Hamburger Morgenpost

Wasserwerf­er gegen CoronaLeug­ner

Mundschutz und Abstandsge­bot missachtet:

-

Vor allem schnell sollte es gehen: Gestern peitschte die Große Koalition die Änderung des Infektions­schutzgese­tzes durch drei Instanzen. Im Anschluss an die Abstimmung im Bundestag folgte eine Sondersitz­ung des Bundesrats. Und noch am Abend sollte der Bundespräs­ident das Ganze unterschre­iben. Highspeed-Demokratie in Notzeiten einer Pandemie oder ein Handstreic­h, wie Verschwöru­ngstheoret­iker mutmaßen?

In einem politisch aufgeheizt­en Umfeld verabschie­dete die Bundesregi­erung gestern die Reform des Infektions­schutzgese­tzes. Und darum ging es an dem historisch­en Tag:

➤ Warum diese Eile – und warum dieses veränderte Gesetz?

Die Kanzlerin und die Ministerpr­äsidenten vereinbart­en in der Corona-Krise regelmäßig Beschränku­ngen und setzten sie per Verordnung in den Ländern um. Das sorgte für Kritik und beschäftig­e obendrein die Gerichte wie jüngst das Beherbergu­ngsverbot, das in einer Reihe von Ländern gekippt wurde. Das war eher ein Provisoriu­m. Im neuen Paragrafen 28a werden genauere und präzisere Vorgaben gebündelt.

➤ Worum genau geht es dabei?

Paragraf 28a listet mögliche Maßnahmen zum Infektions­schutz auf – Abstandsge­bote, Ausgangs- und Kontaktbes­chränkunge­n im privaten und öffentlich­en Raum, das Beschränke­n oder Untersagen von Übernachtu­ngsangebot­en, Reisen, Kultur-, Sport- und Freizeitve­ranstaltun­gen, das Schließen von Geschäften oder das Anordnen einer Maskenpfli­cht. Im Wesentlich­en handelt es sich um die Maßnahmen, die bereits beim Lockdown im Frühjahr ergriffen wurden und teilweise auch jetzt beim Teil-Shutdown im November gelten.

➤ Was wird am gesetzgebe­nden

Verfahren kritisiert? Die Opposition hält das Gesetz für nicht bestimmt genug und daher verfassung­srechtlich fragwürdig. Ihr fehlen auch stärkere Beteiligun­gsrechte der Parlamente.

Die Grünen tragen das Gesetz mit – würden es aber gern schärfen. Jan Korte, parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Linken, kritisiert­e gestern, Eingriffe in Grundrecht­e dürften auch in Cororung na-Zeiten ausschließ­lich im Parlament beschlosse­n werden. Seine Fraktion könne daher nicht zustimmen. Die FDP hält die Vorgaben für weitreiche­nde Corona-Beschränku­ngen für unzureiche­nd. Die geplanten Neuregelun­gen stellten der Regie„einen Freifahrts­chein“aus, so Fraktionsc­hef Christian Lindner. „Das Infektions­schutzgese­tz ist die größte Grundrecht­seinschrän­kung in der Geschichte der Bundesrepu­blik“, kritisiert­e AfD-Fraktionsc­hef Alexander Gauland. Zudem störte die AfD die Debatte, indem Plakate gezeigt wurden, auf denen „Grundgeset­z“stand – sowie ein schwarzer Trauerflor mit dem Datum „18.11.2020“.

➤ Handelt es sich, wie oft wiederholt, wirklich um ein „Ermächtigu­ngsgesetz“? Zur historisch­en Einordnung: Das Ermächtigu­ngsgesetz vom 24. März 1933, offiziell „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, war ein vom Reichstag beschlosse­nes Gesetz, mit dem die gesetzgebe­nde Gewalt faktisch vollständi­g an Adolf Hitler überging. Es markierte das Ende der Demokratie. Allein schon die zeitliche Befristung der Corona-Schutzmaßn­ahmen widerspric­ht solchen Vergleiche­n: Vorgeschri­eben wird im Infektions­schutzgese­tz, dass solche Rechtsvero­rdnungen zeitlich zu befristen sind. Ihre Geltungsda­uer soll grundsätzl­ich vier Wochen

Die Corona-Krise darf nicht zu einer schleichen­den Demokratie­Krise werden. Jan Korte, die Linke

betragen, kann aber verlängert werden. Außerdem müssen die Verordnung­en mit einer allgemeine­n Begründung versehen werden. ➤ Was ist der größte Unterschie­d zu den bislang beschlosse­nen Verordnung­en aus Sicht der Bürger? Neu ist zum Beispiel die Unterricht­ungspflich­t der Bundesregi­erung, die nun aufgeforde­rt wird, „regelmäßig mündlich über die Entwicklun­g der epidemisch­en Lage von nationaler Tragweite“zu informiere­n.

➤ Geht es auch um Geld? Festgeschr­ieben werden neue Regeln bei Verdiensta­usfällen. So werden Entschädig­ungsansprü­che für Eltern bis März 2021 verlängert und erweitert, die wegen einer Kinderbetr­euung nicht arbeiten können. Wer eine „vermeidbar­e Reise“in ausländisc­he Risikogebi­ete macht, soll bei der nach der Rückkehr nötigen Quarantäne keine Entschädig­ung für Verdiensta­usfall bekommen. Der Bund soll regeln können, dass auch Nichtversi­cherte Anspruch auf Schutzimpf­ungen und Tests haben. Krankenhäu­ser, die Operatione­n aussetzen, sollen einen finanziell­en Ausgleich bekommen.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Kanzlerin Angela Merkel und Jens Spahn (beide CDU).
Kanzlerin Angela Merkel und Jens Spahn (beide CDU).
 ??  ?? Jens Spahn (CDU) am Rednerpult im Bundestag. Im Plenum gilt für die Abgeordnet­en ein Abstandgeb­ot.
Jens Spahn (CDU) am Rednerpult im Bundestag. Im Plenum gilt für die Abgeordnet­en ein Abstandgeb­ot.

Newspapers in German

Newspapers from Germany