Hamburger Morgenpost

„Wir auf St. Pauli sind am härtesten getroffen“

N-KLUB Zwei Hamburger Pastoren über Glaube und Weihnachte­n in Zeiten der Corona-Pandemie

- Nähere Infos: https://bit.ly/34tR9Pi

„N Klub“– die Web-Show rund um das Thema Nachhaltig­keit. Diesmal hat Moderator Lars Meier es mit diesen beiden Gesprächsp­artnern zu tun: Frank Engelbrech­t, Kirchenpas­tor von St. Katharinen, und Sieghard Wilm, Pastor der St. Pauli-Kirche. Thema: Glaube und Weihnachte­n in Zeiten von Corona.

Wir haben zurzeit besondere Umstände. Predigten dürfen nicht mehr in gewohnter Form stattfinde­n, auch Weihnachte­n nicht. Seit ihr trotzdem, obwohl die Leute nicht zuhauf in die Kirche kommen können, noch engagierte­r, um als Botschafte­r des Glaubens aktiv zu sein? Wirft diese Zeit noch mehr Fragen auf in der Gemeinde?

Frank Engelbrech­t: Ja, die Corona-Krise ist sehr grundsätzl­ich. Wir haben hier in der Katharinen­kirche den heiligen Geist als Mittelbild, da geht es um den Hauch, den Atem und die Ansteckung läuft über das Atmen. Es gibt viele andere schwere Krankheite­n, aber bei denen muss man etwas tun, um es zu bekommen. Jetzt reicht atmen schon aus. Jede Geste der Freundlich­keit, Umarmen, Hände schütteln, das alles ist infrage gestellt. Gastfreund­schaft ist quasi unmöglich und Gastfreund­schaft ist ein Grundleben­selement. Unser Planet ist eigentlich einer der Gastfreund­schaft. Das stellt die Kirche vor eine große Herausford­erung. Es verlangt uns viel ab. Wir können die Menschen nicht in unser Haus einladen. Am Aschermitt­woch räumen wir immer alle Bänke zusammen und stellen die Stühle in einer Mittelaufs­tellung zusammen und zu Ostern kommen die Bänke zurück. Jetzt kam statt Ostern der Lockdown, seitdem sind die Stühle, wie sie sind, das bedeutet, es gibt so eine Art Passionsüb­erhang. Die Passionsze­it geht weiter. Die alte Aufstellun­g zieht sich über das Jahr. Und so gehen wir jetzt auch nach Weihnachte­n rein. Also auf der einen Seite die Hoffnung des Lebens feiern, beieinande­r sein, auch wenn es schwierig ist, wenn es digital ist, ein Anruf, oder ein Treffen draußen. Im Angesicht der Gefährdung das Leben feiern, das ist eine ganz zentrale kirchliche Sache.

Sieghard, hast du Corona auf St. Pauli anders erlebt? Sieghard Wilm: Wir sind ja der Stadtteil, der am härtesten betroffen ist. Wenn man durch die Straßen geht, wird man wirklich traurig. Überall ist das Licht aus, wo sonst das pulsierend­e Leben auf den Straßen ist. In den Clubs, in den Bars ist nichts los – die Leute haben Existenzan­gst. Es gibt Schirme, die schützen sollen, ob das wirklich gelingt, weiß ich nicht, ich höre da Unterschie­dliches. Es ist natürlich auch eine große Angst, dass der Kiez sein Gepräge verliert. Wir haben jetzt gerade das Licht angeschalt­et am Kirchturm, eine wunderbare Illuminati­on, ein Hoffnungsl­euchten. Das soll den Leuten zeigen, dass es weitergeht, auch wenn wir durch eine schwere Zeit gehen. Ich versuche einfach für die Leute da zu sein, hier und da zu helfen. Unsere Mitarbeite­r in der Diakonie haben sich wahnsinnig über die Gutscheine von „Mensch Hamburg“gefreut. Alles, was zeigt, es geht weiter, es kommt danach noch etwas, aber wir müssen da jetzt durch, hilft.

Rücken christlich­e Werte in diesen Zeiten noch mehr in den Mittelpunk­t?

Engelbrech­t: Christlich­er Wert heißt ja, wir dürfen den Ernst, die Schwierigk­eit der

Lage sehen und trotzdem an der Schönheit des Lebens festhalten. Das Wissen, dass dort die Wahrheit liegt, ist extrem wichtig in dieser Zeit.

Sieghard, was gibt dir neben deinem Glauben und der Bibel die Gewissheit, dass nächstes Jahr alles wieder besser wird?

Wilm: Es ist die Energie von St. Pauli. Wir glauben an die Auferstehu­ng. Das ist ja ein sehr christlich­er Satz, es geht um die Ostergesch­ichte und die Auferstehu­ng Jesu Christi, aber auch um den Kiez. Da sind Menschen, die schon eine Menge erlebt haben, ob privat oder geschäftli­ch. Und die können viele Geschichte­n vom Wiederaufs­tehen erzählen. Das ist ein Teil der Kiez-Philosophi­e, ob man nun gläubig ist oder nicht. Ärmel hochkrempe­ln und weiter. Wir sind in einem privilegie­rten Land, das muss man sehen, und deswegen bin ich optimistis­ch. Wir haben Glück im Unglück, und es wird alles weitergehe­n. Ich glaube, im Rückblick später werden wir stolz sein, dass wir den Kopf nicht in den Sand gesteckt haben, uns nicht kleingemac­ht haben.

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Lars Meier (v. l.) mit Pastor Sieghard Wilm und Pastor Frank Engelbrech­t in St. Katharinen
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Sieghard Wilm ist Pastor der St. Pauli-Kirche.

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