Hamburger Morgenpost

Justiz-Panne: Hunderte Beweismitt­el vernichtet

Staatsanwa­ltschaft ließ Asservaten­kammer aufräumen. Deswegen kommen Schwerverb­recher jetzt ohne Strafe davon.

- THOMAS HIRSCHBIEG­EL thomas.hirschbieg­el@mopo.de

Hunderte Beweismitt­el vernichtet

Es geht um Messer, Schusswaff­en, aber auch um einen Bademantel, Flaschen oder Seile: Die Hamburger Staatsanwa­ltschaft hat vor gut 20 Jahren in ihrer Asservaten­kammer gründlich aufgeräumt und hunderte Beweismitt­el vernichtet. Und das rächt sich jetzt bitter.

Die Hamburger „Cold Cases“-Einheit der Kripo rollt nämlich Dutzende alte Mordfälle neu auf. Dank modernster DNA-Technik können Täter heute viel leichter überführt werden als vor 30 oder 40 Jahren. Doch dafür braucht man „Spurenträg­er“und ebendiese wurden damals entsorgt.

Irgendwann Ende der 90er Jahre erging die „Aufräum-Order“der Staatsanwa­ltschaft. Alle Staatsanwä­lte wurden aufgeforde­rt, ihre Fälle daraufhin zu überprüfen, ob in der Asservaten­kammer verwahrte Gegenständ­e für die Verfahren noch benötigt werden.

Die Asservaten­kammer der Staatsanwa­ltschaft befindet sich im Keller des Strafjusti­zgebäudes am Sievekingp­latz. Über die Jahre war es dort eng geworden. In den Regalen stapelten sich Tausende Gegenständ­e, von der Maschinenp­istole bis zur Zahnbürste. Statt weitere Räume zu nutzen, begann die fatale Aufräumakt­ion.

Damals wurden Kapitalver­brechen wie Tötungsdel­ikte noch nicht von spezialisi­erten Staatsanwä­lten bearbeitet. Die Fälle wurden nach Buchstaben der Verdächtig­en willkürlic­h an Staatsanwä­lte vergeben. Diese hatten dann aber ohne jede Erfahrung mit Morden zu entscheide­n, was entsorgt werden konnte. Außerdem gibt es erst seit 1998 beim BKA eine zentrale DNA-Datei. Die Technik steckte damals noch in den Kinderschu­hen. Viele Juristen erkannten ihre Bedeutung für die Überführun­g von Straftäter­n noch nicht.

Noch schlimmer: Die Aufräum-Aktion fand ohne Einbeziehu­ng der Mordkommis­sion statt. Die Kripoleute raufen sich heute darüber die Haare und befürchten, dass viele alte Fälle deswegen nie mehr aufgeklärt werden können.

Schon 2012 ist deswegen ein Prozess geplatzt. Es ging um den Mord an einer jungen Frau 1983. Bei der Tat war ein Bademantel sichergest­ellt worden, den das Opfer getragen hatte. Und daran war damals das Haar eines Verdächtig­en gefunden worden. Auch eine Gardinenko­rdel, die bei dem Mord eine Rolle gespielt hatte, war von der Staatsanwa­ltschaft entsorgt worden. Der Angeklagte wurde freigespro­chen.

Aktuell geht es auch um den Aufsehen erregenden Prozess um eine fast tödliche Messeratta­cke auf ein 16-jähriges Mädchen 1980 in Steilshoop. 2018 war ein Verdächtig­er von Steven

Baack, dem damaligen

Leiter der Cold-CasesEinhe­it, vor Gericht gebracht worden. Der war dabei zu ehrgeizig vorgegange­n. Wegen seiner Vernehmung­sund Ermittlung­smethoden hatte ihn die Richterin harsch kritisiert. Sie sprach den Angeklagte­n frei. Auch in diesem Fall hätte es vielleicht nicht so weit kommen müssen, wenn nicht die Tatwaffe, ein großes Messer, noch 2001 vernichtet worden wäre.

Das Beweismitt­elProblem gibt es bundesweit: 2019 wurde in Bremen ein Mann freigespro­chen, weil nach einem Mord 1984 die Tatwaffe, eine Kornflasch­e, vernichtet worden war.

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Aktueller „Cold Cases“-Fall: Iris Schwarz verschwand 1980 in Wandsbek und wurde vermutlich ermordet. Auch hier verschwand­en Beweismitt­el und sogar Teile der Akte.
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Diese Frau wurde 1983 in Bramfeld ermordet. Beweismitt­el sind vernichtet worden.
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Ein Staatsanwa­lt in der Asservaten­kammer mit einer sichergest­ellten Waffe
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Nach der Prozess-Pleite wurde „Cold Cases“Ermittler Steven Baack in eine andere Dienststel­le versetzt.
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H H e i liz o : p t o F o Amtlich vernichtet: das Messer, mit dem die 16-Jährige 1980 in Steilshoop attackiert worden war
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