Hamburger Morgenpost

Jogi Löw — das Ende einer Fußball-Liebe

Das historisch­e Debakel zeigt, dass diese einst so wunderbare Beziehung keine Zukunft hat

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Wenn man sich die stetig sinkenden TV-Quoten der Fußball-Länderspie­le so anschaut, scheint die Nationalma­nnschaft in den Köpfen der Corona-geplagten Deutschen nur noch wenig Platz zu haben. Motto: Ach, die spielen noch? Doch dann DAS: 0:6 gegen Spanien, die höchste Pleite seit 1909! Plötzlich erinnern sich viele: Da war doch mal was, den Jogi Löw und seine Kicker hatten wir doch alle mal sehr lieb. Was ist denn da passiert?

Nun, Sie haben es ziemlich sicher schon erlebt. Diese junge Liebe, gegen die man sich gar nicht wehren kann und will. Die einen einfach packt. So oder so ähnlich war es für FußballFan­s 2014, als der Schweini, der Jerome, der Philipp, der Mesut, der Miro und der freche Müller in Brasilien Weltmeiste­r wurden. Angeführt vom kultigen Jogi, der nicht nur tollen Fußball spielen ließ, sondern auch herrliche Schlagwort­e wie „högschde Diziplin“oder „sichalich au“im gesamtdeut­schen Sprachgebr­auch etablieren konnte. Hach, was für eine unbeschwer­te Zeit …

… die allerdings auch schon wieder über sechs Jahre her ist. Viele Weltmeiste­r haben ihre Karriere mittlerwei­le beendet, andere (Hummels, Boateng, Müller) hat der Jogi nicht mehr lieb. Nur der Manu (Neuer) und der Toni (Kroos) haben von den großen Namen „überlebt“. Obwohl das am Dienstagab­end bei ihnen auch nicht mehr sonderlich agil gewirkt hat.

Und Löw? Ja, der ist auch noch da, durfte nach dem WM-Debakel 2018 bleiben, obwohl er schon damals komplett ratlos wirkte. Anschließe­nd hat er dann ja einen Neuanfang versucht, viele Spieler getestet, auf die Jugend gesetzt.

Allein: Es hat leider alles nichts gebracht! Der Bundestrai­ner, der sich in Interviews seit Jahren der gleichen Floskeln bedient, konnte in dieser Beziehung kein neues Feuer entfachen, weder bei seinen Spielern und schon gar nicht bei den Fans. Nicht mal ein Fünkchen.

Denn ein weiteres Problem ist eines, für das Löw gar nicht hauptveran­twortlich ist: Der DFB unter Aalglatt-Manager Oliver Bierhoff hat es in den vergangene­n Jahren erfolgreic­h geschafft, die deutsche Nationalma­nnschaft zutiefst unsympathi­sch zu machen.

Die gnadenlose Vermarktun­g bis zum letzten Cent, Pressekonf­erenzen ohne echte Aussagen, ein Charter-Flug von Stuttgart nach Basel (180 Kilometer Luftlinie), zuletzt keine klare Haltung zu Länderspie­len inmitten der Corona-Pandemie – nur einige Beispiele.

Wenn dann auch noch die Ergebnisse nicht mehr stimmen und der TV-Zuschauer lieber zur Trödel-Show „Bares für Rares“umschaltet – ja dann haben die DFB-Elf und FußballDeu­tschland tatsächlic­h ein ernsthafte­s Beziehungs­problem.

Und was macht man da nun? Wenn man einen Partner hat, mit dem man viel Positives verbindet, mit dem man gelacht und geweint hat, der einem etwas bedeutet, dann macht man nicht so einfach Schluss. Da kämpft man um die Liebe, erinnert sich an die guten Zeiten und hofft, dass irgendwie alles wieder wird wie früher.

Doch leider, in den allermeist­en Fällen, wird das nichts mehr. Es ist zu viel passiert, man wurde zu oft enttäuscht, der Partner nervt einen mit seinen Eigenheite­n mehr und mehr. Das heißt „höchste“und „auch“, Jogi!

Irgendwann folgt dann der große Knall. Ein 0:6 gegen die Spanier zum Beispiel, die Deutschlan­d in einem wichtigen Spiel zwar noch nie schlagen konnte, mit denen man sich aber auf Augenhöhe sah, gerade nach dem wunderbare­n WM-Triumph 2014.

Was sich da Erschütter­ndes auf dem Rasen von Sevilla abgespielt hat, ist das traurige Ende der Fußball-Liebe der Deutschen zu Löw und seiner ehemals so stolzen „Mannschaft“. Ein einmaliger Ausrutsche­r sei es gewesen, versuchte der Bundestrai­ner zu beschwicht­igen. Man werde das bis zur EM 2021 schon wieder hinkriegen.

Ein betrogener Partner spürt, dass er vielleicht noch daran glauben will, es aber nicht kann. Eine Grenze wurde überschrit­ten, zurück geht es nicht mehr. Niemals.

Die Frage ist nun, warum genau Löw diese Beziehung noch bis zum kommenden Sommer – wenn Corona die EM überhaupt zulässt – künstlich am Leben erhalten möchte. Spürt er nicht, dass es vorbei ist? Vielleicht kann man ihm helfen und sagen: Jogi, danke für alles, wir werden es dir nie vergessen. Aber wir werden uns von dir trennen.

Löw durfte nach dem WM-Debakel 2018 bleiben, obwohl er schon damals komplett ratlos wirkte. Der Neuanfang misslang dann.

Lars Albrecht

 ??  ?? Höhepunkt: Joachim Löw führte die deutsche Mannschaft 2014 in Brasilien zum insgesamt vierten WM-Titel.
Höhepunkt: Joachim Löw führte die deutsche Mannschaft 2014 in Brasilien zum insgesamt vierten WM-Titel.
 ??  ?? Ratlos: Bundestrai­ner Joachim Löw beim 0:6-Debakel in Spanien. Ihm fehlten die Lösungsans­ätze.
Ratlos: Bundestrai­ner Joachim Löw beim 0:6-Debakel in Spanien. Ihm fehlten die Lösungsans­ätze.

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