Machen uns CoronaRegeln anfälliger für Grippe?
Forscher warnen: Ergebnisse nicht fehlinterpretieren!
PRINCETON/HAMBURG – Abstand, Hygiene, Alltagsmasken – im Kampf gegen Corona ist das mittlerweile Routine. Die AHA-Regeln haben aber noch einen Vorteil: Auch andere Krankheitserreger werden abgeblockt, sodass weniger Menschen Grippe oder Erkältungen bekommen. Sind wir deshalb künftig anfälliger für solche Erreger – weil unser Körper sie nicht kennt?
Die derzeitigen Hygieneund Abstandsregeln senken nicht nur die Verbreitung des Coronavirus, sondern auch von anderen Krankheiten wie etwa Grippe. Ein Forscherteam um die USEpidemiologin Rachel Baker von der Uni Princeton mahnt nun: Das könnte nach Aufhebung der Corona-Maßnahmen dazu führen, dass Menschen für solche Infektionen anfälliger würden, wie es in den „Proceedings“der amerikanischen „Nationalen Akademie der Wissenschaften“(PNAS) berichtet. Aber: Andere Experten betonen, die Arbeit enthalte viele Spekulationen und solle nicht falsch interpretiert werden.
Erst Ende Oktober – nach dem Ende des Winters auf der Südhalbkugel – hatten Forscher im Fachblatt „The Lancet“von einem historischen Tiefststand an Grippekranken in Australien und Neuseeland berichtet. Als Erklärung verwiesen auch sie auf die CoronaMaßnahmen wie Abstandhalten, Masketragen und Schulschließungen. Das Team um Baker bestätigte diese Beobachtungen mit seinen Simulationen: Nach Aufhebung der Maßnahmen könnte es zeitlich verzögert zum Anstieg bei anderen Erkrankungen kommen. Allerdings
räumten die Autoren selbst ein, dass Prognosen zu Grippewellen aufgrund der Vielfalt dieser Viren und der unterschiedlichen Wirksamkeit vorhandener Impfstoffe problematisch seien.
Dies sei tatsächlich ein Schwachpunkt der Studie, sagt auch die Virologin Gülsah Gabriel vom HeinrichPette-Institut in Hamburg: „Influenza-A-Viren sind wandelbar und anpassungsfähig. Diese Virusevolution ist ein dynamischer Prozess, der nicht modelliert werden kann.“Auch der Infektiologe Bernd Salzberger vom Uniklinikum Regensburg wendet ein, derartige Dynamiken ließen sich in mathematischen Modellen kaum erfassen: „Es könnte zu einer überschießenden Influenza-Welle kommen, aber auch das Gegenteil eintreten.“Die Aussagen der Studie seien spekulativ.
„Würden wir jetzt über drei Jahre alle Viren von uns fernhalten, dann wäre das sicher problematisch für unser Immunsystem“, betont Salzberger. Allerdings würden die meisten Menschen nicht ständig etwa eine Maske tragen, sondern nur für kurze Zeit. Eine jahrelange Abstinenz von Krankheitserregern sei auch deshalb unrealistisch, weil verschiedene Impfstoffe gegen Corona schon weit entwickelt seien.
Gabriel warnt insbesondere davor, die Studienergebnisse als Argument gegen die Corona-Maßnahmen fehlzuinterpretieren – etwa gegen das Tragen von Masken. Diese seien zurzeit besonders wichtig, auch um das Risiko einer Koinfektion zu senken. Würde man sich etwa mit Influenzaviren und einem weiteren Erreger infizieren, sei das wesentlich gefährlicher.