Misshandelt im Erholungsheim
KINDERVERSCHICKUNG Jungen und Mädchen wurde auf Kur Gewalt angetan. Eine e Betroffene berichtet
Einmal habe ich die falsche Toilette benutzt und bin ganz furchtbar dafür bestraft worden.
Sabine Schwemm
Sie sollten „aufgepäppelt“werden, jedoch erlitten viele von ihnen körperliche und seelische Qualen. Über Missstände in Erholungsheimen für Kinder wurde lange geschwiegen. Jetzt gibt es eine erschütternde Dokumentation über eine Einrichtung im Kreis Hildesheim.
In der Kinderheilanstalt Bad Salzdetfurth in Südniedersachsen hat es Ende der 1960er Jahre eklatante Missstände und Gewalt gegeben. Die Berichte von Betroffenen, die als Kinder dorthin geschickt wurden, untermauert jetzt auch eine wissenschaftliche Untersuchung. Im Auftrag der Diakonie Niedersachsen sollte vor allem der Tod von drei Kindern im Jahr 1969 aufgeklärt werden.
Hunderttausende Kinder wurden nach dem Krieg bis in die 1980er Jahre zur Erholung ohne Eltern in Sammeltransporten „verschickt“. Betroffene berichten von Gewalt, Drohungen, Demütigungen und brutalem Zwang zum Essen. Ein erklärtes Ziel war die Gewichtszunahme der kleinen Städter. Mitte der 1960er Jahre gab es bundesweit mehr als 800 solcher Einrichtungen.
Die Anstalt in Bad Salzdetfurth gehörte zur Inneren Mission, einem Vorgänger der Diakonie. Im Mai 1969 wurde dort der fast vierjährige André von drei Sechsjährigen zu Tode geprügelt. In diesem Fall ermittelte die Staatsanwaltschaft Hildesheim, sah aber keine Verletzung der Aufsichtspflicht.
Allerdings nahm sie auch an, dass bei ausreichender personeller Besetzung der Tod hätte vermieden werden können, wie es in der Dokumentation des Historikers Stefan Kleinschmidt heißt.
Erst nach dem Tod von André wurden zwei vorangegangene Todesfälle der Aufsichtsbehörde gemeldet. Der 1962 geborene Stefan fiel im März 1969 nach dem Essen in Ohnmacht und lief blau an. Der Obduktion zufolge erstickte er an Erbrochenem. Ehemalige Verschickungskinder berichten auch davon, sie hätten unter Zeitdruck essen oder sogar Erbrochenes aufessen müssen. Die kleine Kirsten starb ebenfalls im März 1969 infolge einer Infektion. Bei allen Fällen könne man zumindest ansatzweise Fahrlässigkeit unterstellen, heißt es im Fazit der Untersuchung.
Sabine Schwemm war als Vierjährige Ende 1968 zur Erholung in der Kinderheilanstalt Bad Salzdetfurth. „Das Schlimmste war, dass ich dort geschlagen wurde“, sagt sie. Sie habe ihrer Mutter nach ihrer Rückkehr nur von Drangsalierungen durch andere Kinder, aber nicht durch Pflegekräfte erzählt. „Einmal habe ich die falsche Toilette benutzt und bin dafür ganz furchtbar bestraft worden. Ich habe gedacht, ich sehe meine Familie niemals wieder.“Die vier Wochen im Waldhaus in Bad Salzdetfurth hätten auf ihr weiteres Leben Einfluss genommen. Den Teddy, den sie damals dabeihatte, hat sie aufbewahrt. „Ich hatte immer Angst. Die Angst habe ich mitgenommen aus dem
Waldhaus.“
Die Diakonie übernehme mit der Studie in vorbildlicher Weise Verantwortung, teilten Betroffenenverbände gestern mit. Nun sei neben