„Wir haben die Chance, Firmen zu retten“
Der Finanzsenator verrät, wie die Stadt Unternehmen und Arbeitsplätze sichern will
„Wie ist die Lage?“heißt der tägliche Podcast der Gute Leude Fabrik und der Hamburger Morgenpost. Darin spüren wir tagesaktuellen Fragen nach – zu Wort kommen Macher, Musikerinnen, Models, Mütter und Politiker, genau wie Helfer, Schwestern, Schweißer, Freiberufler. Die Auswahl ist rein subjektiv, aber immer spannend und überraschend. Heute macht dies das Einkaufszentrum „Mercado“möglich. Die Gespräche finden über das Telefon statt. In der aktuellen Folge spricht PR-Profi Lars Meier mit Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). Herr Dressel, die Zahlen, die die Stadt gerade produziert, sind so rot wie die Farbe der SPD. Wie ist die Lage bei den Finanzen? Andreas Dressel: Wir merken schon, dass die Corona-Krise für Hamburg auch finanziell tiefgreifende Folgen haben wird. Wir haben gerade eine neue Steuerschätzung vorgelegt. Das wird schon ein härterer und längerer Einschnitt, als wir ihn im Mai prognostiziert haben. Und das wird natürlich nicht ohne Folgen bleiben können. Sie haben die Prognosen vom Mai verändert und die Opposition bezeichnet es als unseriös, dass Sie für 2022 bereits Schätzungen machen. Was ist Ihre Antwort darauf? Wir müssen ja Verantwortung dafür tragen und übernehmen, dass Hamburg weiter aus der Krise kommt und nicht gegen die Krise ansparen muss. Dafür haben wir uns die Zahlen jetzt sehr genau angeschaut und sehen jetzt, dass wir tatsächlich erst 2023, vielleicht sogar erst 2024 bei den Steuereinnahmen wieder an das Vorkrisenniveau anknüpfen können. Und wir sehen auch bei den Wachstumszahlen der Wirtschaft, dass Hamburg auch aufgrund vieler Branchenthemen schon sehr hart getroffen ist und das Wachstum nicht ganz so schnell wieder an Fahrt gewinnt wie im Bundesvergleich. Das heißt, dass ich dafür sorgen muss, dass wir in dieser Lage, die Hamburg sehr herausfordert, die finanziellen Spielräume haben, um die Krisenbewältigung auch wirtschaftlich leisten zu können. Deshalb haben wir das sehr verantwortlich entschieden, zu sagen, dass wir nicht nur 2021, sondern auch 2022 eine Notlage haben, die solche Notkredite eben auch erforderlich macht. Wie viele Leute sind an so einer Prognose beteiligt? Wie entsteht sie? Wir haben die Schätzung des Bundes, die in den Tagen nach der Veröffentlichung auf Hamburg heruntergebrochen wird. Dann guckt man immer, ob es noch mal Sonderfaktoren und Sonderindikatoren gibt, die wir berücksichtigen müssen, weswegen wir vielleicht sagen, dass die Lage in Hamburg besser oder schlechter ist als im Bundesvergleich. Was sind das für Faktoren? Zum Beispiel gibt es in Hamburg das Thema Luftfahrtbranche, die Freizeit- und Kulturwirtschaft und auch die maritime Branche. Wir haben schon etliche Sonderfaktoren, die sich in guten Zeiten positiv auswirken, aber in Krisenzeiten diese Auswirkungen auch härter beschreiben können. Ein Aspekt scheint, dass viele Unternehmer nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen darüber nachdenken hinzuwerfen, sondern weil sie einfach die Schnauze voll haben. Sie merken, dass es kein Sprint, sondern eher ein Marathon ist. Wie sehen Sie das? Ich merke in Gesprächen, dass es viele Unternehmer auch persönlich ganz hart trifft und sozusagen auch die Lebensplanung durcheinanderwirft. Deshalb ist die Botschaft des Senats, dass wir sie nicht alleinlassen. Es gibt Gespräche, die der Wirtschaftssenator führt, die der Kultursenator und die anderen Senatoren führen. Der Bürgermeister hat die verschiedenen Branchen zum Round Table im Rathaus eingeladen. Das heißt, dass wir an der Seite derjenigen stehen, die besondere Herausforderungen zu meistern haben, und dass wir ein Signal der Zuversicht geben wollen. Ein Finanzmittel, das umgesetzt werden soll, ist der Hamburg-Fonds, wo sich die Stadt an Unternehmen beteiligen will. Woher haben Sie die Expertise zu entscheiden, welche Firma wichtig für Hamburg und auch lebensfähig ist? Das klingt nach ganz vielen Beraterfirmen, die schon mal einen großen Teil des Geldes bekommen. Ich kann das verstehen. Es geht um große Summen und ist nicht einfach. Es wird auch ohne Beratung nicht gehen. Es wird aber nicht das meiste an die Berater gehen, sondern an die Firmen, die wir für Hamburg brauchen und die wir für die Zukunft entwickeln wollen. Es knüpft ja an ein Kernproblem an. Vielen Unternehmen ging es vor Corona gut und es gibt die Chance, dass es ihnen auch nach Corona gutgeht. Die sind aber jetzt in so großen Schwierigkeiten, dass sie auch keine Möglichkeit mehr haben, Kredite zu bekommen, und dass die Eigenkapitalsituation so schwierig ist. Und da knüpft dieser Stabilisierungsfonds an, weil er stille Beteiligungen ermöglicht. Befristet, genau in dem Rahmen, wie die EU-Kommission es für solche Beteiligungen vorsieht. Wir sind nach fünf bis sieben Jahren spätestens wieder draußen und die Firmen können gesunden, wieder Kredite aufnehmen und normal am Wirtschaftsverkehr teilnehmen. Mein Wunsch ist, dass ab November, wenn dieses Mittel einsatzbereit ist, auch wirklich Anträge kommen, und wir die Chance haben, rund 100 Unternehmen zu begleiten. Wenn man umrechnet, kommen wir sehr schnell zu einer hohen fünfstelligen, vielleicht sogar sechsstelligen Zahl an Arbeitsplätzen, die dadurch gerettet werden können. Und das hat einen riesigen Effekt auf die Entwicklung der Hamburger Wirtschaft. Spielt die Nachhaltigkeit einer Firma, einer Produktionsweise oder von Produkten eine entscheidende oder größere Rolle? Oder die Gesellschaftsrelevanz? Das wäre ja ein Aspekt für eine moderne Stadt. Es ist ausdrücklich rechtsformunabhängig. Es könnte sich also auch eine gGmbH bewerben. Es gibt zum Beispiel das Dialoghaus, das wir gerade mit Kreditmitteln in einem ersten Schritt gerettet haben und das auch Interesse bekundet hat, für so eine Sache in Betracht zu kommen. Es war mir immer wichtig, dass wir die Hilfsinstrumente so breit aufstellen, dass wir die gesamte Bandbreite vom Wirtschaftsunternehmen bis zur Non-Profit-Organisation abdecken. Wir werden schauen, wie nachhaltig ein Unternehmen ist und ob es ein vernünftiges Beschäftigungskonzept hat. Wir werden nicht verhindern können, dass ein Unternehmen, an dem wir still beteiligt sind, vielleicht den einen oder anderen Arbeitsplatz abbaut. Aber wir erwarten ein tragfähiges Konzept dafür, wie die Beschäftigung in einem solchen mittelständischen Unternehmen in den nächsten Jahren weitergehen soll. Das ist alles Teil der Prüfung und mit Voraussetzung dafür, dass Hamburg eine stille Beteiligung eingeht. Ein Kandidat für den Hamburg-Fonds ist und war das Miniatur-Wunderland, das dieser Tage durchblicken ließ, dass es die Hilfe nicht benötigt, weil es mit dem Notgroschen noch bis ins Frühjahr kommen. Hat Sie das überrascht? Das wäre ja ein beispielhaftes Unternehmen gewesen. Absolut. Aber für uns ist immer klar, dass der Stabilisierungsfonds Ultima Ratio ist. Wir dürfen die Beteiligung also nur eingehen, wenn andere Finanzierungswege nicht zum Ziel führen. Und wenn das Miniatur-Wunderland es anderweitig schafft, ist das wunderbar, weil Kapitalreserven für Unternehmen vorgehalten werden können, die sie dringender brauchen.