Hamburger Morgenpost

„Wir gehen auf dem Zahnfleisc­h“

KINDERGÄRT­EN Erzieher klagen über mangelnde Schutzmaßn­ahmen – Stadt kündigt Hilfen an

- Von IVAN DE VINCENZI

Hamburger Erzieher am Limit: Während in der Hansestadt der Regelbetri­eb in Kitas fortgesetz­t wird, kommen immer mehr Betreuer im Teil-Lockdown an ihre Grenzen. Sie klagen über mangelnde Schutzmaßn­ahmen, Stress, Erschöpfun­g – und können die Kinder wegen des Personalma­ngels kaum richtig versorgen. Die Stadt reagiert mit neuen Maßnahmen.

Pädagogen im Ausnahmezu­stand. Sie wenden sich in einem offenen Brief an die Öffentlich­keit, um die Politik um Unterstütz­ung zu bitten. „Wir empfinden es als unverantwo­rtlich, dass das ganze Land sich in einem zweiten Lockdown befindet und wir im Regelbetri­eb und ohne echte Schutzmaßn­ahmen, die ein Infektions­risiko tatsächlic­h minimieren, weiter arbeiten sollen“, heißt es in dem Brief, der der MOPO vorliegt.

Täglich hätten Erzieher laut eigenen Angaben Kontakt mit bis zu 40 weiteren Personen – im ständigen Körperkont­akt mit Kindern. Zum Teil werde den Eltern Zugang zur Kita gewährt, das stößt auf Unverständ­nis: „Es besteht ein enormes Ansteckung­srisiko.“Ferner sei das Argument, von Kindern gehe keine Ansteckung aus, aus ihrer Sicht nicht hinreichen­d erforscht.

Hinzu komme, dass durch Corona die Personalkn­appheit drastisch verschärft worden sei. „Da in den meisten Kitas nahezu dauerhaft Personalma­ngel herrscht, sind die Schutzmaßn­ahmen nicht einzuhalte­n“, heißt es weiter. So sei es zum Beispiel nahezu unmöglich, die vorgeschri­ebene Kohortentr­ennung umzusetzen. Die Erzieherin­nen und Erzieher fordern Senat und Behörden auf, ein neues Konzept auszuarbei­ten.

„Wir gehen wirklich auf dem Zahnfleisc­h, arbeiten täglich ohne jeglichen Schutz. Dabei haben wir selber Risikopati­enten in unseren Familien und stehen quasi an der Front“, sagt Erzieherin Marei R. (33) zur MOPO. „Wo ist unser Schutz? Wo werden wir unterstütz­t? Warum alles auf Biegen und Brechen offen lassen? Wir dürfen keine Not-Öffnungsze­iten einrichten, das würde uns enorm helfen“, so die 33-Jährige, die in einer Kita in der Hamburger City arbeitet.

Doch was sagt die Sozialbehö­rde? Zu den Vorwürfen will sich Sprecher Martin Helfrich auf MOPO-Nachfrage nicht äußern. Allgemeine Kita-Schließung­en oder Teil-Schließung­en seien derzeit „nicht erforderli­ch“, dennoch in Einzelfäll­en nicht auszuschli­eßen – abhängig vom Infektions­geschehen. „Wir halten auch unter Pandemie-Bedingunge­n daran fest, dass es einen Regelbetri­eb gibt.“Das habe eine hohe Bedeutung für die Bildung der Kinder.

Ein neues Konzept ist zwar nicht geplant, nun will die Stadt aber mit vier Maßnahmen den Erziehern helfen. Demnach soll jede Kita einen Sonderzusc­huss zwischen 1000 und 3000 Euro bekommen für Anschaffun­gen zur Umsetzung von Hygienekon­zepten. Zudem sollen alle Erzieher ab nächster Woche bis zum Ende des Jahres kostenlose Atemschutz­masken erhalten. Die Corona-Tests für Pädagogen sollen durch eine neues Anmeldever­fahren erleichter­t und das Verfahren für die Klärung von Infektions- oder Verdachtsf­ällen durch einen schnellere­n Meldeweg verbessert werden.

Sozialsena­torin Melanie Leonhard (SPD): „Nach wie vor sind wir in außergewöh­nlichen Zeiten, die gelegentli­ch auch etwas Anpassungs­bereitscha­ft fordern: Wenn es also in einzelnen Kitas etwas schwierig wird, bitte ich auch um Verständni­s für die Einrichtun­gsleitunge­n und die Pädagoginn­en und Pädagogen vor Ort.“

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„Wo ist unser Schutz? Wo werden wir unterstütz­t?“, fragt die Hamburger Erzieherin Marei R. (33).

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