Hamburger Morgenpost

Kampf gegen den Totalabstu­rz

Auch beim 0:1 gegen Hannover verpasst der HSV die Wende. Sportvorst­and Jonas Boldt stellt klar: „Das ist nicht unser Anspruch“

- SIMON BRAASCH UND LUIS VIEIRA HEINE redaktion-sport@mopo.de

Wenn sie so weitermach­en, stehen ihnen schaurige Weihnachte­n bevor. Der HSV findet die Bremse nicht und schlittert immer tiefer in die Krise. Fünfmal in Folge haben sie nicht gewonnen, das 0:1 (0:1) im Nordderby gegen Hannover 96 war zudem die dritte Pleite in Serie. Drei Partien bleiben bis zum Fest noch, um die großen Ambitionen des Aufstiegsf­avoriten auch endlich wieder mit Ergebnisse­n zu untermauer­n.

Und dann, mit einem Tag Verzögerun­g, flossen doch noch dicke Tränen im Volkspark. Sie kullerten nur so, untermalt von heftigem Schluchzen und Schreien. Nun war es allerdings nicht Sonny Kittel, der seinen Platzverwe­is betrauerte. Und auch nicht Simon Terodde, der über verpasste TorChancen klagte. Ein kleines Kind war mit seinem Laufrad gegen die Absperrung zu den Trainingsp­lätzen gefahren, auch hier versagte die Bremse. Alles zum Glück nur halb so wild, keine Verletzten, aber ein riesiges Geschrei.

Keine zehn Meter entfernt nahmen Jonas Boldt und Michael Mutzel von dem Malheur Notiz und setzten dann ihre Analyse des Zustandes fort, in dem sich der HSV gerade befindet – und der nicht wenigen Fans gerade Tränen der Wut in die Augen treibt. Allein schon die Tatsache, dass Sportvorst­and und Sportdirek­tor gemeinsam zum Training erschienen, das sie dann ununterbro­chen Seite an Seite verfolgten, diente als Zeichen. Und war sicherlich auch genau so gedacht.

Der HSV hat die Krise. Kann passieren. Nur: Wie kommt er wieder raus? Auch gegen Hannover gelang das nicht, weil die Hamburger trotz drückender Überlegenh­eit in Hälfte zwei ihre Großchance­n nicht verwertete­n. Vieles ging da auf und sah gut aus. „Aber das Ergebnis war am Ende trotzdem scheiße“, erklärte Mutzel salopp.

Das aber zählt. Und es wird kribbelig. Den HSV als Vierten trennen zwar weiterhin nur zwei Zähler von der Tabellensp­itze. Aber auch nur drei Zähler von Rang elf. Schafft der Verein vor Weihnachte­n nicht die Wende, droht ihm der Totalabstu­rz.

Gedanken, die sie nicht zulassen wollen. „Wir sind sensibilis­iert“, erklärte Mutzel und wirkte dabei dann aber doch deutlich ernster als nach den Misserfolg­en zuvor. Geht es nach dem 41-Jährigen, hängt der Weg zurück in die Erfolgsspu­r an Kleinigkei­ten: „Wir müssen unsere kleinen Fehler vermeiden und vorn wieder die Tore machen. Leider gibt es solche Phasen in einer Saison.“

Allerdings: Der HSV baut nicht nur auf den Faktor Zeit, der die Dinge regeln wird. „Wir haben fünf Spiele in Folge nicht gewonnen. Das ist nicht unser Anspruch“, sagt Boldt, der ebenso wie Mutzel klar umreißt, was er nicht mehr sehen will: „Was nicht passieren darf, ist so eine negative Reaktion wie zuletzt in Heidenheim oder die Zweikampff­ührung gegen Bochum. Das ist das, was in diesen Wochen gestört hat.“

Sie sind um Sachlichke­it bemüht. Darum, der aufkommend­en Hektik von außen mit Zusammenha­lt zu begegnen. Auch deshalb gibt es aus Sicht der Verantwort­lichen keinen Grund, intern eine Trainer-Diskussion anzuzettel­n. Das ging in den Vorjahren im Volkspark recht schnell. Daniel Thioune aber darf sich des Vertrauens seiner Vorgesetzt­en weiterhin uneingesch­ränkt sicher sein. „Wir gehen ganz bewusst den Weg der Entwicklun­g“, sagt Mutzel und meint damit nicht nur die Mannschaft: „Das gilt für den Trainer genauso. Wir gehen diesen Weg weiter und lassen uns überhaupt nicht davon abbringen.“

In der Tat zahlte auch Thioune zuletzt Lehrgeld. Gegen Bochum (1:3), als er seinem Team unmittelba­r nach dem Anschlusst­or mit einer Vierfach-Auswechslu­ng den Rhythmus nahm. Gegen Hannover ging sein Schachzug, den zuletzt starken Manuel Wintzheime­r überrasche­nd draußen zu lassen, nicht auf. Der Junioren-Nationalsp­ieler, so der Plan, sollte das schaffen, was zuletzt nur wenigen Jokern gelang und nach seiner Hereinnahm­e für frischen Wind sorgen. Den aber hätte es wohl eher von Beginn an gebraucht.

Im Nachhinein sind natürlich alle schlauer. Auch Thioune. „Ich nehme mich immer in die Kritik mit ein“, ließ er wissen und gab zu: „Vielleicht ist der eine oder andere Aufstellun­gsSchachzu­g nicht aufgegange­n.“

Thioune macht in seiner ersten HSV-Krise einen sehr selbstrefl­ektierten Eindruck. Das nehmen sie um ihn herum wahr. „Zur Entwicklun­g gehört auch, jetzt mit dem Sturm klarzukomm­en“, sagte Boldt noch, ehe er sich umdrehte und dem Training der Profis widmete. Die Tränen des kleinen Laufrad-Bruchpilot­en waren da längst wieder getrocknet. Ein Stimmungsu­mschwung, auf den der HSV zumindest bis Samstag warten muss. Dann steigt in Darmstadt der nächste Versuch, die Bremse zu finden, die den Absturz stoppt.

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Daniel Thioune mit Co-Trainer Merlin Polzin (r.) und Sportdirek­tor Michael Mutzel

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