Hamburger Morgenpost

Zwölf Quadratmet­er Glück

CORONA-HILFE Organisati­on bringt Obdachlose in Hotels unter – und zwar den ganzen Winter

- Von CAROLA GROSSE-WILDE

Zwei Betten, zwei Klappstühl­e, ein Schrank, ein kleiner Tisch und ein kleiner Fernseher: So sieht das neue Zuhause von Volker Mähl aus. Keine richtige Wohnung, sondern ein Zimmer von 12 Quadratmet­ern – und doch ist der 65-Jährige glücklich: „So komme ich gut über den Winter!“Zum Schutz vor dem Coronaviru­s und der Kälte bringt ein Hamburger Bündnis gemeinnütz­iger Organisati­onen jetzt obdachlose Menschen bis März in einem Hotel unter.

Im Gegensatz zu Mähls letztem Winter, den er draußen im Freien verbringen musste, freut sich der ehemals Obdachlose über ein bisschen Wärme und Schutz vor dem Coronaviru­s. Der freundlich­e Hamburger mit langem, weißem Bart und wachen, blauen Augen ist einer von 20 Obdachlose­n, die seit dem 9. November die Straße gegen ein Hotelzimme­r tauschen konnten.

Ermöglicht hat das ein Bündnis gemeinnütz­iger Organisati­onen, das sich schon während des ersten Lockdowns im Frühjahr um Menschen auf der Straße gekümmert hat. „Wir haben aus der ersten Corona-Welle im März dieses Jahres gelernt. Daher warten wir nicht mehr, bis sich Verantwort­liche in Hamburg um den angemessen­en Schutz für Obdachlose kümmern, und handeln selbst“, sagt Nikolas Migut, Initiator der Aktion „Hotels for Homeless“und Gründer des Vereins „Strassenbl­ues“. Weitere Unterstütz­er sind „CaFée mit Herz“, „GoBanyo“, „Hamburger Gabenzaun“, „Hanseatic Help“, „JesusCente­r“und „Pfand gehört daneben“.

Seit dem 9. November wohnen inzwischen 20 obdachlose Menschen in einem einfachen Hotel in der Nähe der Sternbrück­e im Schanzenvi­ertel. Sie sind in kleinen Einzelzimm­ern untergebra­cht. Ehrenamtli­che kümmern sich um Essen, Hygieneart­ikel, Wäschegeld und eine persönlich­e Betreuung.

„Wir möchten den Menschen langfristi­g eine Perspektiv­e geben, die sie zurück ins System und aus der Obdachlosi­gkeit führen soll“, sagt Migut. Er wünscht sich, dass das Projekt Modellchar­akter hat und in ähnlicher Form von der Stadt Hamburg übernommen wird. „Wir machen das jetzt einfach mal und zeigen, wie es gehen könnte.“

Volker Mähl ist von dem Projekt begeistert. Seit sechs Jahren lebt der gelernte Tischler auf der Straße. „So etwas sollte selbstvers­tändlich sein“, meint der 65-Jährige und verweist auf die Menschenre­chte der Vereinten Nationen, die auch das Recht auf Wohnen beinhalten. Auf die städtische­n Unterkünft­e für Wohnungslo­se ist er nicht gut zu sprechen. „Dort musste man immer mit jemand Fremdem das Zimmer teilen, es gab Drogen, Alkohol und häufig Auseinande­rsetzungen“, erzählt er. Das Winternotp­rogramm sei noch schlimmer. „Da habe ich lieber draußen geschlafen.“Da er Hartz-IV bekomme, habe er sich immer etwas zu essen kaufen können.

Für die Unterbring­ung im

Hotel hat der Verein „Strassenbl­ues“aus eigenen Mitteln 50 000 Euro eingesetzt und inzwischen weitere 30000 Euro Spenden gesammelt. Doch die 20 Obdachlose­n, die bisher profitiere­n, sind nur ein kleiner Teil, viele müssen weiterhin auf der Straße leben. Jeweils rund 4000 Euro werden benötigt, um einen obdachlose­n Menschen für fünf Monate vor Corona und Kälte zu schützen und in einem Hotel-Einzelzimm­er unterzubri­ngen.

„Wir wünschen uns, dass die Obdachlose­n hier etwas zur Ruhe kommen können und sich auch Gedanken machen können, wie es weitergehe­n soll“, sagt Migut. So wie Volker Mähl. Stolz zeigt er auf seinem Computer die Skizze von einem Wohnwagen aus Holz. „Das ist einer meiner Träume“, erzählt er. Den Wohnwagen könne er sogar selber bauen. Nur einen Ort, wo er ihn aufstellen kann, sucht er noch.

Wir warten nicht mehr, bis sich Verantwort­liche kümmern, und handeln jetzt selbst. Nikolas Migut

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Seit sechs Jahren lebt der gelernte Tischler Volker Mähl schon auf der Straße.
Endlich zu Hause: Volker Mähl in seinem Hotelzimme­r Seit sechs Jahren lebt der gelernte Tischler Volker Mähl schon auf der Straße.

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