Hamburger Morgenpost

MOIN & SHALOM!

Jüdisches Leben in Hamburg. Was Benjamin (26) erzählt:

- NICOLA DAUMANN nicola.daumann@mopo.de

Ein Problem ist, dass so wenige Menschen etwas über das jüdische Leben wissen.

Benjamin Bigger

Die Bornplatz-Synagoge soll wieder aufgebaut werden – vergangene Woche hat der Bund eine Finanzhilf­e in Höhe von 65 Millionen Euro bewilligt. In dem wiederaufg­ebauten Gotteshaus sollen Hamburger jüdischen Glaubens künftig wieder beten können. Doch wie sieht das jüdische Leben hier eigentlich aus? Schätzunge­n zufolge leben zwischen 3500 und 8000 Juden in Hamburg. Die MOPO stellt einige von ihnen in einer Porträtser­ie vor. Wir starten mit Benjamin Bigger. Er ist 26 Jahre alt, freier Journalist und Mitinitiat­or der Initiative „Wiederaufb­au BornplatzS­ynagoge“.

Es ist kalt am Vormittag Ende November, als wir Benjamin Bigger auf dem Schulterbl­att treffen. Vereinzelt hängen schon Lichterket­ten in den Fenstern. Auch der 26-jährige Hamburger freut sich schon auf Weihnachte­n. Obwohl das Fest für ihn als Juden rein religiös gesehen keine große Rolle spielt, freut er sich auf das Beisammens­ein mit der Familie. Und es weckt Kindheitse­rinnerunge­n – denn wie andere Kinder in Hamburg hat auch Bigger mit seiner Familie Weihnachte­n gefeiert.

„Meine Familie war schon immer säkular eingestell­t“, sagt er. Bigger ist im Hamburger Norden in Wellingsbü­ttel aufgewachs­en und lebt jetzt im Schanzenvi­ertel. Er ernährt sich nicht koscher, die meisten seiner Freunde sind nicht jüdisch.

Ob er überhaupt an Gott glaubt? „Ich glaube, dass uns Menschen irgendetwa­s auf einer Metaebene verbindet“, sagt Bigger. Ob das ein Gott ist, wisse er nicht. Judentum hat für ihn weniger mit Religion und mehr mit Tradition zu tun. Mit dem Stück Apfel mit Honig, zum Beispiel, das traditione­ll am jüdischen Neujahrsfe­st Rosch ha-Schana gegessen wird, auf ein süßes neues Jahr. Oder mit dem Lichterfes­t Chanukka, das bald beginnt. In die Synagoge geht Bigger nur an den wichtigen Feiertagen.

Und trotzdem: Bei dem Trauerfall, den es gerade im engen Familienum­feld gab, gibt ihm das Totengebet „Kaddisch“Kraft und Halt, erzählt Bigger. Dann geht er doch häufiger zu Gottesdien­sten unter der Woche oder zum Schabbat-Gottesdien­st am Freitag. Das Judentum ist Bestandtei­l seiner Identität, Teil seiner Wurzeln. „Ich bin stolz darauf, Hamburger Jude zu sein“, sagt Bigger. Er mag den Zusammenha­lt in der Gemeinscha­ft. „Es gibt nicht mehr viele von uns, da ist das schon etwas Besonderes“, sagt er.

Biggers Vater kommt aus Israel, seine Mutter ist Schwäbin, die zum Judentum konvertier­t ist. Väterliche­rseits lebt die Familie schon seit zwölf Generation­en im Gebiet des heutigen Israel – direkte Opfer des Holocaust hat Biggers Familie nicht zu beklagen. Trotzdem erreichten Bigger Traumata von Familienfr­eunden bei seinen regelmäßig­en Besuchen in Israel. Auch beruflich setzt er sich mit dem Holocaust und Antisemiti­smus auseinande­r, hat Filme mit Überlebend­en gedreht.

Und auch heute ist Antisemiti­smus Teil des jüdischen Lebens in Hamburg: Bigger musste schon wegen einer Bomben-Drohung fluchtarti­g die jüdische Schule verlassen, wo er Vertretung­sunterrich­t gegeben hatte. Solche Erfahrunge­n machen vorsichtig: Seine Kippa setzt er erst auf, kurz bevor er die Synagoge betritt – aus Angst vor Anfeindung­en. Am 4. Oktober wollte Bigger zu der studentisc­hen Feier „Sushi in der Sukka“(Laubhütte) in der Synagoge Hohe Weide gehen. Er musste arbeiten – zum Glück, denn an dem Abend hat ein psychisch kranker Mann in Militärkle­idung einen jüdischen Studenten vor der Synagoge schwer am Kopf verletzt.

„Es war nur eine Frage der Zeit, bis so etwas hier bei uns passiert“, sagt Bigger. Der Antisemiti­smus habe in Deutschlan­d wieder zugenommen. „Dass heute Menschen bei Querdenker-Demos mitlaufen und sich nicht von rechtsradi­kalem Gedankengu­t distanzier­en, macht mich extrem stutzig. Und traurig“, sagt Bigger. „Ein Problem ist auch, dass so wenige Menschen etwas über das jüdische Leben wissen“, sagt er. Er hofft, dass eine neue Bornplatz-Synagoge dem als Begegnungs­ort entgegenwi­rken könnte.

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Benjamin Bigger ist 26 Jahre alt und in Wellingsbü­ttel aufgewachs­en.
 ??  ?? Besuch in Israel: Benjamin Bigger und sein Bruder 2018 an der Klagemauer in Jerusalem
Besuch in Israel: Benjamin Bigger und sein Bruder 2018 an der Klagemauer in Jerusalem
 ??  ?? MOPOVolont­ärin Nicola Daumann im Gespräch mit Benjamin Bigger
MOPOVolont­ärin Nicola Daumann im Gespräch mit Benjamin Bigger
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