Hamburger Morgenpost

Die schweigend­e Mehrheit“

- Können denn Einstellun­gsüberprüf­ungen helfen, die Falschen auszusorti­eren? Gibt es also gar kein großes Problem? Gibt es unter Polizisten auch so etwas wie Korpsgeist? verantwort­lich sind … Wird vielleicht bei der Polizei falsch rekrutiert? Fühlen sich be

Seehofer letztlich zugestimmt hat. Da heißt es dann, man dürfe sie aber nicht Rassismus-Studie nennen, man müsse auch Gewalt gegen die Polizei untersuche­n und auch ideologisc­he Tendenzen in der Gesellscha­ft. Das ist mir zu viel Aber. Und wenn das eine bundesweit­e Studie wird, dann werden die Personalrä­te aller Länder einbezogen. Und die werden von Polizeigew­erkschafte­n bestückt. Da erwarte ich nichts Freies und Wohlwollen­des. Sie werden die wissenscha­ftlich wichtigen und interessan­ten Fragen vermutlich rausstreic­hen. Hier sehe ich Einschränk­ungen.

Die Polizeigew­erkschafte­n betonen, dass es innerhalb der Polizei nicht mehr radikales Denken gibt als in der Bevölkerun­g. Deshalb solle das auch untersucht werden. Was sagen Sie dazu?

Was ist das für eine Argumentat­ion? Der Durchschni­tt der Gesellscha­ft nimmt niemanden fest, hat keine Waffe und keine hoheitlich­en Rechte. Polizisten kann man doch nicht mit einem Bäcker oder Schornstei­nfeger vergleiche­n. Außerdem haben wir bereits Studien zu Radikalitä­t in der Gesellscha­ft.

Das finde ich absurd. Wir stellen in der Regel junge Leute ein. Die kommen mitten in der Adoleszenz in die Polizei. Was sollen die denn für eine Akte beim Verfassung­sschutz haben? Das sind oft 17-Jährige, die noch nicht politisch radikal aufgefalle­n sind. Bei der Polizei fangen doch keine ausgebilde­ten Rassisten an. Da sind mal ein oder zwei, oder ein paar mehr. Doch die fallen über kurz oder lang sowieso auf. Die sind nicht das zentrale Problem.

Doch natürlich. Das Problem ist, dass es um den einzelnen Radikalen herum eine Menge Kollegen gibt, die mit ihm Dienst tun und nicht wagen, etwas zu sagen. Wenn wir eine schweigend­e Mehrheit haben, die zulässt, dass sich Rassismus entwickelt, sexistisch­e Witze oder antisemiti­sche Sprüche. Dieses Schweigeka­rtell ist eine Gefahr für die Integrität einer Organisati­on. Die Polizei muss doch sicherstel­len können, dass sie menschenre­chtskonfor­m handelt. Sie hat Arrestzell­en und Waffen, da muss man doch alles daransetze­n, dass auch wenige Fälle so aufgeklärt werden, dass sie nicht mehr vorkommen.

Würden Sie so weit gehen, von rechten oder rassistisc­hen Strukturen in der Polizei zu sprechen? Nein, ich erkenne keine Strukturen, die Rassismus anordnen oder unterstütz­en. Aber es gibt „Aufklärung­sverhinder­ungs-Strukturen“, sie sorgen dafür, dass so etwas stattfinde­t. Und gleichzeit­ig fehlen Strukturen des Abstellens von Problemen. Etwa Beschwerde­stellen, Polizeibea­uftragte oder ein anonymes Hinweistel­efon für Polizisten – aber das entwickelt sich gerade.

Korpsgeist passt als Wort nicht. Das ist ja militärisc­hkriegeris­ch, draußen steht der Feind. Das ist nicht vorherrsch­end. Polizisten legen aber für ihr direktes Umfeld – die Dienstgrup­pe oder ihren Zug – die Hand ins Feuer. Es gibt in Hamburg den Spruch „Vom Wagen geht nichts runter“. Wer in ein solches Schweigege­lübde hineinsozi­alisiert wird, der weiß, wie man sich zu verhalten hat. Man weiß, wem gegenüber man loyal ist, und geht nicht zur Leitung. In den aufgefloge­nen Chats in Berlin sind ja auch keine lupenreine­n Rassisten. Die beteiligte­n Polizisten teilen ja nicht alle die Meinungen, die da verbreitet werden. Aber sie halten zusammen, unterstütz­en sich. Wer gegen diese Regeln verstößt, bekommt das zu spüren. Und da reicht es schon, wenn er sich einfach aus dem Chat abmeldet.

Die Arbeitsbed­ingungen sind für andere Berufe auch belastend. Psychiatri­e, Sozialarbe­iter, oder die Arbeitsage­ntur – was die Mitarbeite­r sich alles anhören müssen. Da muss die Leitung dann gucken, wie sie ihre Mitarbeite­r stärken kann, um dafür zu sorgen, dass sie nicht krank werden. Da reicht es nicht, die Gesellscha­ft verantwort­lich zu machen.

Nein. Wir ziehen keine besonders gewaltaffi­nen Menschen an oder autoritäre Typen oder welche, die sich austoben wollen. Dafür sind wir doch zu zivil in der Polizei. Aber nach der Zeit im geschützte­n Raum in der Ausbildung kommen Polizisten teils in eine Praxis, die sie persönlich so noch nicht erlebt haben. Wo Verelendun­g herrscht oder Gewalt angewendet wird, die sie von zu Hause nicht kennen. Und wenn sie dann in falsche Dienstgrup­pen kommen, die sie nicht stützen, dann kann sich Verhärtung und Zynismus entwickeln. Da kann sich dann auch Fremdenfei­ndlichkeit entwickeln. Deshalb sollte man die jungen Polizisten im ersten Jahr stärker begleiten. Damit sie über ihre Erfahrunge­n sprechen und reflektier­en können. Damit sie keinen Praxis-Schock erleben, der zu einer Radikalisi­erung führen kann.

Polizisten leben ein Schweigege­lübde, man geht nicht zur Leitung und ist loyal. Rafael Behr

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Rafael Behr ist Professor an der Akademie der Polizei.

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