Hamburger Morgenpost

HAMBURG VOR 200 JAHREN

Zeitreise: Einblicke durch einmalige Porträts von Straßenhän­dlern.

- Von OLAF WUNDER

Hamburg um 1800. Das Stadtbild wird dominiert von ineinander verschacht­elten mittelalte­rlichen Fachwerkhä­usern und engen Gassen, in die kaum ein Strahl Sonnenlich­t dringt. Auf den Straßen und Plätzen dieser Großstadt – damals hat sie 130 000 Einwohner, umfasst aber auch nur Alt- und Neustadt – ist es nie ruhig, jedenfalls nicht bei Tage: In das Gemurmel der Menschen, das Klappern der Pferdehufe, das Scheuern der Wagenräder und das Quietschen der Schott‘schen Karren auf dem Kopfsteinp­flaster mischt sich der Singsang der sogenannte­n „Ausrufer“– der fliegenden Händler, die mal lustig, mal frech, mal anzüglich ihre Waren feilbieten.

Da sind die Wasserträg­er, die insbesonde­re in der brunnenarm­en Neustadt ihre Kunden haben. Aus dem Holsteinis­chen reisen

Kleinbauer­n an, um lebende Gänse, Tauben und Hühner anzubieten. Aus den Elbmarsche­n kommen Kohl und Kartoffeln, aber auch Butter, Käse und Milch, während die Vierländer­innen Bohnen, Erdbeeren und Rosen und die Altländeri­nnen Äpfel und Kirschen verkaufen.

Natürlich spielt in der Hafenstadt Hamburg auch Fisch eine große Rolle: Die Finkenwerd­er stehen nicht nur auf hoher See, sondern auch auf dem heimischen Markt mit den Blankenese­rn in Wettbewerb und beide wiederum mit den Helgolände­rn, die mit ihren Schollen, Heringen, Krabben und Muscheln nach Hamburg kommen.

Doch die ambulanten Händler bringen nicht nur Lebensmitt­el an den Mann, sondern alle möglichen Waren des täglichen Bedarfs. In der sogenannte­n Judenbörse in der Neustadt – in der Elbstraße, die heute Neanderstr­aße heißt – bieten jüdische Händler bunte Bänder, gewebte Kanten, aber auch Gläser, Brillen, Spazierstö­cke und Hosenträge­r an. Anderswo gibt es „feine Zigarren“zu kaufen oder „holten Tüffeln“(Holzpantof­feln), Fußmatten, Blasebälge, „Zeugkneipe­n“(Wäscheklam­mern), „Schwefelst­icken“(Streichhöl­zer) und Schuhwichs­e. Sogar (in Hamburg produziert­e) Schwarzwäl­der Uhren sind zu finden.

Ein paar der Händler kommen uns aus heutiger Sicht ganz besonders kurios vor: etwa der Grashüpfer-Höker. Er fängt die Insekten während der Heuernte, sperrt sie in kleine Käfige aus Papier und verkauft sie auf der Straße an solche Leute, denen das Zirpen Vergnügen bereitet, und davon gibt es damals wohl viele.

Oder der Liedermann: Er hat vor sich neueste Liedtexte ausgebreit­et und auf

Es ist etwas ebenso Lustiges wie Ungewohnte­s, dass hier der Ausruf aller und jeder Sache singend geschieht; es ist ein Gesang, Lärmen und Gesumme auf den Gassen, als ob man an einem Bienenschw­arm horchte, ja so stark, dass man sein eigenes Wort nicht davor hören kann. Bericht eines Reisenden 1744

Wunsch des Publikums singt er sie sogar vor. Meist ist er von vielen Menschen umringt.

Und dann ist da noch einer, der sich als „öffentlich­er Lehrer für Physik“ausgibt und sein Geld mit „Elektrisie­ren“verdient. Elektrizit­ät steckt noch völlig in den Kinderschu­hen, und die neugierige­n Menschen zahlen einen Schilling dafür, dass sie mithilfe einer seltsamen Apparatur unter Strom gesetzt werden.

Die Umstehende­n schauen belustigt zu, wie der „Elektrisie­rte“allerhand komische Verrenkung­en macht und seltsame Stellungen annimmt, bevor er erschrocke­n loslässt. Was da vorgeht, versteht noch keiner. Die Wohnungen werden damals noch von Tranfunzel­n beleuchtet. Erst 1882 wird am Rathausmar­kt die erste elektrisch­e Straßenbel­euchtung in Betrieb gehen. Das geschäftig­e quirlige Leben auf Hamburgs Straßen vor 220 Jahren – es wäre heute völlig vergessen, hätte der Hamburger Künstler Christoffe­r Suhr, geboren am 29. Mai 1771, nicht 1806/1807 ein Buch herausgege­ben, das er „Der Ausruf in Hamburg“nennt. Auf 120 AquatintaR­adierungen setzt er darin den fliegenden Händlern je

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„Lachs, gerökerten Elvlachs!” bietet dieser Händler an. An seiner Tragestang­e führt er prächtige Exemplare mit sich.
„Schöne Zitron und Appelsina, so söt as mien Trina“– mit diesen Worten wurden Süd-Früchte feilgebote­n. „Lachs, gerökerten Elvlachs!” bietet dieser Händler an. An seiner Tragestang­e führt er prächtige Exemplare mit sich.
 ??  ?? „Grön Aal! Grön Aal“, so ruft die Verkäuferi­n. Aale werden damals genauso wie Lachs in der Elbe gefangen.
„Grashüpp koop, wö jy Grashüpp, hüpp, koop!“Wollt ihr Grashüpfer kaufen, so sprach dieser Händler die Passanten an.
„Grön Aal! Grön Aal“, so ruft die Verkäuferi­n. Aale werden damals genauso wie Lachs in der Elbe gefangen. „Grashüpp koop, wö jy Grashüpp, hüpp, koop!“Wollt ihr Grashüpfer kaufen, so sprach dieser Händler die Passanten an.
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Christoffe­r Suhr (1771-1842): Der bekannte Künstler hielt in seinen Bildern die Stadt Hamburg und die Menschen, die in ihr lebten, fest.

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