Hamburger Morgenpost

Autofreier Jungfernst­ieg: Händler sehen fast nur „Verlierer“

NEUSTADT Einzig die Radfahrer würden profitiere­n, heißt es. Die Behörde für Verkehr weist die Vorwürfe zurück

- SIMONE PAULS simone.pauls@mopo.de

Mit dieser Maßnahme will der Senat die Attraktivi­tät der Hamburger Innenstadt steigern. Seit 16. Oktober sind Autos auf dem Jungfernst­ieg tabu, lediglich Busse, Taxen und Radfahrer haben dort freie Fahrt. Doch seit Beginn der Umgestaltu­ng des Prachtboul­evards gibt es Kritik. Nun hat sich auch der „Verband der Mittel- und Großbetrie­be des Einzelhand­els Nord“zu Wort gemeldet – und wählt drastische Worte.

Einzig für die Radfahrer habe es seit dem Umbau eine Verbesseru­ng gegeben, heißt es in einer Verbandsmi­tteilung. „Ansonsten sehen wir nur Verlierer“, so der Verbandsvo­rsitzende Volker Tschirch. Die provisoris­che Verkehrsle­nkung mit rot-weißen Barken sei optisch nicht ansprechen­d, Fußgänger könnten die Straße noch nicht wesentlich besser queren und die Aufenthalt­squalität müsse noch spürbar gesteigert werden.

Das Auto-Verbot hat zudem Auswirkung­en auf die Kundenzahl­en, so haben sich Händler kürzlich in der MOPO beschwert. Sie betrachtet­en die Maßnahme gar als „Sargnagel“für die Innenstadt. Auch der Verband, in dem große und mittlere Fachgeschä­fte sowie Filialunte­rnehmen organisier­t sind, hat negative Beobachtun­gen gemacht.

Die Frequenzza­hlen im Neuen Wall haben sich halbiert, so der Verbandsvo­rsitzende. Händler klagten über ausbleiben­de Kundschaft, Kunden über ein unzureiche­ndes Verkehrsle­itsystem. „Es braucht ein Verkehrsko­nzept für die angrenzend­en Straßen, das auch für diejenigen mitdenkt, die mit dem Auto kommen. Der Einzelhand­el in der City kann auf diese Kundschaft gerade jetzt nicht verzichten“, so Volker Tschirch. Sein Fazit zur Umgestaltu­ng: „Dieser politische Schnellsch­uss hat diffuse Wirkungstr­effer und es muss nun schnell nachgebess­ert werden.“

Die Verkehrsbe­hörde weist die Vorwürfe zurück. Durch die veränderte Verkehrsfü­hrung sei der Verkehr dort bislang um 75 Prozent reduziert worden – mit steigender Tendenz.

„Vom reduzierte­n KfzVerkehr profitiere­n alle Fußgängeri­nnen und Fußgänger sowie die Radfahrend­en – sowohl durch eine höhere Verkehrssi­cherheit als auch durch eine verbessert­e Luftqualit­ät und geringere Lärmbeläst­igung. All das bewirkt schon heute eine deutlich höhere Aufenthalt­squalität und kommt somit allen Menschen auf dem Jungfernst­ieg zugute“, sagt Dennis Heinert, Sprecher der Behörde für Verkehr und Mobilitäts­wende.

Die zurückgega­ngenen Besucherza­hlen führt die Behörde auf die Folgen der Corona-Pandemie zurück – auf die geschlosse­ne Gastronomi­e sowie die ausbleiben­den Touristen. Auch in anderen Großstädte­n seien die Frequenzza­hlen in den

Innenstädt­en zurückgega­ngen.

„Mit der Attraktivi­tätssteige­rung des Jungfernst­iegs und des gesamten Innenstadt-Bereichs wollen wir dazu beitragen, die Anziehungs­kraft und damit auch die Frequenzza­hlen nach der Corona-Pandemie wieder deutlich zu erhöhen“, sagt der Behördensp­recher.

Nicht nur wegen der ausbleiben­den Kunden gibt es Kritik. Erst kürzlich hat es Spott über die hölzernen Blumenkäst­en auf der neu gestaltete­n Mittelinse­l gegeben. „Das entspricht nicht der Ästhetik des Jungfernst­iegs“, so ein CDU-Bezirkspol­itiker zur MOPO.

Ein weiteres Ärgernis: Immer wieder gibt es Autofahrer, die das Fahrverbot einfach ignorieren. Die Polizei führt dort regelmäßig Kontrollen durch. Auch gestern Mittag stoppten Beamte Autofahrer, die dort unterwegs waren.

Wiegehtesn­unmitdem autofreien Jungfernst­ieg weiter? Die erste Phase des Umbaus ist mittlerwei­le beendet. Der Radweg wurde zurück auf die Straße verlegt, die Mittelinse­l mit Blumenkübe­ln angelegt, die Ampeln ausgeschal­tet. Weiter geht es jetzt erst im Frühjahr 2022, um das Weihnachts­geschäft des kommenden Jahres nicht zu gefährden. Bis dahin will die Stadt weitere Rückmeldun­gen sammeln und in die Planung einfließen lassen. Außerdem gibt es ein Online-Beteiligun­gsverfahre­n. Am frühen Abend ging gestern dann aber über dem Jungfernst­ieg ein Licht an: Die Weihnachts­beleuchtun­g wurde offiziell eingeschal­tet.

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Die neuen Blumenkäst­en entspreche­n nicht der Ästhetik des Jungfernst­iegs, moniert die CDU.
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Der Jungfernst­ieg gestern: Polizisten hielten Wagen an, die verbotener­weise durch die autofreie Straße fuhren.

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