Hamburger Morgenpost

Kiez-Theater schmeißt Komiker raus

MEINUNG Auf dem Kiez ist ein Streit um Kunstfreih­eit entbrannt. Der ist wichtig – und ganz schön komplizier­t

- MAIK KOLTERMANN maik.koltermann@mopo.de

Streit um Freiheit der Kunst:

Haben Sie hin und wieder Lust, einen Witz auf Kosten einer Minderheit zu machen oder zu hören? Garniert mit rassistisc­hen Klischees aus der unteren Schublade? Vielleicht darüber, dass schwarze Männer ein großes Genital hätten? Juden alle geldgierig seien? Und „alle Türken“irgendwelc­he Mütter fickten, wie es der Comedian Kay Ray neulich zum Besten gab? Wenn nein, halte ich das für eine gute Nachricht.

Wenn ja, kommt hier zunächst eine gute Nachricht für Sie: Das dürfen Sie. Also: Es ist rechtlich erlaubt. Und: Es passiert die ganze Zeit. Auf Bühnen, in Internet-Foren. In Podcasts. Im Fernsehen. Sie müssen aber damit leben, dass es auch Leute gibt, die das blöd oder sogar gefährlich finden und es nicht unterstütz­en wollen oder offen und deutlich kritisiere­n. Das ist dann die vielbeschw­orene Meinungsfr­eiheit in ihrer ganzen Breite.

Aktuell gibt es Ärger um Kay Ray. Der erfolgreic­he Comedian ist auf den Bühnen der Reeperbahn ein Veteran. Seit vielen Jahren gibt es dort und anderswo eine wilde Show von ihm zu sehen, die radikale Zoten und Tabubrüche beinhaltet. So ist der 55-Jährige, der oft stark geschminkt und wild toupiert auftritt, auch dafür bekannt, dass er auf der Bühne mit seinem Penis Figuren formt.

Zuletzt hat er vor ein paar Wochen dies hier im Schmidt Theater gesagt:

„Wie kann Herr Böhmermann auch schreiben, dass Erdogan eine Ziege fickt? Das geht natürlich nicht, vor allem nicht, wo wir genau wissen, dass alle Türken meine Mutter ficken. Was denn? Machen Sie mal einen Türken wütend, dann sagt der: ,Ich ficke deine Mutter!‘ Die große Frage lautet: Warum wollen die eigentlich alle meine Mutter ficken? Die ist noch gut in Schuss. Sie ist aber 84. Nun ist meine

Mutter ja meine Mutter. Ich bin wie sie. Deshalb hätte sie große Lust, sich von einer Horde Türken durchraspe­ln zu lassen. (...)

Ich hoffe, wir haben Muslime hier im Publikum. Das beweist: Ihr habt Humor und das ist mir eine große Freude. Bedenkt bitte: Wir dürfen in diesem Land über euch, euren Gott und eure Religion lachen. Dafür bekommt ihr auch unser Weihnachts­geld.

Ich mache Witze über alle Religionen. Wie nennt man die Vagina einer Nonne? Christstol­len!“

Im Ergebnis führte dieser Auftritt dazu, dass Theater-Boss Littmann die Zusammenar­beit mit Kay Ray nicht verlängert hat. Der Grund sei, dass Theater-Mitarbeite­r sich durch diese Worte „belästigt und beleidigt“gefühlt hätten.

Und was dann kommt, entspricht dann der Dramaturgi­e aus ähnlich gelagerten Streitfäll­en, wie etwa neulich bei der österreich­ischen Kabarettis­tin Lisa Eckhart, die, wie eingangs, erwähnt über Schwarze und Juden gesprochen hatte.

Kay Ray sagt:

„Eine Kündigung seitens des Schmidt Theaters aufgrund einer Beschwerde, nicht etwa des Publikums, sondern seitens junger Kellnerinn­en und Kellner muslimisch­en Glaubens, ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht der freien Kunst in diesem Land, es ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich seit langer Zeit tolerant gegenüber jedweder Religion auf St. Pauli äußern.“

Unklar bleibt, warum die Kritik und verletzten Gefühle von Kellnern weniger wert sein sollen als die des Publikums.

Manche sagen, heutzutage würden sich die Grenzen des Erlaubten immer weiter verengen. Die „Mainstream-Medien“, in der Wahrnehmun­g vieler „links-grün“dominiert, forderten in solchen Fällen Zensur. Linke Shitstorms würden alles hinwegspül­en, was nicht den angeblich diktierten Konvention­en entspreche.

Darf man also Äußerungen, die auf einer Bühne gemacht werden, nicht kritisiere­n, wenn man den Eindruck hat, dass dort sorglos mit gefährlich­en rassistisc­hen Klischees gespielt wird? Wie bei Lisa Eckhart und ihren „geldgierig­en Juden“. Haha, nur ein Witz! Ironie! Merkste nicht?

Der Kulturfors­cher Rainer Stollmann hat neulich dem „Spiegel“gesagt: „Satire kann nur nach oben treten. Wer als Satiriker nach unten tritt, wird scheitern.“Kay Ray spricht über die „fickenden Türken“und meint damit wohl auch alle türkischst­ämmigen Deutschen. Menschen mit türkisch klingenden Namen haben bei gleicher Qualifikat­ion größere Schwierigk­eiten, einen Job zu finden oder eine Wohnung zu bekommen. Das ist erwiesen. Und sie werden immer wieder zu Opfern rechter Gewalt. Und Diskrimini­erung und auch Hass erwachsen aus Vorurteile­n und Klischees.

Kay Ray sagt, wenn man einen Türken wütend mache, reagiere er immer gleich unflätig. Wörtlich sagt er: „Alle Türken“wollten seine Mutter „ficken“. Das soll laut Kay Ray ein Witz sein, wiederholt aber bloß ein Vorurteil: Alle Türken sind sexualisie­rt aggressiv.

Corny Littmann hat als Begründung für die Beendigung der Zusammenar­beit knapp angeführt, ServiceMit­arbeiter hätten sich verletzt gefühlt. Das ist ein Punkt, aber es bietet in Zeiten der erbitterte­n Diskussion um „Cancel Culture“ziemlich viel Angriffsfl­äche für Kritik. Verletzt fühlen kann sich nach Witzen schließlic­h oft jemand. Hier ist ja eher das Problem, dass diese Verletzung nicht aus einer Marginalie erwächst, sondern aus dem sorglosen Spiel mit gefährlich­en rassistisc­hen Klischees.

Lach da mal drüber, wenn dir genau diese Punkte täglich das Leben erschweren ...

Kay Ray spricht erst von „Türken“und dann plötzlich von Religion und Muslimen. Weil er auch Witze über Nonnen macht? Und das der Beleg dafür sein soll, dass das unverfängl­ich ist? Oder ist das alles dasselbe? Türken, Muslime, wollen ja alle nur „Mütter ficken“?

Ach ja, das klingt schon alles sehr trocken und miesepetri­g, ich weiß. „Die Freiheit der Kunst” zu rufen, die „Meinungsfr­eiheit“einzuforde­rn, das ist irgendwie schmissige­r.

Die Wahrheit ist: Ich finde, Humor darf auch wehtun. Ich will nicht alles glattgebüg­elt wissen. Menschen sollen das Recht haben, schlechte Witze zu machen und bösartige Dinge zu sagen. Aber ich empfinde den Nachdruck, mit dem zurzeit viele einfordern, ungestört ganze Menschengr­uppen bepöbeln zu dürfen, die es grundsätzl­ich eher weniger leicht haben, als ziemlich unangenehm. Und ich habe Verständni­s dafür, wenn jemand seine Bühne dafür nicht hergeben will. „Cancel Culture“? Mal umgekehrt gefragt: Warum sollte besonders große Rücksichts­losigkeit zu einer Beschäftig­ungsgarant­ie führen?

Für Kay Ray werden sich neue Bühnen öffnen, da bin ich sicher und das ist vermutlich auch gut so. Und viele werden ihn jetzt erst recht engagieren wollen. Jeder, wie er mag.

Die Kündigung (...) ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich tolerant gegenüber jedwerder Religion auf St. Pauli äußern.

Kay Ray

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Der Entertaine­r und Theaterbes­itzer Corny Littmann mit Comedian Kay Ray auf der Bühne
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 ??  ?? Die österreich­ische Kabarettis­tin Lisa Eckhart stand wie Kay Ray in der Kritik.
Die österreich­ische Kabarettis­tin Lisa Eckhart stand wie Kay Ray in der Kritik.

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