Hamburger Morgenpost

Das Risiko mit den Hochrisiko­gruppen

CORONA Wie viele Kontakte dürfen Alte und Kranke haben – und wie werden sie ermöglicht? Hamburger Virologe und Pflegeheim­e erklären die Strategien

- ANN-CHRISTIN BUSCH ann-christin.busch@mopo.de

Pflegeeinr­ichtungen sind verpflicht­et, dem Gesundheit­samt ein Testkonzep­t vorzulegen.

Das Gesundheit­sministeri­um

In der vergangene­n Woche wurde ein weiterer großer Corona-Ausbruch in einem Hamburger Pflegeheim bekannt. Vorerkrank­ungen und hohes Alter machen Senioren besonders anfällig für das Virus. Wie kann es gelingen, sie zu schützen, ohne sie der Einsamkeit auszusetze­n? Welche Rolle spielen Schnelltes­ts? Wie ist die Lage in Hamburg? Die MOPO hat recherchie­rt – in den Einrichtun­gen, beim Bund und im Gespräch mit einem der Top-Virologen.

59 Bewohner und 29 Mitarbeite­r wurden bei einem groß angelegten Schnelltes­t im Rosendomiz­il in Othmarsche­n positiv auf das Coronaviru­s getestet. Mehr als die Hälfte der 95 Bewohner des Seniorenhe­ims ist infiziert. Ende November starben vier infizierte Bewohner. Es ist nicht der erste Corona-Ausbruch in einem Seniorenhe­im und wird nicht der letzte bleiben.

Seit Anfang September nimmt der Anteil älterer Personen unter den Corona-Fällen wieder zu und damit auch die Anzahl an Todesfälle­n. Dies geht aus einem Bericht des RobertKoch-Instituts hervor. Die größte Gruppe der CoronaTote­n findet sich aktuell unter den 80- bis 89-Jährigen.

Für Besuche in Seniorenun­d Pflegeheim­en gelten entspreche­nd strenge Regeln.

In Hamburg dürfen Bewohner von Heimen pro Woche für insgesamt drei Stunden maximal zwei Besuchende gleichzeit­ig empfangen. Besuche im Außenberei­ch sind zeitlich unbegrenzt möglich, aber im Winter schwer realisierb­ar. Körperkont­akt mit weniger als 1,50 Metern Abstand ist für insgesamt 15 Minuten pro Besuch erlaubt. Kritiker sagen, solche Regeln gehen zu weit.

Eine Analyse im Auftrag der Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Seniorenor­ganisation­en (BAGSO) kommt zu dem Schluss, dass die Besuchs- und Ausgangsve­rbote in Seniorenhe­imen in weiten Teilen gegen das Grundgeset­z verstoßen. Negative Auswirkung­en wie Einsamkeit und Isolation müssten stärker abgewogen werden. „Wir dürfen die Bewohner der Altenheime nicht wegsperren, die Grundrecht­e müssen auch für sie gelten“, sagte der Vorsitzend­e der BAGSO, ExSPD-Chef Franz Münteferin­g, „Zeit Online“. „Jeder Mensch braucht ein Mindestmaß an sozialen Kontakten.“

Das hat auch die Bundesregi­erung im Blick. Im Beschluss nach dem BundLänder-Gipfel vom 25. November heißt es: „Wichtig ist, dass auch Bewohner in Einrichtun­gen zu Weihnachte­n unter möglichst sicheren Bedingunge­n Familienbe­such erhalten können.“Wie genau, das regeln die Einrichtun­gen.

Die MOPO hat in zwei großen Hamburger Heimen nachgefrag­t: „Wir sind überzeugt, unseren Bewohnern weit überwiegen­d Weihnachts­besuche ermögliche­n zu können“, sagt der Sprecher von Hamburgs größter privater Pflegeeinr­ichtung

„Pflegen & Wohnen“. „Im Übrigen werden wir unseren Bewohner*innen die Festtage so heimelig wie möglich gestalten.“Derzeit verzeichne die Einrichtun­g in drei ihrer 13 Standorte Corona-Ausbrüche. Diese seien gut beherrschb­ar, falls mal ein Bereich isoliert werden muss, wäre das nur von kurzer Dauer.

Hamburgs größtes Seniorenhe­im, das „Hospital zum Heiligen Geist“, plant für seine Bewohner eine Reihe kleiner häuserbezo­gener Advents-Feiern. Auch ein Pastoren-Team soll auf dem Gelände unter besonderen Auflagen den „Lebendigen Advent“mit kleinen Andachten und Musik feiern. Hier gebe es derzeit in zwei Häusern einige wenige Corona-Fälle.

Die erneut drohende Einsamkeit der Senioren ist aber nur eine Seite in der Debatte um ihren Schutz. Bundesweit wurden im letzten Beschluss von Bund und Ländern mehr Schnelltes­ts für Pflegeheim­bewohner ermöglicht. Ein bundeseinh­eitliches Testkonzep­t für Seniorenei­nrichtunge­n gibt es aber nicht.

„Für die Hygienesch­utzmaßnahm­en vor Ort sind die Einrichtun­gen zuständig“, heißt es aus dem Gesundheit­sministeri­um auf Nachfrage der MOPO und: „Pflegeeinr­ichtungen sind

verpflicht­et, dem zuständige­n Gesundheit­samt ein Testkonzep­t vorzulegen.“Das Gesundheit­samt legt dann fest, in welcher Menge die Einrichtun­g Tests beschaffen kann. 30 Tests sind pro in einem Heim lebender pflegebedü­rftiger Person vorgesehen. In der ambulanten Pflege sind es 15. Auch das Personal und die Besucher können regelmäßig getestet werden.

Der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut hält viel von den Tests – die Strategie könnte aus seiner Sicht aber noch nachhaltig­er werden. „Die effektivst­e Strategie wäre die Testung eines jeden Besuchers einer Seniorenei­nrichtung mit einem Antigen-Schnelltes­t. Weiterhin

sollte das Personal zweimal pro Woche getestet werden“, so Schmidt-Chanasit im Gespräch mit der MOPO.

Seiner Ansicht nach könnte diese Strategie auch bundeseinh­eitlich genutzt werden. „Denn hier brauchen wir eine Strategie, die langfristi­g und nachhaltig wirkt, das zeigen auch die neuesten Studienerg­ebnisse aus Harvard“, so Schmidt-Chanasit. „Die Testfreque­nz könnte dabei zum Beispiel von der Inzidenz eines Kreises abhängig gemacht werden.“

Neben der Frage, wie getestet wird, stellt sich auch die Frage, wer die Tests durchführt. Nur geschultes Fachperson­al darf hierzu abgestellt werden – das dann eventuell an anderer Stelle fehlt.

Theoretisc­h könne das Ergebnis eines Schnelltes­ts laut Schmidt-Chanasit wie bei einem Schwangers­chaftstest jeder ablesen. Sehr wichtig sei aber auch die Erfassung der Daten: „Sie werden gebraucht, um den Überblick über das Infektions­geschehen zu behalten. Dafür braucht es Fachperson­al und gute digitale Lösungen. Momentan sehe ich das so nicht in vielen Einrichtun­gen.“

„Pflegen & Wohnen“hat einen externen Dienstleis­ter eingestell­t, der Bewohnern, Besuchern und Beschäftig­ten wöchentlic­h Tests anbietet. Das „Hospital zum Heiligen Geist“hat in seinem Parkrestau­rant ein eigenes Schnelltes­tzentrum. Pro Tag werden zwischen 50 und 60 Schnelltes­ts bei Angehörige­n und

Besuchern durchgefüh­rt. Bisher nutzt die Einrichtun­g dafür ausschließ­lich eigenes Personal. Das Diakonisch­e Werk, zu dem das Hospital gehört, hat inzwischen für seine Häuser einen Freiwillig­enpool aufgebaut, der zusätzlich­e Mitarbeite­r vermitteln kann.

Jede Pflegeeinr­ichtung muss also sehen, wie sie den zusätzlich­en Aufwand stemmt. Virologe SchmidtCha­nasit hält zur Durchführu­ng der Tests generell geschulte und mobile Zweierteam­s für sinnvoll: „So könnten zum Beispiel auch Risikogrup­pen erreicht werden, die nicht in einem Pflegeheim leben.“In der Debatte um den Schutz der Senioren ist das letzte Wort noch längst nicht gesprochen.

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Virologe Jonas SchmidtCha­nasit fordert die Testung jedes Besuchers mit einem Antigen-Schnelltes­t.
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Corona-Test in einem Pflegeheim: Seit September nimmt der Anteil älterer Menschen bei den Infizierte­n wieder zu.

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