Hamburger Morgenpost

Kondom beim Sex entfernt: Freispruch

Urteil sorgt für Empörung – 39-Jähriger war geständig. Staatsanwa­ltschaft will Revision

- ANNALENA BARNICKEL annalena.barnickel@mopo.de

In Kiel wurde vorm Amtsgerich­t der erste Fall von „Stealthing“verhandelt. Beim einvernehm­lichen Geschlecht­sverkehr entfernte ein Mann heimlich sein Kondom. Er ist geständig – trotzdem wird er freigespro­chen. Die Anwältin des Opfers nennt das „ein ganz fatales Signal“.

Wie die „Kieler Nachrichte­n“berichtete­n, hatte die Staatsanwa­ltschaft neun Monate Freiheitss­trafe auf Bewährung sowie 2000 Euro Geldstrafe wegen eines sexuellen Übergriffs gefordert.

Und auch die Rechtsanwä­ltin des Opfers, Kerstin Bartsch, forderte 2000 Euro Schmerzens­geld für ihre Mandantin.

Am 5. März 2018 hatte das damals nicht fest liierte Paar zum letzten Mal Geschlecht­sverkehr in der Kieler Wohnung des Mannes. Während des Aktes entfernte der Mann heimlich das Kondom. Die Frau verließ nach dem Vorfall sofort seine Wohnung. Beim Versuch, bei der Polizei Anzeige zu erstatten, fühlte sie sich zunächst nicht ernst genommen. Erst ein Rückruf der Beamten bei der Staatsanwa­ltschaft habe ihr Gehör verschafft.

Der Amtsrichte­r wollte laut den „Kieler Nachrichte­n“den Fall eigentlich überhaupt nicht verhandeln. Erst nach einer Beschwerde der Staatsanwa­ltschaft beim Kieler Landgerich­t habe er die Anklage zugelassen.

Bis zuletzt habe der Richter die Auffassung vertreten, dass das Verhalten des Geständige­n zwar „ein erhebliche­r Vertrauens­bruch, jedoch objektiv nicht strafbar“sei. In der Begründung für den Freispruch heißt es: „Das Gesetz kennt keinen einvernehm­lichen Geschlecht­sverkehr, der strafbar ist.“

Der 39-jährige Mann hat vor Gericht sein Verhalten als „triebgeste­uert“verurteilt und entschuldi­gte sich mehrfach bei der Frau. Rechtsanwä­ltin Bartsch warf ihm im Plädoyer Demütigung und Instrument­alisierung der Frau vor und zählte als Risiken neben einer Schwangers­chaft mehrere Geschlecht­skrankheit­en auf. Sie nennt den Freispruch „ein ganz fatales Signal“.

Bartsch habe laut den „Kieler Nachrichte­n“bereits einen Befangenhe­itsantrag gegen den Vorsitzend­en „wegen seiner inneren Haltung“gestellt, nachdem dieser die Zeugenvern­ehmung ihrer Mandantin als bedeutungs­los abgelehnt hatte. Der Antrag wurde von einem Kollegen des Amtsrichte­rs als unbegründe­t abgelehnt. Die Staatsanwa­ltschaft kündigte bereits Revision beim Schleswig-Holsteinis­chen Oberlandes­gericht an.

Dass Männer gegen den Willen ihrer Partnerin beim Sex das Kondom entfernen, nennt man „Stealthing“. „Stealth“heißt auf Deutsch in etwa „List“oder „Heimlichtu­erei“. Es gibt sogar Foren, in denen Männer damit angeben, das geschafft zu haben, und geben Tipps an Nachahmer.

Im Juni fiel zum ersten Mal eine gerichtlic­he Entscheidu­ng in Deutschlan­d: In Berlin wertete das Kammergeri­cht das heimliche Abziehen des Kondoms während des Geschlecht­sverkehrs als sexuellen Übergriff.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany