„Unsere Songs sind meine Babys“
INTERVIEW Extrabreit-Sänger Kai Havaii über das erste Album seit zwölf Jahren, ewige Hits und Corona
Extrabreit haben sich ganz schön Zeit gelassen. Nach zwölf Jahren ist jetzt ihr neues Album „Auf Ex!“erschienen. MOPOP sprach mit Frontmann Kai Havaii (63) direkt nach dem Frühstück um 9 Uhr darüber, warum es so lange gedauert hat, über Ruhrpott-Romantik, ihre ewigen Hits und – natürlich – Corona.
Schon, ich arbeite gerade an meinem neuen Roman und da setze ich mich morgens immer ein paar Stunden dran. Gleich werde ich dann auch noch mal durch Hamburg spazieren – Alster, Elbe oder der Friedhof Ohlsdorf sind meine Ziele. Normalerweise schwimme ich täglich 1000 Meter im „Kaifu“, aber das geht ja gerade nicht.
Nach zwölf Jahren gibt es ein neues Extrabreit-Album. Warum ausgerechnet jetzt?
Es hat so lange gedauert, weil der letzte Drang dazu einfach nicht da war. Aber wir haben in den letzten Jahren immer mal wieder Demos gemacht, die in der Schublade gelandet sind. Anfang des Jahres ergab es sich dann, dass unser LiveMischer, der zusammen mit seinem Partner ein sehr guter Producer ist, die Sachen etwas bearbeitet und hintereinander montiert hat, und da fanden wir das Zeug gar nicht so übel. Und mit noch drei, vier neuen Sachen hatten wir auf einmal ein Album zusammen.
Im Intro des Albums kommt auf die Frage, warum es Extrabreit noch gibt, die Antwort: „Weil wir immer noch leben.“Wird es Extrabreit geben, bis Sie sterben?
(lacht) Ich werde sicherlich nicht als Mumie auf die Bühne gehen, und ich möchte auch nicht auf der Bühne sterben, davon reden ja einige Musiker gern. Das ist ein sehr intimer Moment, bei dem ich lieber mit mir allein sein möchte. Ansonsten gilt, was wir in einem früheren Song schon mal so ausgedrückt haben: „Es ist zu spät, um aufzuhören.“Wir machen einfach weiter, solange es uns noch Spaß macht und uns die Leute noch sehen wollen.
Ein neuer Song heißt „Die Fressen aus dem Pott“. Was unterscheidet die von den Fressen aus Hamburg?
Ich bin ja in Hagen geboren, lebe aber schon seit 20 Jahren in Hamburg, ich mag die Atmosphäre hier sehr. Ich bin aber noch oft im Ruhrgebiet, weil wir da unseren Proberaum haben – und das Ankommen fühlt sich immer wie zu Hause an. Die Leute sind sehr bodenständig und proletarisch, haben eine unverblümte Sprache, sind sehr geradeaus und meistens auch sehr loyal. Das sind alles Charakterzüge, die ich sehr mag. Und je älter ich werde, desto bewusster wird mir, wie sehr mich das geprägt hat. Deswegen ist der Song eine Hommage an die Leute aus dem Pott.
Im Song „Donnerstag“gibt’s ja auch die Zeile „Wo ich geboren bin, zieht es keine Hipster hin“.
Ja, in Hagen gibt es keine! In Hamburg dafür viele und auch viele gut verdienende Leute. Hagen hat ja mal geblüht wegen Stahl und allem, aber nun einen steilen Abstieg hinter sich. Es gibt jede Menge Schulden, Arbeitslosigkeit, Leerstand und verrottende Häuser. te im Ruhrgebiet haben große Probleme mit Armut. Ich würde mir wünschen, dass der Solidaritätszuschlag nicht nur in den Osten fließt, sondern eben auch in Städte wie Gelsenkirchen, Duisburg, Dortmund und weiter.
Im Video von „Vorwärts durch die Zeit“werden viele Kinderfotos von den Bandmitgliedern gezeigt. Hat sich als Kind bei Ihnen schon abgezeichnet, dass Sie mal Rockstar, Comic-Künstler und Schriftsteller sein würden?
habe ich unheimlich gerne Wimmelbilder gezeichnet. Mein Vater war Grafiker und ein sehr guter Zeichner – von meinen Eltern bekam ich da also immer viel Bestätigung. In der Schule habe ich immer gerne Aufsätze geschrieben, das mögen ja die wenigsten. Der Umgang mit Sprache hat mir immer schon Spaß gemacht. Die Musik war nicht von Anfang an in mir drin – das ist nur durch die Punk-Explosion möglich geworden: Du kannst mit drei Akkorden Musik machen und Alltagsgeschichten mit guten Ideen erzählen. Dieser Spirit hat dazu geführt, dass ich mich getraut habe, mit der Band in den Proberaum zu gehen.
Fühlen Sie sich immer noch als Punkband?
Wir haben uns selbst nie als Punkband bezeichnet, unsere Musik war immer mehr eine Mischung aus Garagenrock, Punk und etwas Rhythm ‘n‘ Blues. Aber ohne Punk und New Wave hätte es Extrabreit nicht gegeben. Passiert es Ihnen eigentlich oft, dass Sie irgendwo sind und auf einmal Ihre Hits wie „Flieger, grüß mir die Sonne“gespielt werden?