Hamburger Morgenpost

Der HSV kämpft gegen die bösen Geister

Wie geht der Verein mit den ersten Nackenschl­ägen dieser Spielzeit um?

- VOM HSV BERICHTEN SIMON BRAASCH UND FLORIAN REBIEN redaktion-sport@mopo.de

Und schon sind sie wieder da, diese Diskussion­en. War das 1:3 gegen Bochum nur ein Ausrutsche­r, der mal kommen musste? Oder ist der HSV dabei, sich von einer Tristesse umschlinge­n zu lassen, die ihm schon in den Vorjahren das Leben schwer machte? Das Gute: Er hat es selbst in der Hand, all das zu beantworte­n.

Zumindest äußerlich war alles wie immer. Als Daniel Thioune am Montag inmitten seiner Profis auf die Plätze im Volkspark marschiert­e, grüßte und lächelte der 48-Jährige in die Runde aus Fans und Journalist­en. Ein freundlich­es „Moin“kam ihm über die Lippen, wie zuvor bei allen Siegen nun auch nach der ersten Pleite dieser Spielzeit. Die offensicht­liche Botschaft: Thioune ist ein höflicher Mensch. Die versteckte, aber vor allem für seine Profis nicht minder wichtige: Der Trainer ist weit davon entfernt, Anzeichen des Frusts erkennen zu lassen.

Er wird die Unkenrufe dennoch wahrnehmen. „Geht doch schon wieder los!“„Läuft alles wie in den beiden Vorjahren!“So in etwa ist der häufig gehörte Tenor. Der klang zuletzt nach dem spät kassierten 1:1 in Kiel erstmals an. Und jetzt erst recht, nach der Bochum-Pleite. Also: Alles wie immer im Volkspark?

Beim HSV sind sie bezüglich solcher Andeutunge­n sensibilis­iert. Und man gewinnt den Eindruck, dass Verantwort­liche, Trainer und Spieler eines viel mehr fürchten als ihre Zweitliga-Gegner: Den Kampf gegen die bösen Geister und eine öffentlich geführte Diskussion, ob der HSV erneut nach und nach sein großes Ziel verspielen könnte.

Auch deshalb wählte Michael Mutzel am Montag klare Worte, während Thioune mit den Reserviste­n arbeitete. Die Tendenz der jüngsten Ergebnisse sei nicht gut, erklärte der Sportdirek­tor. „Aber wir lassen uns dadurch nicht von unserem Weg abbringen. “Und deutlicher: „Wir sind Erster, haben jetzt drei Spiele nicht gewonnen und das Bochum-Spiel war nicht gut. Aber wir haben die Siege nicht überbewert­et und werden auch Niederlage­n nicht überbewert­en. Wir werden sachlich rangehen und wieder in die Spur finden.“

Nun muss man dem HSV zu Gute halten, dass die Fallhöhe enorm hoch war. Fünf Siege zum Start und damit ein neuer Vereinsrek­ord im bezahlten Fußball, das war außergewöh­nlich. Dass der Pfeil irgendwann nach unten gehen musste, war ebenso klar. „Aber wir haben nie die totale Dominanz in der Liga gefordert“, sagt Mutzel. „Wir müssen wegkommen von der Denke, dass wir über allen schweben.“

Damit hat er Recht. Doch die entscheide­nde Frage wird sein: Findet der HSV jetzt Lösungen, um auf die erste Mini-Krise sportlich antworten zu können? Und gelingt es vor den Profis, die Vergangenh­eit ausblenden?

„Wir befassen uns nicht mit den letzten beiden Jahren“, sagt Mutzel dazu und schiebt hinterher: „Es sind viele neue Spieler da und ein neues Trainertea­m. Wir schauen nicht nach hinten, weil es nichts bringt.“

Klingt einfach. Allerdings wird jeder Psychologe bestätigen, dass Negativerl­ebnisse aus der Vergangenh­eit sehr wohl immer wieder zur mentalen Hypothek werden können. Die des HSV heißt: Auch in den beiden Vorjahren startete er stark, führte

teilweise wochenlang die Tabelle an. Und schmierte dann ab. 2018/19 unter Hannes Wolf mit acht sieglosen Spielen am Stück zwischen März und Mai. Ein Jahr später, mit Dieter Hecking am Ruder, wankte der HSV bereits vor der Winterpaus­e (nur ein Sieg aus sieben Spielen) - und stürzte im Mai und Juni (nach der Corona-Pause) mit vier entscheide­nden Gegentreff­ern in der Nachspielz­eit. Traumatisc­he Erlebnisse.

Einer dieser Gegner, der den HSV schockte, wartet am Sonntag. Dann geht es nach Heidenheim, das Hamburg im Juni in der Nachspielz­eit mit 2:1 bezwang und ihn einen Spieltag vorm Saisonende von Rang drei verdrängte. „Aber da wird kein Spieler dran denken“, meint Mutzel. „Wir sind in einer völlig anderen Situation.“

Sie wollen es erst gar nicht dazu kommen lassen, dass weitere Parallelen gezogen werden können. Und tatsächlic­h sendet Thioune vielverspr­echende Signale aus. Der Trainer ist weit davon entfernt, Kritik von sich zu weisen, er ließ sie nach dem Bochum-Spiel zu. Das war bei seinen Vorgängern nicht immer so. Thioune vermittelt den Eindruck, aus eigenen Fehlern lernen zu wollen. Demut und harte Arbeit als Schlüssel zum Erfolg?

Ein guter Ansatz. Vielleicht dann doch mal weniger taktische Änderungen oder Einwechslu­ngen. Nur das mit der Erwartungs­haltung, das werden sie im Volkspark nicht ändern können. Die erste Pleite hin oder her, nach einem Viertel der Saison hat sich der HSV als TopFavorit der Liga positionie­rt. Er hat alles selbst in der Hand, so scheint es. Oder wie Mutzel es sagt: „Unser Plan kann auch mal nicht aufgehen, das wird noch öfter passieren. Ich weiß aber, dass wir uns eine Idee einfallen lassen, wie wir Heidenheim packen.“

Geht sie auf, war Bochum nur eine Niederlage. Wenn nicht, wird weiter eifrig diskutiert. So ist Fußball, so ist der HSV.

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Nach der ersten Pleite des HSV wird rund um den Volkspark wieder vermehrt diskutiert.

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