Hamburger Morgenpost

CoronA-Revolte in Südthüring­en Merkels Appell: „Mehr miteinAnde­r!“

Hildburgha­usen hat bundesweit höchste Infektions­rate. Doch gegen den Lockdown gingen Hunderte auf die Straße. Polizei setzte Pfefferspr­ay ein Nach neuem Lockdown Debatte im Bundestag. Mehr Mitsprache gefordert

- BERLIN -

Hildburgha­usen, ein Flecken im Süden Thüringens, rund 63 000 Einwohner leben in der Region. Der Landkreis trägt den traurigen Titel als „Deutschlan­ds Corona-Hotspot Nummer eins“, was dazu führte, dass strenge Einschränk­ungen verhängt wurden. Dagegen kam es in der Nacht zu Freitag zu heftigen Protesten, die Polizei setzte Pfefferspr­ay ein.

Bereits Mitte der Woche wurde Hildburgha­usen plötzlich zum Thema der Medien: Die Zahl der Neuinfekti­onen pro 100000 Einwohner war in den sieben Tagen bis Donnerstag auf den Rekordwert von 602,9 Prozent geklettert. Zum Vergleich: In Hamburg liegt er bei 131,7, in Köln bei 183,8, bundesweit derzeit bei etwa 140.

Am 25. November 2020 hat der Landkreis Hildburgha­usen daher einen harten Lockdown erlassen: Alle 40 Kindergärt­en und 28 Schulen bleiben geschlosse­n. Das Haus verlassen darf nur noch, wer zur Arbeit gehen oder dringende Erledigung­en machen muss, wie etwa Arztbesuch­e oder Einkäufe – bis 13. Dezember.

Doch das weckte offenbar den Widerstand­sgeist vieler Hildburgha­usener: Rund 400 Menschen hatten sich trotz Ausgangsbe­schränkung­en

Angesichts der anhaltend hohen Infektions­zahlen hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) um Akzeptanz für die weiteren Corona-Einschränk­ungen geworben und die Bevölkerun­g zu Rückhalt aufgerufen. Alle

müssten

am Mittwochab­end auf dem Marktplatz versammelt. „Mindestabs­tände wurden nicht gewahrt, Masken nicht getragen und die eigene Wohnung ohne triftigen Grund verlassen“, notierte die Polizei. Den etwa 30 Beamten

„mehr denn je miteinande­r und füreinande­r einstehen“, sagte sie in einer Regierungs­erklärung im Bundestag. Aus Gesellscha­ft und Politik kamen sowohl Zustimmung als auch Kritik: So fühlen sich nicht nur Schüler und Lehrer zu wenig geschützt, auch für Heime wurde mehr Schutz angemahnt. Im Bundestag forderten Rednerinne­n und Redner, das Parlament stärker zu beteiligen. FDP-Chef Christian Lindner kritisiert­e, dass die

gelang es demnach, die Protestier­enden zu zerstreuen – auch mittels des Einsatzes von Pfefferspr­ay.

Die Teilnehmer sprachen nach Angaben von Bürgermeis­ter Tilo Kummer (Linke) von einem „Spaziergan­g“. „Ich bin fassungs

Regierung zu wenig für den Schutz von Pflegeeinr­ichtungen getan habe. Linksfrakt­ionschef Dietmar Bartsch warf der Regierung eine „Missachtun­g des Parlaments“vor. Er forderte die Kanzlerin auf, „vor der nächsten Runde“von Bund und Ländern die Herangehen­sweise zu erklären. Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter bot der Unionsfrak­tion an, gemeinsam im Parlament eine CoronaHots­pot-Strategie zu beschließe­n.

AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel kritisiert­e ganz grundsätzl­ich die getroffene­n Maßnahmen.

los“, schrieb Kummer auf Facebook. „Der Markt in Hildburgha­usen ist voller Menschen! Etliche tragen keine Masken! Was muss denn noch passieren, bis manche den Ernst der Lage begreifen?“Etliche Menschen im Kreis kämpften um ihr Leben. Ganze Kitas,

Schulen, Rettungswa­chen und Feuerwehre­n hätten in den letzten zwei Wochen in Quarantäne gemusst. „Kann man da nicht mal zwei Wochen Abstand halten?“

Das Pfefferspr­ay wurde nach Polizeiang­aben punktuell eingesetzt, um zu verhindern, dass die Protestier­enden auf eine Bundesstra­ße im Ort ziehen. 30 Teilnehmer erhielten auch eine Anzeige wegen Verstößen gegen das Infektions­schutzgese­tz.

Diese Menschen hätten damit das Signal gegeben, dass sie das Infektions­geschehen in ihrem Kreis nicht interessie­re, so ein verärgerte­r Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke). „Sie sind zwar in dem Landkreis, in dem die höchste Infektions­rate in ganz Deutschlan­d ist, aber sie signalisie­ren, dass sie die Maßnahmen zur Unterbindu­ng der Infektione­n wohl eher ablehnen“, sagte er.

Hinweise, dass der Protest rechten Ursprungs sei, gibt es nicht, dementiert­e die Polizei. Organisier­t sei das dennoch: „Die sind untereinan­der alle vernetzt, das ist dasselbe Strickmust­er wie in Leipzig und Berlin – nur kleiner.“Es habe eine aggressive Stimmung geherrscht, Mitarbeite­r von Ordnungsam­t und Polizei wurden beschimpft.

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 ??  ?? Angela Merkel gestern im Parlament.
Angela Merkel gestern im Parlament.
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Hildburgha­usen am späten Donnerstag: Hunderte Menschen protestier­en.

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