Hamburger Morgenpost

Zweifel An Stephan E.s Aussagen

Mordfall Lübcke: Der Angeklagte irritiert mit neuen Versionen zur Tat

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FRANKFURT - Im Prozess um den Mord an Walter Lübcke befragt die Familie den Angeklagte­n Stephan E. – doch in dessen Antworten entdeckt das Gericht neue Widersprüc­he.

Die Vernehmung ist fast vorüber, da fragt die Witwe noch einmal nach. Es ist das Letzte, was sie vom mutmaßlich­en Mörder ihres Mannes noch wissen will – und vielleicht ist es auch das Wichtigste. „Ist es wirklich wahr, dass mein Mann in den letzten Sekunden seines Lebens in das Gesicht von Markus H. geschaut hat?“, fragt also Irmgard Braun-Lübcke, die Witwe des Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke, Stephan E., der im Gerichtssa­al vielleicht sieben Meter von ihr entfernt sitzt, ihr Gegenüber. „Ja“, antwortet der. „Wirklich?“, fragt sie noch einmal nach und sieht ihn dabei mit festem Blick an.

„Ja“, sagt der wieder, als könne es gar nicht anders gewesen sein. Nur gibt es genau daran wieder neue Zweifel. Seit 35 Prozesstag­en versucht das Oberlandes­gericht Frankfurt, die Wahrheit über die Tötung Walter Lübckes herauszufi­nden, den ersten nachweisli­ch rechtsterr­oristisch motivierte­n Mord an einem Politiker in der Geschichte der Bundesrepu­blik.

Noch im Dezember sollte das Urteil fallen. Doch was Stephan E. auf Bitten der Familie Lübcke schildert, das schafft für das Gericht vor allem neue Unklarheit. „Wir haben Anlass, noch mal zum gesamten Geschehen Fragen zu stellen“, sagt Richter Thomas Sagebiel am Ende. „Wir müssen noch mal tief in das Nähkästche­n greifen.“

Dabei gibt es keinen Zweifel daran, dass es Stephan E. war, der Walter Lübcke in

Der Kasseler Regierungs­präsident Walter Lübcke wurde laut Anklage von Stephan E. kaltblütig erschossen. der Nacht auf den 2. Juni 2019 erschossen hat, ganz so, wie er es an diesem Tag erneut schildert. Demnach ist er mit Markus H., den die Bundesanwa­ltshaft wegen Beihilfe zum Mord angeklagt hat, nach WolfhagenI­stha gefahren. Beide sind zur Terrasse gegangen, auf der Lübcke an seinem Tablet-Computer gerade ein Urlaubszie­l suchte. Er, Stephan E., habe Lübcke dann erschossen.

Ob ihr Mann und Vater keine Möglichkei­t mehr gehabt habe, aufzustehe­n und zu fliehen, hatten die Lübckes von E. wissen wollen. Nein, sagt E. jetzt. „So wie er da saß, hatte er keine Möglichkei­t wegzugehen. Es sollte ja alles ganz schnell gehen.“

Es gibt in diesem Moment einen sehr eigenartig­en Gegensatz im Saal 165c. Es ist Stephan E., der bei seinen Schilderun­gen schnieft, weint, sich immer wieder unterbrich­t, mit einem Taschentuc­h die Augen trocknet. Und auf der anderen Seite sind da die Witwe und ihre beiden Söhne, die E. zunehmend distanzier­t anschauen, als mehrten dessen demonstrat­ive Gefühle nur ihre Zweifel. Was kann man Stephan E. glauben?

Die offenen Fragen beziehen sich auf die Rolle des Mitangekla­gten Markus H., der im Prozess schweigt. Stephan E. hatte dem Gericht

schon verschiede­ne Geständnis­versionen präsentier­t: Aktuelle Version: Er, E., habe geschossen, aber sie waren gemeinsam am Tatort.

Das Gericht hat nach all den Volten an H.s Mittätersc­haft Zweifel – und ihn deshalb Anfang Oktober aus der Untersuchu­ngshaft entlassen. Das wiederum halten die Familie Lübcke und ihr Anwalt Holger Matt als Nebenkläge­r für einen schweren Fehler – und haben deshalb das Gericht gedrängt, die Handakten von Stephan E.s früherem Anwalt Frank Hannig auszugswei­se zu beschlagna­hmen. Anscheinen­d gab es wohl auch bei ihm schon arge Zweifel an E.s schwankend­en Aussagen: „Der soll noch mal belehrt werden, dass wir nichts dafür können, wenn der nur Scheiße labert“, steht dort als Randnotiz.

Das Gericht will nun vieles neu klären. Die Familie Lübcke hatte sich von dem Tag endgültige Klarheit erhofft. Sie hat sie leider nicht bekommen.

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Der Hauptangek­lagte Stephan E. (r.) und sein Anwalt Mustafa Kaplan im Oberlandes­gericht Frankfurt.

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