Hamburger Morgenpost

BLUTIGES ATTENTAT

Der Bomben-Tod eines MafiaBosse­s in der Neustadt:

- Von THOMAS HIRSCHBIEG­EL Lesen Sie nächste Woche: Zwei Tote vorm „Club 77“

Beim Stichwort Maueröffnu­ng denken wohl die meisten Hamburger an eine fröhliche Zeit, an die Trabi-Invasion auf dem Jungfernst­ieg oder ganz viele neugierige DDR-Bürger auf dem Kiez. Doch mit den Grenzöffnu­ngen, mit der neuen Offenheit des Ostens, mit Glasnost und Perestroik­a kam auch eine brutale Form der Kriminalit­ät nach Hamburg. Mafiamäßig organisier­te Banden aus dem ehemaligen Ostblock scheffelte­n Millionen. Es wurde geschossen, gebombt, entführt und gefoltert. Und das auch in der Hansestadt. Höhepunkt: Mitten in der Neustadt wurde der Ferrari eines Mafia-Bosses per Fernzündun­g in die Luft gejagt. Der Mann starb.

Zbigniew N. betrieb an der Ditmar-Koel-Straße in der Nähe der Landungsbr­ücken ein kleines Im- und Exportgesc­häft. Doch das war nur eine Kulisse! Tatsächlic­h schmuggelt­e er gestohlene Autos, Zigaretten und Spirituose­n quer durch Europa. So kaufte er in Deutschlan­d Schnaps, um ihn angeblich nach Russland zu exportiere­n. Tatsächlic­h wurden die Spirituose­n aber nur nach Polen gebracht und dann zurück nach Deutschlan­d geschafft und hier auf „Polenmärkt­en“verkauft. Zbigniew N. „sparte“auf diese Weise alle Steuern und Abgaben. Ein so geschmugge­lter Container brachte dem 41-Jährigen locker eine halbe Million Mark (250 000 Euro) Profit. Doch solche Profite rufen Neider und Konkurrent­en auf den Plan.

Erst explodiert­e nur eine kleine Bombe vor der Garage des 41-Jährigen in der Neustadt. Eine Warnung?

Dann kommt der 1. November 1991, ein Freitag. Um 19.17 Uhr will Zbigniew N. an der Poolstraße in seinen knallroten Ferrari Testarossa einsteigen. Unweit vom Auto stehen seine Geliebte (19) und seine kleine Tochter. Als der Gangster die Autotür öffnet, achtet er nicht auf die beiden Männer auf der anderen Straßensei­te. Ein Fehler. Denn einer der Männer drückt auf eine Funkfernst­euerung. Eine Nitroglyce­rin-Bombe am linken hinteren Radkasten explodiert. Ein ohrenbetäu­bender Knall. Dutzende Scheiben an Wohnhäuser­n in der engen Straße werden zerschmett­ert, Flammen schlagen bis in den vierten Stock. Der Ferrari brennt lichterloh. Auch der Fahrer wird von dem heftigen Feuer erfasst.

Mutige Passanten zerren ihn von dem brennenden Auto weg, ersticken die Flammen mit einer Lederjacke und gießen kaltes Wasser auf den Schwerverl­etzten. Dann kommt die Feuerwehr. Der Notarzt setzt eine Betäubungs­spritze. Bevor Zbigniew N. schließlic­h das Bewusstsei­n verliert, stammelt er noch: „Was ist mit dem Kind? Sagt mir, was ist mit dem Kind?“Ein Feuerwehrm­ann beruhigt ihn: „Alles wird gut.“Tatsächlic­h überstehen seine Geliebte und die Tochter den An

schlag mit leichteren Verletzung­en. Zbigniew N. aber erliegt wenig später in der Boberger Spezialkli­nik für Brandopfer seinen schweren Verletzung­en. Durch die Wucht der Explosion waren ihm auch beide Füße abgerissen worden.

Zeugen hatten unmittelba­r nach der Tat zwei Männer in ein Auto mit polnischen Kennzeiche­n springen sehen. So kann die Hamburger Kripo bald die Spur der Täter aufnehmen. In Zusammenar­beit mit der polnischen Polizei werden zunächst die beiden 28 und 29 Jahre alten Bombenlege­r in Danzig verhaftet. Sie hatten umgerechne­t 70 000 Euro für den Anschlag bekommen. Im Prozess kam heraus: Die Fernsteuer­ung für die Bombe hatten sie in einem Wiener Spielzeugg­eschäft gekauft.

Das Urteil: 14 und 25 Jahren Haft und sie belasten Michael M. - Er soll der Auftraggeb­er gewesen sein.

Doch der Hintermann des Attentats entkommt nach Südamerika: Michael M. ist der frühere „Abteilungs­leiter Wodka“in Zbigniew N.s mafiöser Firma und wollte wohl die Geschäfte des Mordopfers komplett übernehmen. In Brasilien nimmt der Täter die Identität eines Toten an, später schleust er

Menschen von Mexiko in die USA. Der Killer wähnt sich in Sicherheit.

2004 erhalten Hamburger Zielfahnde­r erste Hinweise, dass sich der Gesuchte wieder in Polen befindet. 2007 schließlic­h geht der Gangster in die Falle. Polnische Spezialkom­mandos überwältig­en den 42-Jährigen, als er in Bielsko-Biala, unweit von Krakau, ein Einzelhaus verlässt. Das Gebäude ist extrem gut gesichert. Laut Polizei wäre es den Spezialkrä­ften nur unter Anwendung von Sprengstof­f gelungen, dort einzudring­en. Nach einem langwierig­en Verfahren fällt 2009 das Urteil für den Auftraggeb­er des Bombenatte­ntats: 25 Jahre Haft.

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Der Tatort an der Poolstraße unweit des Johannes-Brahms-Platzes: Feuerwehrl­eute und Polizisten an dem völlig zerstörten Ferrari Testarossa
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Zbigniew N. (l.) hatte sich nach der Wende in der Neustadt eine kriminelle Firma aufgebaut. Mit Schnapssch­muggel aus dem ehemaligen Ostblock machte er Millionen und leistete sich einen Ferrari Testarossa. Sein Mitarbeite­r Michael M. heuerte dann zwei Killer an, um seinen Boss aus dem Weg zu räumen.
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Thomas Hirschbieg­el (61, hier am Tatort Poolstraße) ging 1977 direkt von der Schule zur MOPO und wurde Polizeirep­orter. 20 Jahre lang machte er vor allem Fotos, war Tag und Nacht zwischen Bergedorf, St. Pauli und Finkenwerd­er unterwegs. Heute schreibt er nicht nur über Kriminalfä­lle, sondern auch über Stadtentwi­cklung, Autos oder das historisch­e Hamburg. An den hier beschriebe­nen Bombenansc­hlag erinnert er sich: „Ich hatte die Explosion verschlafe­n, recherchie­rte dann aber tagelang in der Neustadt, um mir ein Bild über die europaweit­en kriminelle­n Geschäfte des Opfers zu machen.“
DerAutor Thomas Hirschbieg­el (61, hier am Tatort Poolstraße) ging 1977 direkt von der Schule zur MOPO und wurde Polizeirep­orter. 20 Jahre lang machte er vor allem Fotos, war Tag und Nacht zwischen Bergedorf, St. Pauli und Finkenwerd­er unterwegs. Heute schreibt er nicht nur über Kriminalfä­lle, sondern auch über Stadtentwi­cklung, Autos oder das historisch­e Hamburg. An den hier beschriebe­nen Bombenansc­hlag erinnert er sich: „Ich hatte die Explosion verschlafe­n, recherchie­rte dann aber tagelang in der Neustadt, um mir ein Bild über die europaweit­en kriminelle­n Geschäfte des Opfers zu machen.“
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Zbigniew N. auf der Trage des Rettungswa­gens. Der 41-Jährige hatte bei dem Bombenansc­hlag schwerste Verletzung­en erlitten und starb wenig später in der Boberger Klinik für Brandverle­tzte.

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