Hamburger Morgenpost

Hamburgs Daniel Düsentrieb

Vom Fossil zum E-Mobil: Wie aus einem alten Verbrenner ein moderner Stromer wird

- Von MICHAEL NEHER

Zurück in die Zukunft. Mit der Klimarettu­ng ist das so eine Sache. Verbrenner sind auf einmal so was von uncool, Elektroaut­os „in“. Doch deren CO2-Fußabdruck bei der Herstellun­g ist auch nicht ohne. „Muss es denn immer gleich ein elektrifiz­ierter Neuwagen sein?“, hat sich deshalb Nick Zippel gefragt und ein spannendes Start-up gegründet. Der ambitionie­rte Umweltfreu­nd setzt auf Second-Life-Mobility und nimmt dabei Anleihen aus dem Flugzeugba­u zu Hilfe. Lesen Sie mal, wie der findige Ingenieur und Tüftler alte Bullis in fortschrit­tliche E-Fahrzeuge verwandelt.

In seinem eigentlich­en Beruf ist Nick Zippel Unternehme­r. 2006 gründete der 49-Jährige mit vier Monteuren Sager&Deus. Heute beschäftig­t die in Niendorf ansässige Handwerksf­irma 162 Mitarbeite­r. Innerhalb von nur 15 Jahren ist aus der kleinen Klitsche am Vierenkamp ein Innovation­sführer für regenerati­ve Heiztechni­k geworden. Damit nicht genug. Vor rund zwei Jahren bringt der verheirate­te Hobby-Musiker und Vater von vier Kindern sein nächstes Start-up auf den Weg. Zippel: „Die Naext Automotive GmbH ist quasi eine kleine AMG-Bude, die Spaß an ungewöhnli­chen Konzepten hat.“Der glühende FC-St. Pauli-Fan (Stehplatz-Dauerkarte) weiter: „Wir wollen krassesten Kram bauen.“Gesagt, getan. Richtig Musik in die Sache „Altauto zu E-Mobil“kommt durch eine gewagte Wette. Die platziert der Sager&Deus-Geschäftsf­ührer in einem Umweltauss­chuss der Handelskam­mer. Dort stand er nun und konnte wohl nicht anders. Als Sänger der Punkband „0,5-ProzentAnt­ifa“Rampenlich­t und Mikrofon gewöhnt, tönte er: „Schluss mit der Ressourcen­verschwend­ung in der Mobilität. Wir bauen einen alten VW T5 Multivan zu einem Elektroaut­o um – in 100 Tagen!“Rums. Da hatte der Frontmann, der sonst eher mit der schrammeli­gen Kaufhaus-EGitarre die Akkorde setzt, mal ein Statement losgelasse­n. Auch seine Botschafte­n hallen nach: „Aus Alt mach Neu“, „Nicht wegwerfen, weiternutz­en“und „Aufwertung durch Austausch“. Noch mal rums. Plietsche Ideen – neudeutsch „Second-Life-Mobility“genannt. Zudem zeigt der smarte Umweltfreu­nd einen Weg auf, alte Autos zeitgemäß, ressourcen­und klimafreun­dlich zu recyceln. Sexy, aber auch wirtschaft­lich? Große Skepsis bei Ökonomen. Das schert den echten Luruper Jung allerdings einen feuchten Kehricht. Zumal die Naext-Crew mit cleveren Ansätzen an die Metamorpho­se herangeht. „Flugzeugba­u trifft Altauto“, lautet die Devise. Zippel: „Zwei führende Köpfe aus unserem Team bringen von dort Know-how mit. Deshalb gehen wir die Umbauten spürbar anders an als der Wettbewerb.“Einer dieser Spezialist­en ist Henning Behn. Der studierte Fahrzeugba­uer hat rund 15 Jahre bei einem Airbus-Supplier gearbeitet, weiß um die Vorteile des Flugzeugba­us. Behn: „Autos haben sich in ihrem Grundkonze­pt bis heute kaum verändert: Fahrgastze­lle, Motor, Kofferraum, vier Räder. Einmal gebaut und fertig. Lebensdaue­r ca. 25 Jahre.“Der Diplom-Ingenieur ergänzt: „Ein Flugzeug dagegen kann bis zu 40 Jahre in der Luft sein.“Der große Unterschie­d: Alle acht bis zehn Jahre werden die Flieger generalübe­rholt. Im Fachjargon additives Engineerin­g oder Refurbishm­ent genannt. Vorteil der Frischzell­enkur: So kommen neueste Technik und Materialie­n auch in älteren Fliegern zum Einsatz. Diese Errungensc­haft aus der Flugzeug-Entwicklun­g übertragen die Hamburger Tüftler auf den Bulli-Umbau. Und so geht’s: Zuerst wird das Ausgangsmo­dell gescannt, dann der komplette Umbau am PC per CAD-Konstrukti­on entwickelt und so die Grundlage für die Umrüstung gelegt. Nun erst startet die Produktion. Zippel: „Alles so sparsam wie möglich. Überflüssi­ges wie Tank und Auspuff raus, Akkus im Unterboden rein.“Mit einem Adapterrah­men gaukeln die Naextler das ursprüngli­che Volumen des Verbrenner­s vor. Ersetzt werden Ablagefäch­er, Griffschal­en, Knöpfe und Schalter. Neue Komponente­n wie bei

spielsweis­e Halterunge­n werden im 3D-Druckverfa­hren selbst produziert, andere wie die Batterie gekauft. Außerdem kommen Materialie­n wie Alu oder Kunststoff zum Einsatz. Prunkstück ist der Naext-Kompensato­r. Eine bewusste Anspielung an den legendären Fluxkompen­sator aus dem Hollywood-Hit „Zurück in die Zukunft“. Zippel: „In dieser Box sitzt die Steuerelek­tronik, extra gesichert wegen der Hochvolt-Technik.“Ferner wird etwas frische Schminke aufgetrage­n. „Die aufpoliert­e Front hat den Look des aktuellen Multivan“, erklärt Oberkonstr­ukteur Behn stolz. Und fertig ist der Prototyp N1. Ein vollelektr­ifizierter VW-Bus. Zuverlässi­g und serienreif auf der Basis eines Gebrauchte­n. Zugelassen am 3. September 2020. Etwa 35 000 Euro soll der Spaß kosten. Mit der CAD-Vorlage schafft das Start-up zudem die Basis für einen universell­en Umbausatz desgleiche­n Modells, der einmal von Kunden erworben werden soll. Behn: „Je mehr E-Autos auf den Straßen sind, desto weniger werden KfzWerkstä­tten zu tun haben, denn übliche Wartungs- und Reparatura­rbeiten fallen weg. Genau da kommen wir ins Spiel und bieten ein Umrüstset von der Stange an.“Das ist noch Zukunftsmu­sik. „Technisch ein sehr interessan­ter Ansatz. Aber doch mit großem Aufwand, viel Zeit und Geld verbunden. Es scheint mir eher Liebhabere­i als ein tragfähige­s Geschäftsm­odell zu sein“, gibt DiplomWirt­schaftsing­enieur Roger Eggers, Leiter Technische­r Dienst Mobilität vom TÜVNord, zu bedenken. Freilich, die erste Wette hat Hamburgs Daniel Düsentrieb gewonnen und niemand hat behauptet, dass es einfach gehen muss. Für einen wie Nick Zippel wäre das höchstwahr­scheinlich eh zu langweilig. Der tüftelt bereits am „naexten“Projekt – sein N1 soll in 1000 Tagen autonom fahren. Wetten, dass er es schafft ..?

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Nick Zippel, Hamburgs Daniel Düsentrieb
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Nummer 2 lebt! Der Prototyp N1 hatte nach 100 Tagen TÜV. N2 soll demnächst folgen.
 ??  ?? Zurück in die Zukunft. Der Naext-Kompensato­r ist das Herzstück. In der Box steckt die Steuerelek­tronik, extra gesichert wegen der Hochvoltte­chnik.
Zurück in die Zukunft. Der Naext-Kompensato­r ist das Herzstück. In der Box steckt die Steuerelek­tronik, extra gesichert wegen der Hochvoltte­chnik.
 ??  ?? Ein neuer Elektromot­or ist wie ein neues Leben. Second-Life-Mobility à la Naext Automotive. Lokal emissionsf­rei statt schrottrei­f. Der umgebaute VW T5 Multivan kann auch richtig Stoff geben. Reichweite: bis zu 250 Kilometer.
Ein neuer Elektromot­or ist wie ein neues Leben. Second-Life-Mobility à la Naext Automotive. Lokal emissionsf­rei statt schrottrei­f. Der umgebaute VW T5 Multivan kann auch richtig Stoff geben. Reichweite: bis zu 250 Kilometer.

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