Hamburger Morgenpost

Die Angst, dass dies das letzte Weihnachte­n mit Oma wird

- SINA RIEBE sina.riebe@mopo.de

An Weihnachte­n geht es um Zeit – Zeit mit der Familie, um in langen Gesprächen zu versinken, Musik zu hören oder in den neuen Büchern zu stöbern. Durch die Pandemie ist in diesem Jahr alles anders. Dabei sind nicht die Beschränku­ngen das Problem, sondern die Frage: Feiern wir Weihnachte­n mit Oma? Was sind die Risiken? Gibt es überhaupt eine perfekte Lösung? Ein Zwiespalt, aus dem es kaum ein Entkommen gibt. Weihnachte­n war schon immer die Zeit der Familie und gerade für meine Oma (90) ein Ankerpunkt im Jahr, alle Lieben beieinande­rzuhaben. Dabei ging es immer weniger um Traditione­n als um den Tumult in der sonst so stillen Wohnung. Sie liebte die Lautstärke, das Gewusel und die letzten Vorbereitu­ngen für das Festmahl, bei dem wir schon als Kinder alle mithelfen durften – was bei sechs Enkeln ein ziemlicher Aufwand sein konnte.

Jetzt steht das erste Weihnachte­n nach ihrem Umzug in ein Pflegeheim an – und das mitten in einer Pandemie. Die coronakonf­ormen Besuche haben wir verinnerli­cht. Termine machen, möglichst draußen treffen, Abstand halten und Maske auf – es funktionie­rt. Auch wenn ich bei Spaziergän­gen immer wieder einen Schritt zur Seite machen muss, um den Abstand beizubehal­ten. Und das bei einer Frau, die nichts sehnlicher liebt, als ihre Enkel zu drücken oder nur ihre Hand zu halten. Wie soll das Abstandwah­ren dann an Weihnachte­n in unserem Wohnzimmer funktionie­ren?

Seit Tagen sprechen wir in der Familie über das Thema. Wir warten, welche Maßnahmen das Heim beschließt, wägen das Für und Wider ab. Die größte Angst: Was ist, wenn es das letzte Weihnachte­n mit Oma wird? Aber auch die Risiken drängen sich immer wieder in den Mittelpunk­t der Gespräche. Es muss nur einer, trotz vorheriger Selbstisol­ation, infektiös sein, um nicht nur Oma anzustecke­n, sondern das Virus auch ins Heim zu tragen.

Alle Bewohner, die während der Feiertage zu ihren Familien geholt werden, stellen ein potenziell­es Risiko dar. Nicht nur für die Bewohner, sondern auch für die Pflegekräf­te. Es gibt viele Strategien von Schnelltes­ts bis zu kleinen Isoliermaß­nahmen und einer Maskenpfli­cht, was wiederum einen hohen Arbeitsauf­wand der Pflegekräf­te nach sich zieht. Ist es dieser eine Abend wert? Ich weiß es nicht. Eine Entscheidu­ng ist noch nicht gefallen.

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