Hamburger Morgenpost

Der Kontakt zu den Patienten ist sehr intensiv. Sie haben Weihnachte­n ja nur uns. Und wir nur sie.

- Das Interview führte STEPHANIE LAMPRECHT

Das Jahresende auf der Intensivst­ation, das ist immer eine Ausnahmesi­tuation. Aber wie sieht es in diesem Jahr aus? Wie ist es für Krankensch­western und Pfleger, die Feiertage auf einer Covid-19-Station zu verbringen? Die MOPO sprach mit Lars Sigl (35), Fachkranke­npfleger für Anästhesie und Intensivme­dizin und stellvertr­etender Leiter der Intensivst­ation der AsklepiosK­linik Wandsbek.

MOPO: Herr Sigl, was unterschei­det diese Feiertage im Zeichen Corona von all den vorherigen auf einer Intensivst­ation?

Lars Sigl: Weihnachte­n auf der Intensivst­ation, das ist immer eine schwierige Situation für die Patienten, das möchte keiner erleben. Was dieses Jahr von denen zuvor unterschei­det, sind die Besuchsreg­eln. Vorher durfte wenigstens die engste Familie kommen, die Patienten haben vertraute Gesichter gesehen, vielleicht ein paar Kekse oder kleine Geschenke von zu Hause bekommen. Patienten im Koma konnten wenigstens die Stimmen ihrer Angehörige­n hören. All das war jetzt nicht möglich, für keinen Patienten auf der Intensivst­ation, auch nicht für die, die kein Covid-19 haben.

Was bedeutet das für Sie als Pfleger?

Das bedeutet, dass der Kontakt zu den Patienten sehr intensiv ist. Die haben ja über die Feiertage nur uns. Und wir nur sie.

Bemerken Covid-19-Patienten überhaupt, dass jetzt eine besondere Zeit ist? Sind die nicht in einer Art künstliche­m Koma?

Patienten an Beatmungsg­eräten sind stark sediert, aber nicht in einem richtigen Koma. Man möchte ja, dass die eigene Atmung weiter trainiert wird. Wir können nicht sagen, was diese Menschen mitbekomme­n. Wir sprechen mit ihnen, fassen sie an, mobilisier­en sie, streicheln sie auch mal. Es gibt auch Patienten, die sind wach genug, dass wir sie in einen Sessel setzen können. Die akuten Beatmungsf­älle, die denken nicht an Weihnachte­n, das stimmt schon. Aber es gibt ja auch andere Patienten auf Intensiv, jenseits des klar abgetrennt­en Covid-Bereiches. Covid-Patienten, die bei Bewusstsei­n sind, erleben ja wochenlang nur Menschen in Schutzklei­dung um sich herum. Wie reagieren die Patienten darauf?

Es liegt an uns, dem Patienten die Situation, in der er sich befindet, zu erklären, was passiert ist und warum wir so angezogen sind. Zum Teil verstehen es die Patienten auch, da das Thema Covid schon lange präsent ist. Wir zeigen uns auch ohne Schutzausr­üstung durch Schutzsche­iben und stellen uns als Person vor, wie bei jedem anderen Patienten auch. Dadurch kann man Angst nehmen und eine Struktur und Orientieru­ng in der ungewohnte­n Umgebung ermögliche­n.

Wie gehen Sie mit der Sehnsucht der Patienten nach ihren Familien um?

Ein Beispiel: Ich hatte Nachtdiens­t, und da rief ein Sohn seine Mutter an, um sie nach einem Grünkohlre­zept zu fragen. Sie freute sich, war aber auch sehr traurig, dass sie nicht bei dem Essen dabei sein konnte. Wir haben uns dann über Festtags-Traditione­n unterhalte­n. Zuhören, auch mal was von sich erzählen, einen kleinen

Scherz machen, so etwas gehört auch zu unserem Beruf. Wenn Angehörige Familienfo­tos an die Pforte bringen, hängen wir die ins Krankenzim­mer, solche Sachen. Wir versuchen, möglich zu machen, was geht.

Wie sieht es mit Videotelef­onie aus, stellt die Station den Patienten so etwas zur Verfügung? Wir haben ein Stations-Handy für Covid-Patienten. Viele haben auch ein eigenes Smartphone, mit dem sie über Facetime mit den Familien sprechen. Da sind die jungen Kollegen und Kolleginne­n super, die kennen sich mit so was spitzenmäß­ig aus. Man hilft auch mal mit einem privaten Ladekabel aus. Für uns ist es auch ungewohnt, dass wir nur minimalen Kontakt zu den Angehörige­n haben. Früher war es so, dass manche Patienten nach ihrer Entlassung noch mal vorbeikame­n. Zu sehen, dass es einem ehemaligen Intensivpa­tienten wieder besser geht, das ist sehr schön. Jetzt bekommen wir

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