Hamburger Morgenpost

Die harte Arbeit eines Sozialarbe­iters

ST. PAULI Michael Rulfs ist Sozialarbe­iter im „CaFée mit Herz“. Er hilft Menschen am Rande der Gesellscha­ft

- Von WIEBKE BROMBERG (TEXT) und MARIUS RÖER (FOTOS)

Fahrrad hier, Fahrrad da. Immer dieses Fahrrad. Jacky kann es nicht mehr hören. Als ihr Freund zum dritten Mal breit grinsend an ihr vorbeirade­lt, flippt die Frau mit dem pinken Irokesen-Haarschnit­t aus. „Der mit seinem Scheiß-Fahrrad. Fahrrad am Arsch. Fahrrad, du Schlampe“, pöbelt sie und tritt in die Luft. „Und deine Freundin kann verrecken, ist dir scheißegal.“Die junge Punkerin schwankt den Gehweg der Reeperbahn entlang. Michael Rulfs (44) schüttelt lächelnd den Kopf. „Keine Ahnung, wie die zwei es schaffen, zusammenzu­bleiben. Aber sie schaffen es.“Der Mann kennt die Pöbeleien, die Probleme, aber auch die Herzlichke­it und den Zusammenha­lt. Er ist Sozialarbe­iter im „CaFée mit Herz“– ein Ort auf St. Pauli für Menschen am Rande der Gesellscha­ft. An dem sie Essen und Kleidung bekommen. Und noch viel wichtiger: ein Stück Würde.

Mehrere Männer mit Tüten und Rucksäcken sitzen am Rande des Alten Elbparks auf den Treppenstu­fen. Der Regen prasselt auf das geschwunge­ne Dach über ihnen. Sie warten. Schweigend. In einer halben Stunde öffnet das „CaFée mit Herz“– der „soziale Hafen auf St. Pauli“. Hier bekommen Bedürftige Frühstück und Mittagesse­n. Zudem gibt es eine Kleiderkam­mer, Duschen und ärztliche Versorgung. Und die Sprechstun­de von Michael Rulfs. „Zu mir kommen Menschen, die durch unterschie­dlichste Schicksals­schläge aus der Bahn geworfen wurden“, sagt der Sozialarbe­iter, der seit einem Jahr dabei ist.

Häufig beginnt der Abstieg mit dem Jobverlust. Für die meisten Menschen ein harter Schlag. Für manche sogar das Ende ihres bisherigen Lebens. „Sie schaffen es nicht mehr, sich um die einfachste­n Dinge zu kümmern.“Es gibt nur noch eine Richtung: abwärts. Partner weg. Kinder weg. Wohnung weg. Am Ende passt das alte Leben in eine Plastiktüt­e. „Was für uns ein Meter ist, kann für diese Menschen eine Meile sein“, sagt der Mann. Selbst anonym in seine offene Sprechstun­de zu kommen, falle vielen immens schwer. Zu groß ist die Scham. „Ich habe hier Menschen, die mal voll im Leben standen, die Familien hatten und sogar manchmal Führungsve­rantwortun­g in Unternehme­n.“

Wenn sie nicht zu ihm kommen, kommt Michael zu ihnen. Dann schnappt er sich sein wichtigste­s Kommunikat­ionsInstru­ment, die große silberne Thermoskan­ne mit Kaffee, und fährt mit seinem Bus über St. Pauli. Wie an diesem Vormittag. Der Sozialarbe­iter freut sich: Direkt vor „Kentucky Fried Chicken“ist ein Parkplatz frei. Kaum hat er die Schiebe

Was für uns ein Meter ist, kann für diese Menschen eine Meile sein. Sie schaffen es nicht, sich um einfachste Dinge zu kümmern. Michael Rulfs

Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite

Newspapers in German

Newspapers from Germany