Das Risiko mit den Hochrisikogruppen
CORONA Wie viele Kontakte dürfen Alte und Kranke haben – und wie werden sie ermöglicht? Hamburger Virologe und Pflegeheime erklären die Strategien
Pflegeeinrichtungen sind verpflichtet, dem Gesundheitsamt ein Testkonzept vorzulegen.
Das Gesundheitsministerium
In der vergangenen Woche wurde ein weiterer großer Corona-Ausbruch in einem Hamburger Pflegeheim bekannt. Vorerkrankungen und hohes Alter machen Senioren besonders anfällig für das Virus. Wie kann es gelingen, sie zu schützen, ohne sie der Einsamkeit auszusetzen? Welche Rolle spielen Schnelltests? Wie ist die Lage in Hamburg? Die MOPO hat recherchiert – in den Einrichtungen, beim Bund und im Gespräch mit einem der Top-Virologen.
59 Bewohner und 29 Mitarbeiter wurden bei einem groß angelegten Schnelltest im Rosendomizil in Othmarschen positiv auf das Coronavirus getestet. Mehr als die Hälfte der 95 Bewohner des Seniorenheims ist infiziert. Ende November starben vier infizierte Bewohner. Es ist nicht der erste Corona-Ausbruch in einem Seniorenheim und wird nicht der letzte bleiben.
Seit Anfang September nimmt der Anteil älterer Personen unter den Corona-Fällen wieder zu und damit auch die Anzahl an Todesfällen. Dies geht aus einem Bericht des RobertKoch-Instituts hervor. Die größte Gruppe der CoronaToten findet sich aktuell unter den 80- bis 89-Jährigen.
Für Besuche in Seniorenund Pflegeheimen gelten entsprechend strenge Regeln.
In Hamburg dürfen Bewohner von Heimen pro Woche für insgesamt drei Stunden maximal zwei Besuchende gleichzeitig empfangen. Besuche im Außenbereich sind zeitlich unbegrenzt möglich, aber im Winter schwer realisierbar. Körperkontakt mit weniger als 1,50 Metern Abstand ist für insgesamt 15 Minuten pro Besuch erlaubt. Kritiker sagen, solche Regeln gehen zu weit.
Eine Analyse im Auftrag der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) kommt zu dem Schluss, dass die Besuchs- und Ausgangsverbote in Seniorenheimen in weiten Teilen gegen das Grundgesetz verstoßen. Negative Auswirkungen wie Einsamkeit und Isolation müssten stärker abgewogen werden. „Wir dürfen die Bewohner der Altenheime nicht wegsperren, die Grundrechte müssen auch für sie gelten“, sagte der Vorsitzende der BAGSO, ExSPD-Chef Franz Müntefering, „Zeit Online“. „Jeder Mensch braucht ein Mindestmaß an sozialen Kontakten.“
Das hat auch die Bundesregierung im Blick. Im Beschluss nach dem BundLänder-Gipfel vom 25. November heißt es: „Wichtig ist, dass auch Bewohner in Einrichtungen zu Weihnachten unter möglichst sicheren Bedingungen Familienbesuch erhalten können.“Wie genau, das regeln die Einrichtungen.
Die MOPO hat in zwei großen Hamburger Heimen nachgefragt: „Wir sind überzeugt, unseren Bewohnern weit überwiegend Weihnachtsbesuche ermöglichen zu können“, sagt der Sprecher von Hamburgs größter privater Pflegeeinrichtung
„Pflegen & Wohnen“. „Im Übrigen werden wir unseren Bewohner*innen die Festtage so heimelig wie möglich gestalten.“Derzeit verzeichne die Einrichtung in drei ihrer 13 Standorte Corona-Ausbrüche. Diese seien gut beherrschbar, falls mal ein Bereich isoliert werden muss, wäre das nur von kurzer Dauer.
Hamburgs größtes Seniorenheim, das „Hospital zum Heiligen Geist“, plant für seine Bewohner eine Reihe kleiner häuserbezogener Advents-Feiern. Auch ein Pastoren-Team soll auf dem Gelände unter besonderen Auflagen den „Lebendigen Advent“mit kleinen Andachten und Musik feiern. Hier gebe es derzeit in zwei Häusern einige wenige Corona-Fälle.
Die erneut drohende Einsamkeit der Senioren ist aber nur eine Seite in der Debatte um ihren Schutz. Bundesweit wurden im letzten Beschluss von Bund und Ländern mehr Schnelltests für Pflegeheimbewohner ermöglicht. Ein bundeseinheitliches Testkonzept für Senioreneinrichtungen gibt es aber nicht.
„Für die Hygieneschutzmaßnahmen vor Ort sind die Einrichtungen zuständig“, heißt es aus dem Gesundheitsministerium auf Nachfrage der MOPO und: „Pflegeeinrichtungen sind
verpflichtet, dem zuständigen Gesundheitsamt ein Testkonzept vorzulegen.“Das Gesundheitsamt legt dann fest, in welcher Menge die Einrichtung Tests beschaffen kann. 30 Tests sind pro in einem Heim lebender pflegebedürftiger Person vorgesehen. In der ambulanten Pflege sind es 15. Auch das Personal und die Besucher können regelmäßig getestet werden.
Der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut hält viel von den Tests – die Strategie könnte aus seiner Sicht aber noch nachhaltiger werden. „Die effektivste Strategie wäre die Testung eines jeden Besuchers einer Senioreneinrichtung mit einem Antigen-Schnelltest. Weiterhin
sollte das Personal zweimal pro Woche getestet werden“, so Schmidt-Chanasit im Gespräch mit der MOPO.
Seiner Ansicht nach könnte diese Strategie auch bundeseinheitlich genutzt werden. „Denn hier brauchen wir eine Strategie, die langfristig und nachhaltig wirkt, das zeigen auch die neuesten Studienergebnisse aus Harvard“, so Schmidt-Chanasit. „Die Testfrequenz könnte dabei zum Beispiel von der Inzidenz eines Kreises abhängig gemacht werden.“
Neben der Frage, wie getestet wird, stellt sich auch die Frage, wer die Tests durchführt. Nur geschultes Fachpersonal darf hierzu abgestellt werden – das dann eventuell an anderer Stelle fehlt.
Theoretisch könne das Ergebnis eines Schnelltests laut Schmidt-Chanasit wie bei einem Schwangerschaftstest jeder ablesen. Sehr wichtig sei aber auch die Erfassung der Daten: „Sie werden gebraucht, um den Überblick über das Infektionsgeschehen zu behalten. Dafür braucht es Fachpersonal und gute digitale Lösungen. Momentan sehe ich das so nicht in vielen Einrichtungen.“
„Pflegen & Wohnen“hat einen externen Dienstleister eingestellt, der Bewohnern, Besuchern und Beschäftigten wöchentlich Tests anbietet. Das „Hospital zum Heiligen Geist“hat in seinem Parkrestaurant ein eigenes Schnelltestzentrum. Pro Tag werden zwischen 50 und 60 Schnelltests bei Angehörigen und
Besuchern durchgeführt. Bisher nutzt die Einrichtung dafür ausschließlich eigenes Personal. Das Diakonische Werk, zu dem das Hospital gehört, hat inzwischen für seine Häuser einen Freiwilligenpool aufgebaut, der zusätzliche Mitarbeiter vermitteln kann.
Jede Pflegeeinrichtung muss also sehen, wie sie den zusätzlichen Aufwand stemmt. Virologe SchmidtChanasit hält zur Durchführung der Tests generell geschulte und mobile Zweierteams für sinnvoll: „So könnten zum Beispiel auch Risikogruppen erreicht werden, die nicht in einem Pflegeheim leben.“In der Debatte um den Schutz der Senioren ist das letzte Wort noch längst nicht gesprochen.