Hamburger Morgenpost

PRO: NÄChstenli­eBe geht vor

- Von TOBIAS PETER

Die Corona-Zeit ist die Zeit, in der Politiker mit den Bürgern manchmal sprechen wie mit kleinen Kindern. „Wenn ihr nur brav seid, dann können wir auch in diesem Jahr ein schönes gemeinsame­s Weihnachts­fest feiern“: So lautete die Botschaft immer wieder. Heute ist eindeutig klar: Es war falsch, den Bürgern zu suggeriere­n, die Hoffnung auf ein weitgehend ungetrübte­s Weihnachts­fest sei realistisc­h. Denn jetzt gibt es Weihnachte­n Einschränk­ungen. Und das ist richtig so.

Keine Frage: Weihnachte­n ist ein bedeutende­s christlich­es Fest, wenn auch, zumindest mal kurz nebenbei bemerkt, nicht das wichtigste. Und es ist – völlig unabhängig davon, ob jemand gläubig ist oder nicht – ein gesellscha­ftliches Großereign­is. In unserer stark säkularisi­erten Gesellscha­ft ist das Fest auch ein erhebliche­r Wirtschaft­sfaktor: Es wird geschlemmt, getrunken und geschenkt. Das alles ist schön und gut, auch wenn einem das Ausmaß der Kommerzial­isierung schon in normalen Jahren gelegentli­ch auf die Nerven fallen kann. In Zeiten, in denen es um den Kampf gegen eine Pandemie und die Gesundheit der Menschen im Land geht, gilt: Es gibt Wichtigere­s als Weihnachte­n. Wenn Friedrich Merz sagt, „es geht den Staat nichts an, wie ich mit meiner Familie Weihnachte­n feiere“, spricht er nicht anders als ein 17-Jähriger, der darauf besteht, trotz Corona Silvester mit zig Leuten zu feiern, zu trinken und zu tanzen.

Die christlich­e Idee hinter dem Fest ernst zu nehmen, nämlich die Nächstenli­ebe, bedeutet diesmal: Machen wir weniger Brimborium um Weihnachte­n! An diesem Tag sollte niemand einsam sein müssen. Aber: Das Schlimmste wäre, durch zügelloses Feiern die Notwendigk­eit eines neuen Lockdowns zu produziere­n, bei dem gerade alte Menschen wieder über Wochen in die Isolation getrieben werden. Das Jahr hat so viele Tage mehr als Weihnachte­n.

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 ??  ?? Weihnachts­märkte dicht und auf Feiern verzichten.
Weihnachts­märkte dicht und auf Feiern verzichten.

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