Huren schlagen Alarm
Prostituierte fühlen sich ungerecht behandelt, wollen wieder arbeiten
Nach drei Monaten Lockdown stellt sich für das älteste Gewerbe der Welt die Existenzfrage. Prostituierte wollen arbeiten – in anderen europäischen Ländern ist bezahlter Sex längst wieder erlaubt
Angekettete Sexsklaven, Geigentöne und ein metallenes Kreuz bestückt mit Dildos und Dessous als symbolischer Altar: Auf der Herbertstraße in Hamburg haben am Sonnabend rund 500 Prostituierte für die Wiedereröffnung von Bordellen demonstriert. Auch mit prominenter Unterstützung.
Die Situation ist beschissen“, sagt eine Frau, die nach eigenen Worten seit zwei Jahren in der Herbertstraße als Prostituierte arbeitet. Ivonne, die schon seit zehn Jahren in einem Hamburger Domina-Studio arbeitet, will ebenfalls wieder arbeiten, darf aber nicht. Sie befürchtet ein Abdriften der Branche in Richtung Illegalität. „Ich habe eine Tochter, mir blieb zuletzt nur die CoronaHilfe. Ich kann nicht verstehen, warum wir nicht öffnen dürfen. In Domina-Studios ist Abstand halten doch möglich.“
Johanna Weber vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) sagt: „Man lässt uns nicht arbeiten, obwohl andere Geschäfte wie Friseure, Massageund Fitnessstudios, Schwimmbäder und Tätowierer bereits wieder aufhaben. Wir können nicht mehr akzeptieren, was mit uns gemacht wird“, sagen sie. Die Sexarbeiterinnen und -arbeiter hätten sehr lange viel Verständnis für den Lockdown aufgebracht, doch so langsam schwinde die Geduld.
Fakt ist: Die Huren fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Und das, obwohl die Sexarbeiterinnen nicht tatenlos waren und schon vor Wochen ein Hygienekonzept erstellt und an die Bundesregierung verschickt haben – mit Maskenpflicht, Trennwänden und Abstandsregeln.
Die Antwort: „Es dürfte auf der Hand liegen, dass Prostitution die Wirkung eines epidemiologischen Super-Spreaders hätte − sexuelle Handlungen sind in der Regel nicht mit Social Distancing vereinbar.“Unterschrieben haben das 16 Parlamentarier. Sie treten sogar dafür ein, die Prostitution ganz zu verbieten – auch nach Corona.
In Hamburg, so erfuhr die MOPO, sei derartiges nicht geplant. Doch auch hier ist die Sexarbeit wie in den meisten anderen Bundesländern noch komplett verboten. Zunächst gilt das bis Ende August, „es kann aber auch eine Verlängerung geben“, so Martin Helfrich, Sprecher der Sozialbehörde.
Aber genau das wollen die Huren mit ihrem Protest an der Herbertstraße verhindern. Johanna Weber weist darauf hin, dass in vielen Nachbarländern erotische und sexuelle Dienste längst wieder erlaubt sind. Etwa in der Schweiz. „Und es hat seitdem keine Coronafälle im Zusammenhang mit Bordell-Besuchen dort gegeben“, sagt die Frau, die seit 27 Jahren in Hamburg als Prostituierte arbeitet.
Gerade Sexarbeiterinnen seien gut mit Hygiene- und Schutzmaßnahmen vertraut.
Dennoch werde ihnen hierzulande scheinbar kein verantwortungsvoller Umgang mit Corona-Schutzmaßnahmen zugetraut, so Weber. Eine Prostituierte habe maximal vier Kunden. „Das sind ja keine Massen, die zu uns kommen.“
Einige Kolleginnen arbeiteten wegen ihrer finanziellen Notlage trotz der geschlossenen Bordelle weiter – nur eben in gemieteten Hotels, Wohnungen oder von zu Hause aus. „Das sind keine gute Arbeitsbedingungen und es findet eben ohne Hygienekonzept statt.“Weber würde es deshalb sehr begrüßen, wenn bald „vernünftige Regelungen gefunden werden könnten, damit wir das langsam wieder eröffnen können“.
Bei der Demo auf dem Kiez mit dabei: St. Paulis Grand Dame Olivia Jones. Sie könne sich den Stadtteil und Hamburg nicht ohne Sexarbeiterinnen vorstellen. „Ich kenne viele, die verzweifelt sind und jetzt von Hartz IV und Grundrenten leben. Sie haben keine Perspektive, brauchen Hilfe und Aufmerksamkeit.“
Sie beobachte eine Aufbruchsstimmung auf dem Kiez, was gut sei. „Die ersten Bars und Kneipen haben wieder aufgemacht, Gäste und Touris kommen zurück. Was fehlt, sind aber Live-Musik, Clubs und natürlich unsere Mädels“, Jones deutet auf die protestierenden Huren. „Ansonsten ist unsere Vielfalt gefährdet.“
Ich kenne viele, die verzweifelt sind und jetzt von Hartz IV leben. Sie haben keine Perspektive.