Diese Polizistin liebt der (fast) ganze Kiez
Dealer, Verwirrte, bunte Vögel: Margot Pfeiffer (60) kennt sie alle. Die MOPO ging mit ihr auf Streife.
Die Durchgeknallte, die von ihrer begnadeten Stimme und dem Anwesen berichtet, auf dem sie bald für Afrikaner kochen will. Die Entrückte, die mit leerem Blick am Straßenrand steht und auf etwas zu warten scheint, das nicht passiert. Der Ausgemergelte, der vom Saufen schon vormittags seine Stimme verloren hat. Margot Pfeiffer mag die Schrillen, die Gestrandeten, die Skurrilen, die Verzweifelten und Protzenden. „St. Pauli ist ein Zuhause für Menschen, die nirgendwo anders hingehören“, sagt die Polizistin. „Ich liebe den Kiez und seine Charaktere.“Sie ist seit 37 Jahren an der Davidwache und so etwas wie die gute Seele in Uniform. Die MOPO begleitete die Beamtin auf eine ganz besondere Streife durch „ihr Dorf “.
Unerkannt über die Meile schlendern – für Margot Pfeiffer unmöglich. Die Menschen auf St. Pauli kennen sie. Als eine von vier Bürgernahen Beamten (kurz Bünabe) ist die Polizistin zuständig für die kleinen und manchmal auch großen Sorgen der Menschen. Zuhören, Ratschläge geben, manchmal auch einschreiten – das ist ihr Job. So wie an diesem Abend. Schon beim Verlassen des Polizeikommissariats 15 wird deutlich: Margot Pfeiffer kann kaum einen Schritt machen, ohne angesprochen zu werden. Noch auf der Treppe der Wache wird sie von einem Pärchen aus Hessen in Beschlag genommen. Ein Foto mit einer echten Davidwachen-Polizistin machen, das wollen viele Touristen. „Manche Kollegen haben da keine Lust drauf, aber für mich ist es in Ordnung, im Familienalbum zu landen“, sagt sie und lacht. Es ist ein lautes, ehrliches Lachen. Eines von der ansteckenden Sorte.
Wenige Minuten später auf dem Hans-AlbersPlatz sorgt der Auftritt der Polizistin für Applaus.
Fanny Funtastic, selbst ernannte „Haus-und-HofTranse“des St. Pauli-Museums und Mitglied der Olivia-Jones-Familie, steht mit einer Touri-Gruppe auf dem Platz. „Da kommt Margot Pfeiffer. Applaus für Frau Pfeiffer.“Die Truppe klatscht, ein Mann pfeift, Frauen mit bunten Regenschirmen lachen. „Konkurrenz?“, ruft die Polizistin. Sie zeigt auf die Mütze der Drag Queen. „Das ist keine Polizeimütze, sondern ’ne Kapitänsmütze. Wenn Sie genau hingeschaut hätten.“Die beiden lachen. Frau Pfeiffer genießt den kleinen Auftritt. „St. Pauli ist eine Bühne und auch ich bin ein Darsteller“, sagt die Beamtin.
St. Pauli ist ein Zuhause für Menschen, die nirgendwo anders hingehören. Margot Pfeiffer
Doch nicht jeder freut sich, wenn Margot Pfeiffer um die Ecke biegt. An der Silbersackstraße suchen mehrere Dealer das Weite, als die Frau in Uniform auftaucht. Nur einer bleibt stehen, versunken in ein Gespräch mit einer älteren Dame mit glasigem Blick. „No business, only talking, I know“, ruft Margot Pfeiffer. Während der Dealer schnell verschwindet, kommt die kleine Frau mit dem zu engen Oberteil und der LeopardenMütze auf Margot Pfeiffer zugestöckelt. Sie redet und redet. Von ihrer begnadeten Stimme und großen Karriere als Sängerin. Von ihrer üppigen Rente und dem Anwesen, das sie außerhalb Hamburgs kaufen will. „Da kümmere ich mich dann um Afrikaner und koche ihnen afrikanisches Essen. Ich habe Platz für ungefähr 40“, sagt die Frau und wippt von einem Bein aufs andere. Margot Pfeiffer hört geduldig zu, nickt ab und an und wünscht ihr noch einen schönen Tag. „Es geht auf Vollmond zu. Das merkt man auf dem Kiez immer. Dann kommen die Vollmondgestörten“, sagt sie und lacht. Kaum ist die „begnadete Sängerin“verschwunden, radelt ein schwarzhaariger Mann vorbei. „Hey, Frau Pfeiffer, haben Sie abgenommen? Sieht gut aus“, ruft er über die Straße. Mit einer Frau über ihr Gewicht sprechen – ohnehin eine schwierige Sache. Doch dann auch noch mit einer Polizistin? Ganz schön distanzlos. Aber nicht für Frau Pfeiffer. Sie freut sich. „Ja, hab’ ich. Danke schön“, sagt sie und winkt dem Mann hinterher. „Wir kennen uns hier. Ich bin so lange auf dem Kiez, dass ich teilweise sogar noch die Großeltern der Kinder kenne. Das ist wie auf dem Dorf “, sagt sie.
Für Dorf spricht auch die Größe. Das Reviergebiet der Davidwache ist mit nicht einmal einem Quadratkilometer und etwa 14 000 Einwohnern das kleinste Europas. Der Bereich, für den Margot Pfeiffer seit 2003 als Bünabe zuständig ist, umfasst den südlichen Kiez, rund um den Hans-Albers-Platz und die Hafenstraße.
An der Davidwache angefangen hat die gebürtige Hessin schon 1982 – als Praktikantin. Sie erlebte die Machtkämpfe im Milieu, die Zeiten der berüchtigten ZuhälterTruppen Nutella-Bande und GmbH. „Der schöne Klaus“und „Karate-Tommy“sind für sie nicht bloß Zuhälter-Größen aus alten Geschichten. „Als junge Praktikantin erlebte ich mehrere Schießereien. Auch die im Eros-Center, bei der Thomas Born angeschossen wurde.“Damals fielen 18 Schüsse. „SS-Klaus“Breitenreicher und „Angie“Becker starben. „KarateTommy“Born entkam mit einem Bauchstreifschuss.
Abgeschreckt hat das Margot Pfeiffer nicht. Auch nicht die Schicksale und das Elend in dem sozial schwachen Stadtteil. Ohnehin weigert sich die Beamtin, bei St. Pauli von Elend zu sprechen. „Hier stoßen die unterschiedlichsten sozialen Schichten aufeinander. Das ist kein Elend. Es ist für viele ein Zuhause, die sonst keins hätten.“So wie für die Obdachlosen, um die sich die Bürgernahen Beamten der Davidwache kümmern. Und den ausgemergelten Mann, der ihr auf ihrer Tour entgegenwankt. Schon von Weitem sieht Margot Pfeiffer den Betrunkenen, den sie seit Jahren kennt. „Oh oh, vorsichtig. Immer an der Wand lang“, ruft sie. Der Mann grinst ein zahnloses Grinsen und stolpert auf die Beamtin zu. Er lallt. Außer „Frau Pfeiffer“versteht die Beamtin nichts. Trotzdem hört sie zu und nickt. „Der letzte Korn war einer zu viel. Leg dich erst mal ’ne Runde hin“, sagt sie. Ihr Angebot, ihn nach Hause zu bringen, lehnt der Mann mit einem Kopfschütteln ab. Er weiß noch, wo er wohnt. Das ist nicht immer so. Gelegentlich muss Margot Pfeiffer auch mal einen verirrten Anwohner nach Hause begleiten. Und das kann zur Schwerstarbeit werden. Wie bei dem 1,90-Meter-Mann, den die Polizistin einmal in den zweiten Stock hieven musste.
Margot Pfeiffer nimmt sich Zeit für die Menschen. Be
Ich bin so lange auf dem Kiez, dass ich sogar noch die Großeltern der Kinder kenne. Das ist wie auf dem Dorf. Margot Pfeiffer
sonders für die, bei denen andere die Straßenseite wechseln würden. Wie die Dame mit dem pinken Shirt. Die langen, blonden Haare strähnig, der Blick glasig. Sie lacht laut vor sich hin, wippt mit dem Kopf. „Geht’s gut?“, ruft Margot Pfeiffer über die Straße und kommt auf die Frau zu. „Ich bin so glücklich. Danke, ihr habt mir so geholfen“, sagt sie und bittet, die Polizistin umarmen zu dürfen. Normalerweise wäre das kein Problem. Momentan geht es nicht. „Wir haben Corona“, sagt die Beamtin. Eine alte Bekannte? „Nein, ich kenne die Frau gar nicht, aber schön, dass sie glücklich ist.“
Das Miteinander und die gegenseitige Unterstützung – das ist es, was die Beamtin an St. Pauli liebt. Und das ist es, was die Menschen auf St. Pauli an ihr lieben. „Die Pfeiffer ist einfach nur cool. Die ist eine von denen, die hier alles zusammenhalten“, sagt eine Anwohnerin. Für viele ist die Beamtin eine von ihnen – halt nur in Uniform. „Ich bin so etwas wie eine Ratgeberin. Ich spreche Mut zu und erzähle auch mal aus meinem Leben, damit die Leute merken, dass sie nicht alleine sind.“Ein Kiez ohne die Pfeiffer? Für viele unvorstellbar. Aber bald Realität. Die Bürgernahe Beamtin geht in Pension. Nach 37 Jahren ist Ende April 2021 Schluss. Dann aber wirklich – nachdem sie noch mal ein Jahr verlängert hat. „Ich werde die Menschen hier vermissen, sehr sogar. Aber wenn ich weg bin, bin ich weg. Dann werde ich einen Schlussstrich ziehen“, sagt die sonst stets lächelnde Frau auf einmal ganz ernst. Sie räuspert sich, atmet tief durch. Die Trennung von ihrem St. Pauli wird hart – für beide.