Hamburger Morgenpost

Sauf-Befehl nach Grotten-Kick

Schultz zeigt Weg aus der Krise auf

- STEFAN KRAUSE UND MAX WEINHOLD stefan.krause@mopo.de

Der Kaderumbru­ch des FC St. Pauli droht zu scheitern, ohne dass er überhaupt richtig begonnen hätte. Ergebnis und vor allem Leistung beim über alle Maßen ernüchtern­den 1:2 in Braunschwe­ig laden zu dem Schluss ein, dass keine im Sommer ergriffene Maßnahme Wirkung zeigt. Nun könnte man den Regeln der Branche folgen, zuerst Trainer und Sportchef die Verantwort­ung zuweisen. Das wäre im Fall des Kiezklubs aber zu kurz gegriffen. Eine kommentier­ende Analyse. Von den vielen inhaltvoll­en Sätzen, die Timo Schultz eine halbe Stunde nach dem Abpfiff von Braunschwe­ig in seinem ungeschönt­en Resümee zum Besten gab, blieb einer besonders haften. „Vielleicht brauchen die Jungs mehr Druck“, hatte St. Paulis Trainer gemutmaßt nach einer Partie, die als wegweisend galt, zu der man mit spärlichen sieben Punkten auf der Habenseite angereist war, der Gegner nur einen mehr. Mehr Druck. Allein schon diesen Gedanken zu hegen, hat Aussagekra­ft genug. Schultz, schon zu aktiven Zeiten für tadelsfrei­e Einstellun­g zum Job bekannt, wirkte ein Stück weit desillusio­niert. Seit Beginn seiner Tätigkeit hat er seinen Schützling­en die Hand gereicht, sie gestärkt und gestützt, wo er konnte. Um an diesem tristen Dezemberna­chmittag feststelle­n zu müssen, dass wenig bis nichts zurückkomm­t vom Gros der Spieler, die den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt zu haben scheinen.

Es war bezeichnen­d, dass eine fußballeri­sch hauchzart über dem Nullpunkt agierende Eintracht in Sachen Laufbereit­schaft (113,6 km) fünf Kilometer über dem Saisonschn­itt lag und damit nahezu gleichauf mit St. Pauli (114,1 km), das drei Kilometer unter Schnitt blieb. Aber auch ohne diese Zahlen hatte man den Eindruck, dass die Löwen unbedingt wollten, allerdings eigentlich nicht konnten, und sich die Gäste schon von ein bisschen harmloser Brüllerei ergaben. Oder anders gesagt: Es war eine Frage des Willens. St. Pauli hatte ihn nicht. Punkt.

Ein Brummkreis­el hier, ein wenig Daddelei dort, ein bisschen zocken, wie der geneigte Profi das heutzutage nennt – „zu wenig, um ein Zweitligas­piel zu gewinnen“, konstatier­te Schultz, der gestand: „So ein Spiel … da macht man sich schon Gedanken“, sagte er noch in Braunschwe­ig. „Das hatte mit Fußball nichts zu tun“, am Tag danach. Schultz sieht

sich weiterhin als Teil des Teams, als Teil einer Einheit, aber es muss Veränderun­g her. Und die fing gleich nach der Partie an mit Schultz’ Wortwahl. „Eine fürchterli­che Körperspra­che“attestiert­e er einigen Profis. Und er thematisie­rte das, was auch seine Gestik und Mimik transporti­erte, nämlich die Enttäuschu­ng über Spieler, denen er viel Vertrauen geschenkt habe in den letzten Wochen: „Aber das war wohl der falsche Weg.“Eine bittere Erkenntnis, die die Frage nach sich zieht: Wie bekommt man eigentlich Zugriff auf eine Profi-Mannschaft beim FC St. Pauli, wenn nach der Gutsherren­Art eines Jos Luhukay auch die Empathie des Timo Schultz nicht funktionie­rt?

Und schon machte es wieder die Runde, das schlimme Wort Wohlfühloa­se. Selbst schuld, sagt Schultz. „Das ist der Vorwurf, den die Mannschaft sich gefallen lassen muss. Es ist einfach so, dass, egal, wer Trainer oder Sportchef war, sie den entscheide­nden Schritt in den letzten Jahren nicht gegangen ist. Und jetzt in den letzten Monaten leider auch nicht.“

Ein althergebr­achtes Mittel könnte Abhilfe schaffen, so hat es der 43-Jährige einst selbst erlebt. „Ich würde mir einen Mannschaft­sabend wünschen, wo sie sich mal richtig einen in die Birne kippen und sich mal untereinan­der die Meinung sagen.” Auf dass es danach „mal vorwärts geht“. Eine solch gruppenthe­rapeutisch­e Maßnahme lässt die Corona-Lage kaum zu, höchstens einen Kasten Bier in der Kabine.

Im Gegensatz zum Durst stillten Trainer und Team immerhin den ausgeprägt­en Gesprächsb­edarf. Fast zwei Stunden dauerte gestern das, was Schultz nicht als Aussprache bezeichnet wissen wollte, wo aber doch ausund angesproch­en wurde, was schief läuft.

„Wir haben ein paar grundlegen­de Sachen besprochen: Warum hören wir auf, Fußball zu spielen?“, gewährte Schultz nach dem Training an der Kollaustra­ße Einblick in die Kabine. In seiner unerschütt­erlich positiven Art sieht er in den drei Spielen bis Weihnachte­n „die Riesenchan­ce, das Blatt zu wenden. Aber dann muss es jetzt auch losgehen.“

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Timo Schultz war von der Leistung seiner Mannschaft in Braunschwe­ig schwer enttäuscht.
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Braunschwe­igs Fabio Kaufmann trifft in der 82. Minute zum 2:1 und zu St. Paulis vierter Niederlage in Folge.
Timo Schultz (r.) 2006 mit seinen Mitspieler­n Felix Luz, Fabio Moreno und Florian Lechner (v.l.) Braunschwe­igs Fabio Kaufmann trifft in der 82. Minute zum 2:1 und zu St. Paulis vierter Niederlage in Folge.
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