Hamburger Morgenpost

„Marcelo Díaz hat meine Karriere beendet“

SPIEL DES LEBENS Marcell Jansen fiel in der Relegation in Karlsruhe aus – und litt wie nie zuvor

- FLORIAN REBIEN florian.rebien@mopo.de

Mir ging durch den Kopf: Ich kann so nicht aufhören. Wenn wir absteigen, dann spiele ich halt weiter.

Marcell Jansen

Acht Millionen Euro bezahlte der HSV im Sommer 2008, um Marcell Jansen vom FC Bayern in den Volkspark zu holen. Mit dieser Ablösesumm­e gehört der ehemalige Nationalsp­ieler auch heute noch zu den Top Ten der teuersten HSV-Zugänge aller Zeiten. Sieben Jahre stand Jansen als Profi beim HSV unter Vertrag. Er machte 187 Spiele, erzielte 24 Tore und bereitete 20 Treffer vor.

Was war für Jansen das HSVSpiel seines Lebens? „Das ist eine sehr schöne, aber gleichzeit­ig auch sehr schwierige Frage“, sagt der 35-Jährige, der als Spieler in Hamburg eine sehr abwechslun­gsreiche Zeit erlebte. „Es gab viele emotionale Highlights für mich. Ich hatte das Glück, viele Halbfinals spielen zu dürfen und in der Bundesliga die obere Hälfte zu sehen. Aber es gab auch ganz viele Abstiegskä­mpfe. Zum Glück habe ich als Spieler beim HSV den Abstieg nicht erlebt.“

Bei der Wahl seines HSVSpiels des Lebens hat sich Jansen letztlich für eine Partie entschiede­n, bei der er gar nicht auf dem Platz stand. Es war das Relegation­srückspiel 2015 in Karlsruhe. Jansen: „Es war für mich einerseits das emotionals­te Spiel und es hatte auf der anderen Seite für mein

Leben eine sehr große Wichtigkei­t.“In der MOPO erzählt Jansen erstmals seine ganz persönlich­e Geschichte dieses Spiels.

Der Linksfuß hatte sich damals kurz vor dem Saisonende

eine Muskelverl­etzung zugezogen und konnte die beiden Relegation­sspiele gegen Karlsruhe nur als Zuschauer verfolgen. Das Hinspiel im Volkspark endete 1:1, zum Rückspiel nach Karlsruhe

reiste Jansen privat im Zug zusammen mit Gojko Kacar und Artjoms Rudnevs, die ebenfalls beide nicht spielen konnten.

„Ich kannte die Relegation schon vom Jahr davor in

Fürth. Nach Karlsruhe zu fahren, war für mich trotzdem ein ganz komisches Gefühl. Einerseits weil ich auf dem Platz nicht helfen konnte. Und dann war da noch etwas, was es für mich ganz

besonders gemacht hat. Ich wusste für mich schon – und das wusste sonst zu dem Zeitpunkt wirklich noch keiner, nicht mal meine Eltern, dass ich aufhören werde als Profi. Ich habe es erst mal mit mir herumgesch­leppt und bin so nach Karlsruhe gefahren.“

Dort erlebte Jansen ein irres Wechselbad der Gefühle, bei dem dann auch sein eigentlich schon beschlosse­nes Karriereen­de plötzlich wieder auf der Kippe stand. Das Spiel in Karlsruhe lief nicht so wie erhofft. Reinhold Yabo brachte den KSC in der 78. Minute mit 1:0 in Führung. Jansen saß zusammen mit Rudnevs und Kacar auf der Tribüne direkt hinter der Spielerban­k. Er erinnert sich: „Während des Spiels sind wir von einigen KSCFans angegangen worden. Das war nicht schön. Es gab sehr viel Spott und sehr viel Häme.“

Kurz vor Schluss stand es immer noch 1:0 für den KSC, der HSV wäre damit abgestiege­n. „Das Spiel war so gut wie gelaufen“, erzählt Jansen, der die letzten Minuten fast nur noch auf den Boden schaute. Er erlebte, wie neben ihm bereits ein Tisch mit Champagner-Flaschen und Aufstiegs-TShirts aufgebaut wurde und der Stadionspr­echer sagte, dass man gleich bei den Feierlichk­eiten die Gäste aus Hamburg mit Respekt behandeln soll. Selbst war er wie in einer Parallelwe­lt und machte sich noch mal über alles Gedanken.

„Mir ging durch den Kopf: Was mache ich jetzt? Ich kann so nicht aufhören. Wenn wir absteigen, dann spiele ich halt weiter. Notfalls auch umsonst. Der HSV war für mich die intensivst­e und geilste Zeit als Profi. So von der Bühne in ein neues Leben zu gehen, das konnte ich nicht machen. Ich habe alles noch mal hinterfrag­t. Ich hatte das Bild vor Augen, jetzt laufen hier gleich alle auf den Platz und wir sind das erste Mal in der Zweiten Liga. Das war so eine Last. Das hat mich sehr getroffen.“

Mitten in diesen Moment hinein klopfte Gojko Kacar auf Jansens Schulter. „Er sagte zu mir: ‘Cello, Cello, Freistoß!’ Ich weiß es noch genau, ich guckte zu ihm nach oben und meinte nur: ‘ja super’. So nach dem Motto: Ich glaube nicht, dass Rafa den jetzt reinschieß­t. Der hat die letzten Wochen einfach auch nicht getroffen. Warum sollte er jetzt?“

Jansen hatte keine Hoffnung mehr. Als er dann auch noch sah, dass van der Vaart und Marcelo Díaz auf dem Platz diskutiert­en, wurde es nicht besser. „Ich dachte, Rafa schießt normal, er lief aber gar nicht an. Dann hat plötzlich Díaz geschossen. Ich habe das gar nicht so richtig wahrgenomm­en, weil ich noch dachte, wie kann man in so einer Situation jetzt streiten. Und auf einmal geht der Ball ins Tor.“

Jansen stürmte zusammen mit Kacar und Rudnevs auf den Platz. Bei der Rückkehr wurden sie von den KSCFans noch mehr beschimpft. In der Verlängeru­ng traf Nicolai Müller zum 2:1. Der HSV schaffte den Klassenerh­alt und Jansen war frei für seinen Schritt in ein neues Leben.

„So einen Verlauf wie es ihn in diesem Spiel gab, das kann nicht mal Steven Spielberg schreiben. Mir ist so viel Last abgefallen. Das war für mich das krasseste Gefühl. Ich war wie in Ohnmacht“, sagt Jansen, für den es das emotionals­te Erlebnis als HSV-Profi und damit auch das HSV-Spiel seines Lebens war. Erst ein paar Tage nach dem Spiel in Karlsruhe erzählte er seiner Familie und seinen engsten Freunden erstmals, dass er mit 29 Jahren seine Karriere beenden wird. Heute sagt er: „Marcelo Díaz hat mit seinem Freistoßto­r meine Karriere beendet. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Wäre der HSV in Karlsruhe abgestiege­n, hätte ich nicht aufhören können.“

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 ??  ?? Marcell Jansen und Marcelo Díaz im Februar 2015 nach einem 3:0-Sieg des HSV in Paderborn.
Marcell Jansen und Marcelo Díaz im Februar 2015 nach einem 3:0-Sieg des HSV in Paderborn.
 ??  ?? Geschafft! Der freudetrun­kene Marcell Jansen nach dem Sieg im Relegation­sspiel, das sein Karriereen­de besiegelte.
Geschafft! Der freudetrun­kene Marcell Jansen nach dem Sieg im Relegation­sspiel, das sein Karriereen­de besiegelte.
 ??  ?? Der Chilene Marcelo Díaz (2.v.l.) tritt den Freistoß gegen Karlsruhe und gleicht zum 1:1 aus.
Der Chilene Marcelo Díaz (2.v.l.) tritt den Freistoß gegen Karlsruhe und gleicht zum 1:1 aus.
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