Warum viele Jugendliche vom Schmerzmittel abhängig sind
SUCHT Inspiriert von Rappern: Konsum des Schmerzmittels nimmt bei Jugendlichen zu. Experte warnt
Das Mittel wird bei starken Schmerzen eingesetzt, etwa nach einer Hüft- oder Knieoperation. Aber immer mehr Jugendliche schlucken Tilidin, um sich zu berauschen – inspiriert von HipHop-Künstlern. In der Drogenambulanz des UKE landen vor allem Jugendliche aus wohlhabenden Stadtteilen.
Erst kürzlich hat Bonez MC von der 187 Strassenbande den Titel „Tilidin weg“veröffentlicht, in dem er über seine Erfahrungen mit dem Mittel rappt. Vor drei Wochen thematisierte Capital Bra seine inzwischen nach eigenen Aussagen besiegte Sucht in einem Interview, sein Lied „Tilidin“mit Samra hat auf YouTube mehr als 65 Millionen Aufrufe. In Rap-Kreisen wird das Schmerzmittel gern eingeworfen, um sich zu berauschen. Das Opioid ist rezeptpflichtig, wirkt schmerzlindernd, euphorisierend und enthemmend.
„Jugendliche neigen zur Identifikation mit ihren
Idolen, imitieren das Verhalten. Das ist aus suchtpräventiver Sicht hochproblematisch“, sagt Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindesund Jugendalters am UKE.
Vor etwa zehn Jahren seien erste Fälle an seinem Zentrum aufgetaucht. „Sie nehmen deutlich zu“, sagt der Experte. Genaue Zahlen gibt es jedoch nicht. Laut Recherchen des Reportageformats STRG_F (NDR) hat sich die Anzahl der verschriebenen Tagesdosen von 2017 bis 2019 deutschlandweit um das 30-Fache gesteigert, das Bundesministerium für Gesundheit und die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände können diese Zahl nicht bestätigen. „Besorgniserregend ist die Entwicklung rund um Tilidin auf jeden Fall“, sagt Rainer Thomasius.
Unter den jungen Abhängigen, die stationär und teilstationär bei ihm pro Jahr behandelt werden, liegt der Anteil an TilidinSüchtigen bei etwa fünf Prozent. Am UKE sind das vor allem Jugendliche aus wohlhabenden Teilen Hamburgs wie den Walddörfern und den Elbvororten, die zumeist über gutes Taschengeld verfügen. Denn Tilidin ist teurer als
Cannabis und Alkohol. Den Arzneistoff bekommen die Jugendlichen bei Straßendealern und im Darknet. Zuvor hatten sie oft schon Kontakt mit Gras.
Auch in anderen Teilen des Landes ist das Problem bekannt. Laut eines SuchtExperten des Klinikums Stuttgart sind es dort allerdings eher Jugendliche aus
Besorgniserregend ist die Entwicklung rund um Tilidin auf jeden Fall.
Rainer Thomasius, UKE
schwierigen Verhältnissen, die sich mit Tilidin berauschen. Etwa wenn sie vernachlässigt oder misshandelt wurden oder sexuelle Gewalt erleben mussten. „Opioide bringen ein warmes und geborgenes Gefühl, das man zu Hause vielleicht nie hatte und nie gespürt hat“, sagt Oberarzt Maurice Cabanis. Der Entzug von Tilidin ist quälend und verbunden mit starken Muskelschmerzen, Erbrechen, Unwohlsein, Zittern und Schwitzen.
Aus der Sicht des Rainer Thomasius’ sollten Tilidintabletten in das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) aufgenommen worden. Er sagt: „Die Suchtmittelkommission im Bundesgesundheitsministerium muss sich mit diesem Thema dringend auseinandersetzen.“In Tropfenform fällt es bereits seit 2013 unter das BtMG.