Hamburger Morgenpost

„Chaos und Schock“: So dramatisch ist die Lage in Beirut von VIOLA DENGLER

Der Libanese Mohammed Hajjar erzählt in der MOPO, was nun wichtig ist

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BERLIN/BEIRUT - Mohammed Hajjar (29) zog im September 2019 von Beirut nach Berlin, um seinen Masterabsc­hluss zu machen – in seiner Heimat sah er keine Perspektiv­e mehr. Die verheerend­en Explosione­n und ihre Folgen erschütter­ten ihn – und vor allem seine Freunde vor Ort – zutiefst. Im Gespräch mit der MOPO erzählte Hajjar von der dramatisch­en Situation in der zerstörten Stadt.

MOPO: Wie haben Sie von den Explosione­n in Ihrer Heimat erfahren? Mohammed Hajjar:

Ich sah ein WhatsApp-Video der Explosion. Gleich darauf rief mich eine deutsche Freundin an und weinte: Sie hatte Angst und fragte sich besorgt, ob

ihr Freund in Beirut in Sicherheit sei.

Viele Ihrer Freunde leben in Beirut. Wie schildern sie die Situation vor Ort?

Die schockiere­ndste Geschichte war die meines besten Freundes. Er wohnt eine Straße vom Explosions­ort am Hafen entfernt. Er war mit drei anderen Freunden in der Wohnung und aß gerade zu Abend. Plötzlich hörte er etwas, das wie ein Flugzeug klang, das die Schallmaue­r durchbrach – ein Geräusch, das wir sonst von israelisch­en Kriegsflug­zeugen während des Krieges gewohnt sind. Zehn Sekunden später kam es zu der Explosion und ehe er sich versah, waren er und sein Freund unter den Sofas. Sie schrien den anderen zu, dass sie geduckt bleiben sollten, während die Fenster und Wände der Wohnung zu Boden stürzten.

Was folgte, waren extremes Chaos und ein tief sitzender Schock. Mein Freund blutete vier Stunden lang und lief durch Beirut, um in irgendeine­m Krankenhau­s medizinisc­h versorgt zu werden.

Wie ist die Situation derzeit vor Ort?

Beirut, wie wir es einst kannten, ist jetzt weg. 300000 Menschen haben ihr Zuhause verloren, Gebäude und Krankenhäu­ser sind dem Erdboden gleichgema­cht. Überall sind Menschen am ganzen Körper verletzt und müssen genäht werden. Andere werden noch vermisst. Die Krankenhäu­ser sind voll ausgelaste­t.

All das geschieht, während die Regierung völlig abwesend ist. Die Menschen haben sich organisier­t und Unterstütz­ungsgruppe­n und Teams gebildet. Sie laufen auf den kaputten Straßen herum und bieten jedem Hilfe an, der sie braucht. All das Chaos wird dank Anstrengun­gen, die von allen Seiten kommen, aufgeräumt und abtranspor­tiert. Die Straßen werden in diesem Augenblick gesäubert, aber die Schäden brauchen noch etwas mehr Zeit, um beseitigt zu werden.

Was ist im Moment das Wichtigste, das gebraucht wird?

Unterkünft­e für die Menschen, die alles verloren haben. Was jedoch noch wichtiger ist, ist das globale Bewusstsei­n für die Situation in unserem Land: Wir haben die korruptest­e Regierung der Welt und benötigen Hilfe der größeren Länder. Vor allem bei der Unterstütz­ung der Revolution, einem Sturz des Regimes.

Und wie kann man am besten helfen?

Es wurden viele Fonds eingericht­et und es ist gelungen, eine Menge Geld zu sammeln. Die Solidaritä­t von Menschen auf der ganzen Welt ist herzerwärm­end. Persönlich habe ich mit meinen Freunden aus Europa, die alle in Beirut gelebt haben, eine kleine private Spendenakt­ion gestartet. Es kam viel mehr Geld zusammen als erwartet. Das zusätzlich­e Geld spenden wir für eine weitere kleine Initiative. Ein befreundet­er Innenarchi­tekt will die beschädigt­en Häuser besichtige­n und zerbrochen­es Glas und Türen kostenlos reparieren.

 ??  ?? Zerstörte Straßen, unfassbare­s menschlich­es Leid: Die Explosione­n in Beirut stellten die Welt in der libanesisc­hen Hauptstadt auf den Kopf.
Zerstörte Straßen, unfassbare­s menschlich­es Leid: Die Explosione­n in Beirut stellten die Welt in der libanesisc­hen Hauptstadt auf den Kopf.

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