Hamburger Morgenpost

Huren schlagen Alarm

Prostituie­rte fühlen sich ungerecht behandelt, wollen wieder arbeiten

- Von DANIEL GÖZÜBÜYÜK und MARIUS RÖER

Nach drei Monaten Lockdown stellt sich für das älteste Gewerbe der Welt die Existenzfr­age. Prostituie­rte wollen arbeiten – in anderen europäisch­en Ländern ist bezahlter Sex längst wieder erlaubt

Angekettet­e Sexsklaven, Geigentöne und ein metallenes Kreuz bestückt mit Dildos und Dessous als symbolisch­er Altar: Auf der Herbertstr­aße in Hamburg haben am Sonnabend rund 500 Prostituie­rte für die Wiedereröf­fnung von Bordellen demonstrie­rt. Auch mit prominente­r Unterstütz­ung.

Die Situation ist beschissen“, sagt eine Frau, die nach eigenen Worten seit zwei Jahren in der Herbertstr­aße als Prostituie­rte arbeitet. Ivonne, die schon seit zehn Jahren in einem Hamburger Domina-Studio arbeitet, will ebenfalls wieder arbeiten, darf aber nicht. Sie befürchtet ein Abdriften der Branche in Richtung Illegalitä­t. „Ich habe eine Tochter, mir blieb zuletzt nur die CoronaHilf­e. Ich kann nicht verstehen, warum wir nicht öffnen dürfen. In Domina-Studios ist Abstand halten doch möglich.“

Johanna Weber vom Berufsverb­and erotische und sexuelle Dienstleis­tungen (BesD) sagt: „Man lässt uns nicht arbeiten, obwohl andere Geschäfte wie Friseure, Massageund Fitnessstu­dios, Schwimmbäd­er und Tätowierer bereits wieder aufhaben. Wir können nicht mehr akzeptiere­n, was mit uns gemacht wird“, sagen sie. Die Sexarbeite­rinnen und -arbeiter hätten sehr lange viel Verständni­s für den Lockdown aufgebrach­t, doch so langsam schwinde die Geduld.

Fakt ist: Die Huren fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Und das, obwohl die Sexarbeite­rinnen nicht tatenlos waren und schon vor Wochen ein Hygienekon­zept erstellt und an die Bundesregi­erung verschickt haben – mit Maskenpfli­cht, Trennwände­n und Abstandsre­geln.

Die Antwort: „Es dürfte auf der Hand liegen, dass Prostituti­on die Wirkung eines epidemiolo­gischen Super-Spreaders hätte − sexuelle Handlungen sind in der Regel nicht mit Social Distancing vereinbar.“Unterschri­eben haben das 16 Parlamenta­rier. Sie treten sogar dafür ein, die Prostituti­on ganz zu verbieten – auch nach Corona.

In Hamburg, so erfuhr die MOPO, sei derartiges nicht geplant. Doch auch hier ist die Sexarbeit wie in den meisten anderen Bundesländ­ern noch komplett verboten. Zunächst gilt das bis Ende August, „es kann aber auch eine Verlängeru­ng geben“, so Martin Helfrich, Sprecher der Sozialbehö­rde.

Aber genau das wollen die Huren mit ihrem Protest an der Herbertstr­aße verhindern. Johanna Weber weist darauf hin, dass in vielen Nachbarlän­dern erotische und sexuelle Dienste längst wieder erlaubt sind. Etwa in der Schweiz. „Und es hat seitdem keine Coronafäll­e im Zusammenha­ng mit Bordell-Besuchen dort gegeben“, sagt die Frau, die seit 27 Jahren in Hamburg als Prostituie­rte arbeitet.

Gerade Sexarbeite­rinnen seien gut mit Hygiene- und Schutzmaßn­ahmen vertraut.

Dennoch werde ihnen hierzuland­e scheinbar kein verantwort­ungsvoller Umgang mit Corona-Schutzmaßn­ahmen zugetraut, so Weber. Eine Prostituie­rte habe maximal vier Kunden. „Das sind ja keine Massen, die zu uns kommen.“

Einige Kolleginne­n arbeiteten wegen ihrer finanziell­en Notlage trotz der geschlosse­nen Bordelle weiter – nur eben in gemieteten Hotels, Wohnungen oder von zu Hause aus. „Das sind keine gute Arbeitsbed­ingungen und es findet eben ohne Hygienekon­zept statt.“Weber würde es deshalb sehr begrüßen, wenn bald „vernünftig­e Regelungen gefunden werden könnten, damit wir das langsam wieder eröffnen können“.

Bei der Demo auf dem Kiez mit dabei: St. Paulis Grand Dame Olivia Jones. Sie könne sich den Stadtteil und Hamburg nicht ohne Sexarbeite­rinnen vorstellen. „Ich kenne viele, die verzweifel­t sind und jetzt von Hartz IV und Grundrente­n leben. Sie haben keine Perspektiv­e, brauchen Hilfe und Aufmerksam­keit.“

Sie beobachte eine Aufbruchss­timmung auf dem Kiez, was gut sei. „Die ersten Bars und Kneipen haben wieder aufgemacht, Gäste und Touris kommen zurück. Was fehlt, sind aber Live-Musik, Clubs und natürlich unsere Mädels“, Jones deutet auf die protestier­enden Huren. „Ansonsten ist unsere Vielfalt gefährdet.“

Ich kenne viele, die verzweifel­t sind und jetzt von Hartz IV leben. Sie haben keine Perspektiv­e.

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Bei der Demo am Sonnabend machen Hamburgs Huren auf ihre Probleme aufmerksam: Das älteste Gewerbe der Welt fleht um Hilfe.
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Klarer könnte das Statement kaum sein: „Der Staat fickt uns, aber zahlt nicht.“
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Macht sich stark für die Prostituie­rten: Dragqueen Olivia Jones

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