht vorstellen. Aber es wird daran gearbeitet, andere Bedingungen herzustellen, sodass möglichst bald wieder gespielt werden kann.
Als Präses der Handelskammer repräsentieren Sie rund 175 000 Hamburger Unternehmen. Wie ist dort die Lage?
Je nach Branche sind sie unterschiedlich betroffen. Am meisten hat es die Veranstaltungsbranche erwischt. Nicht nur Theater, Clubs, Gastronomie, sondern auch den Messebau. Und natürlich den
Handel. Wobei: Hier ist es differenziert. Die kleinen Bekleidungsläden etwa sind sehr gebeutelt, während die großen Lebensmittelhändler eher profitieren.
Gibt’s noch weitere Gewinner der Corona-Krise??
Klar, es gibt die DrogerieMärkte, den ganzen LifeScience-Bereich, auch die Gesundheitswirtschaft profitiert. Aber überwiegend sind die Unternehmen schwer gebeutelt. Auch der Güterverkehr leidet. Wenn es Lieferschwierigkeiten in China gibt, wirkt sich das auf die Mitarbeiter im Hafen aus. Die große Wirtschaftskrise steht uns noch bevor. Es ist wichtig, dass jetzt die Unternehmer an den Tisch kommen, bisher hatten ja die Ärzte das Sagen.
Was ist jetzt zu tun?
Man muss jetzt investieren. Kein Unternehmen, das vor der Krise gesund war, darf nach der Krise in die Insolvenz getrieben werden. Verantwortlich ist die Politik. Sie hat Theater und Hotels geschlossen. Sie muss jetzt helfen. Man muss in zukunftsfähige Unternehmen investieren. Nur dann haben wir eine Chance, da wieder herauszukommen. Wir erleben eine Krise, deren Auswirkungen noch gar nicht abzuschätzen sind.
Ein Wort, das in dieser Krise immer wieder bemüht wurde ist: systemrelevant ...
Das Wort „systemrelevant“ist ganz übel. Es ist ein Spalterwort. Wenn wir anfangen, bestimmte Bereiche, die zu unserem Leben gehören wie Kultur, Gastronomie, auszugrenzen, und sagen, darauf können wir verzichten, machen wir unser Gemeinschaftsleben kaputt. Das muss das Unwort des Jahres werden.
Stichwort rot-grüne Koalitionsverhandlungen: Die Wirtschaftsbehörde bekommt einen neuen Zuschnitt ...
Wenn man den Bereich Verkehr aus der Behörde rausnimmt, dann ist der Sektor Hafen, Schiene abgeschnitten. Aber wenn dadurch tatsächlich Synergien geschaffen, Bürokratismen abgebaut werden, wäre das zu wünschen. Insgesamt bin ich aber dafür, das eine Behörde das gesamte Wirtschaftsgeschehen umfasst. ➤ Den Podcast gibt es täglich ab 18 Uhr auf mopo.de sowie bei iTunes und Spotify.