Demos, Gewalt, Hass — was ist los in Frankreich?
Macron befeuert Streit – wegen konservativer Wähler?
PARIS – Als Emmanuel Macron 2017 zum Marsch auf den Élysée-Palast blies, gab es große Hoffnungen, dass ein linksliberaler neuer Weg zwischen Sozialisten und Konservativen das Land einen könne. An diesem Anspruch musste Macron scheitern. Doch neuerdings gibt der Präsident den rechten Hardliner. Und die Proteste im Land reißen nicht ab. Was ist da los im Nachbarland?
➤ Polizeigewalt und Rassismus:
Bürger mit Wurzeln in den Kolonien beklagen seit Jahrzehnten Polizeigewalt und Rassismus-Probleme. Die „Black Lives Matter“Proteste im Sommer blieben dann auch nicht friedlich. Viele fühlten sich erinnert an Fälle im eigenen Land, etwa von Adama Traoré, der im Juli 2016 von Polizisten zu Boden gedrückt worden war und – wie George Floyd – kurz vor seinem Tod „Ich kann nicht mehr atmen“rief.
➤ Scharfe Rhetorik Macrons:
Im Frühjahr hatte er er
klärt, dass Frankreich sich „im Krieg“befinde gegen das Coronavirus. Auch bei den islamistischen An
schlägen im Oktober gab sich der Staatschef wenig versöhnlich. Frankreich werde nicht klein beigeben, der Islam sei in einer Krise und Muslime müssten Witze über den
Propheten aushalten. Gerade die letzten Sätze sorgten für Spannungen mit muslimisch geprägten Staaten wie der Türkei.
➤ Konservative Minister, Sicherheitsgesetz: Im Juli ernannte Macron eine Reihe konservativer Minister. Darunter: Innenminister Gérald Darmanin, Urheber eines Gesetzentwurfs, gegen den seit Wochen teils gewaltsam demonstriert wird. Im Kern soll der Sicherheitsgefühle eines Teils der Bevölkerung und Interessen der Polizei bedienen, greift aber vor allem die Pressefreiheit an. Das Filmen und Verbreiten von polizeilichen Maßnahmen soll verboten werden, wenn es die Beamten „gefährde“.
➤ Ein Gewalt-Video und wieder
Proteste: Kurz nach dem Gesetzentwurf filmte eine Überwachungskamera, wie vier Polizisten den schwarzen Musikproduzenten Michel Zecler verprügelten und als „dreckigen Neger“beschimpften. Die Aufnahme hätte man nach dem neuen Gesetz vermutlich nicht verbreiten dürfen. Seither protestieren wiederholt Tausende in Paris und anderen Großstädten gegen Polizeigewalt, Rassismus und das Sicherheitsgesetz. Die Wut vieler Linker auf den Präsidenten ist eh groß. Der Ex-Banker hatte zu Beginn seiner Präsidentschaft wirtschaftsliberale Gesetzesänderungen angeschoben wie die Defacto-Abschaffung der Vermögenssteuer.
➤ Wahltaktische Überlegungen:
Doch warum Macrons neuer Kurs? Französische Politologen wie Jérôme Fourquet vermuten: Wahl-Taktik! Im Frühjahr 2022 werde gewählt, so Fourquet im „Spiegel“. Die Wahl wird knapp ausfallen. Die Linke ist ohnehin kontra Macron eingestellt und seit 2017 heillos zersplittert. Macron geht von einer Stichwahl gegen einen rechten Kandidaten aus. Vermutlich gegen Marine Le Pen vom rechtsradikalen „Rassemblement National“. Und nun bereite er sich auf das Duell vor, so Fourquet, indem er das letzte Feld beackere, das für rund 70 Prozent der Wähler wichtig sei, vor allem Konservative: die Sicherheitspolitik! KM