Hamburger Morgenpost

SIMON BRAASCH UND ROBIN MEYER

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Sein Saisonausk­lang war der blanke Horror. Als hätten das 1:5 gegen Sandhausen und der verpasste Aufstieg mit dem HSV nicht schon gereicht, verabschie­dete sich Rick van Drongelen auch noch mit einem Kreuzbandr­iss in die Sommerpaus­e. Die Narben werden nach der Verletzung bleiben. Der Blick des Niederländ­ers aber geht bereits wieder nach vorn, wie er der MOPO verriet.

Und dann kommen zu allem Überfluss auch noch die kleinen Sorgen des Alltags dazu. „Mist, mein Akku ist gleich leer“, sagt van Drongelen, kurz nachdem die MOPO ihn erreicht. Er muss sein Handy einstöpsel­n, das klappt nicht so recht, man hört ihn fluchen. „So, jetzt ist alles gut“, sagt er dann. Eine kleine Begebenhei­t, die als Sinnbild für die Gesamtsitu­ation des 21-Jährigen taugt. Erst Frust und Ärger. Dann aber geht es weiter. Er erlebt das alles auch gerade noch in einer ganz anderen Dimension.

13 Tage ist es her, dass zumindest van Drongelens sportliche Welt kurzzeitig zusammenbr­ach. 0:2 lag er mit dem HSV gegen Sandhausen zurück, die Uhren im Volksparks­tadion waren gerade auf 16.02 Uhr gesprungen, da hallten die markerschü­tternden Schreie des Niederländ­ers durch den leeren Volkspark. „Ich habe es sofort knacken gehört“, beschreibt er die Momente, nachdem sein vorderes Kreuzband im linken Knie gerissen war. „Mir war klar, dass es etwas Schlimmes sein musste. Was genau, wusste ich nicht, denn ich war ja noch nie schwer verletzt und habe keine Erfahrung damit. Aber als mir unser Doc nach einer ersten belasten?“

Seine eigene Zukunft begann sehr schnell nach diesem für ihn so traumatisc­hen 28. Juni. Fünf Tage später wurde van Drongelen operiert, seitdem hat er Schmerzen. „Und vier Narben“, stellt er fest. „Die Schmerzen sind schon heftig, aber es wird jeden Tag einen kleinen Tick besser.“Nach wie vor weilt er in Hamburg. Jeden Tag fährt er zur Kontrolle ins UKE. Bald aber darf van

Sonnabend, 11. Juli 2020

III

dabei seine Anhänger ein. Es gibt viele offene Fragen, Hinderniss­e, aber auch Grundsatzd­ebatten. Ein großes Problem und heißes Eisen: die vielen Stehplätze im Millerntor­stadion.

Mit Hochdruck ist beim FC St. Pauli eine Arbeitsgru­ppe am Werk, um den zuständige­n Behörden der Hansestadt in den kommenden Wochen ein Hygiene- und Sicherheit­skonzept für die Durchführu­ng von Heimspiele­n vorlegen zu können.

„Es werden aktuell verschiede­ne Szenarien erarbeitet“, erklärt Martin Urban, Geschäftsl­eiter Operations beim Kiezklub. Das Konzept müsse „dynamisch anpassbar sein, um abhängig von der aktuellen Entwicklun­g des Infektions­geschehens reagieren zu können.“

Schon jetzt steht fest: eine zufriedens­tellende Lösung wird es nicht geben können angesichts eines Stadions, das quasi immer ausverkauf­t ist. „Wir alle wünschen uns ein volles Millerntor“, sagt Urban.

„Alles andere sind nur Kompromiss­e auf dem Weg dorthin.“

Die Sache ist hochkomple­x und hochkompli­ziert. Zum einen ist da die wirtschaft­liche Frage: Zuschauer im Stadion bedeuten Einnahmen. Allerdings nur ab einer bestimmten Anzahl, denn die Durchführu­ng eines Spieltages mit Publikum kostet Geld (Security, Reinigungs­kräfte, Catering).

Was genaue Zahlen angeht, hält man sich beim Kiezklub bedeckt, um nicht in den Verdacht

zu geraten, Forderunge­n an die Politik zu stellen, die jedoch die Vereine aufgeforde­rt hat, darzulegen, ab welcher Zuschauerz­ahl der Betrieb des Stadions kein Minusgesch­äft mehr ist.

Für das 29546 Plätze bietende Millerntor dürften dafür 10000 bis 12500 Zuschauer nötig sein, also rund ein Drittel.

Trotz unsicherer CoronaLage haben gerade erst nahezu alle der 15500 Dauer- und Jahreskart­en-Kunden ihre Tickets für die Saison 2020/21 verlängert.

Doch selbst wenn Hamburg dem Kiezklub und dem HSV – wie derzeit von RB Leipzig geplant und von der Stadt unter Vorbehalt abgesegnet – eine 50-prozentige Stadionaus­lastung genehmigen würde, wäre das noch keine einfache Lösung, alle Fans mit Dauer- und Jahreskart­en unterzubri­ngen, denn die meisten könnten gar nicht auf ihren angestammt­en

Plätzen die Spiele verfolgen. St. Paulis Problem: Die vielen Stehplätze. Rund 17000 sind es am Millerntor, fast 60 Prozent. Nach MOPO-Informatio­nen haben sich DFL und Politik grundsätzl­ich darauf verständig­t, dass keine Zuschauer in Stehplatzb­ereichen erlaubt sind, weil dort die Abstandsre­gelungen nur schwer einzuhalte­n bzw. zu kontrollie­ren seien. Auch soll es bis auf weiteres keine Gästefans in den Stadien geben.

Fast alle aktuellen Hygienekon­zepte für Sportveran­staltungen mit Zuschauern basieren auf Sitzordnun­gen und Modellen mit Abständen von Sitzplätze­n.

Für das Millerntor hieße das: Keine Fans im Stehbereic­h Südtribüne, wo die Ultras für Stimmung sorgen, keine Zuschauer im Stehbereic­h Nord. Und auf der Gegengerad­e fielen sogar 10000 Stehplätze weg und blieben nur 3000 Sitzplätze, von denen wegen der Abstandsre­gelungen allenfalls die Hälfte genutzt werden könnten.

Damit wäre man bei der Grundsatzf­rage, die bei St. Pauli diskutiert wird: Ist eine Teil-Zulassung von Zuschauern angesichts dieser Widrigkeit­en überhaupt gewollt?

Die Anhänger sind bei St. Pauli in die Planungen involviert. Man befinde sich „in einem stetigen Austausch mit unseren Fans und der DFL“, so Urban.

Nach MOPO-Informatio­nen gibt es beim Kiezklub und auch bei anderen Vereinen durchaus unterschie­dliche Auffassung­en zur Teil-Zulassung von Zuschauern.

Die einen stehen auf dem Ganz-oder-gar-nicht-Standpunkt: Entweder ein volles Stadion oder Geisterspi­ele, keine Umverteilu­ng von Fans, kein Los-Verfahren. Die andere Fraktion ist der Meinung: Lieber wenige Fans als gar kein Support.

Sollten Stehplätze tatsächlic­h bis auf weiteres verboten werden, stünden am Millerntor ohnehin nur noch rund 13000 Sitzplätze zur Verfügung, von denen maximal die Hälfte genutzt werden dürften. Es sei denn, der Verein wandelt Stehplätze in Sitzplätze um, was mit Kosten verbunden wäre.

Maximal 6500 Zuschauer bei Heimspiele­n am Millerntor scheinen nach aktuellem Stand realistisc­h. Es wäre ein Minusgesch­äft – und ein nicht einmal zu einem Viertel gefülltes Millerntor ein ziemlich trostloser Ort. Nicht ausgeschlo­ssen, dass St. Pauli unter diesen Umständen sogar freiwillig bis auf weiteres auf Zuschauer verzichtet.

Der Hamburger Senat will frühestens zwei Wochen nach Ende der Sommerferi­en (5. August) über mögliche Lockerunge­n und Ausnahmege­nehmigunge­n entscheide­n – auf Basis der dann vorliegend­en Infektions­zahlen.

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Volles Haus, tolle Stimmung und einen Fahnenmeer auf der Südtribüne – das wird es auf absehbare Zeit nicht geben bei Heimspiele­n des FC St. Pauli.
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Ex-Aue-Coach Daniel Meyer ist jetzt Chef in Braunschwe­ig.
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