„Mutter heizte mit Baumwurzeln“
Im Winter 1946/47 haben viele Hamburger weder genug zu essen noch genug Brennmaterial
Heute noch fröstelt es MOPO-Leser Kurt Hoffmann (81), wenn er an Weihnachten 1946 denkt. Die Kälte trifft in Hamburg auf eine Bevölkerung, die weder genug zu essen noch genug Brennmaterial zur Verfügung hat. Noch dazu leben die meisten Menschen in ausgebombten Häusern, in Nissenhütten, Behelfsheimen – manche sogar in alten Luftschutzbunkern.
„Die Mutter und ihr kleiner Bub, sie waren nun ausgebombt, verloren in einer Nacht Haus und Hof, viele Freunde, Verwandte und Bekannte. Von nun an lebten sie im Miet-Zimmer einer sehr alten und liebenswerten Fischerfamilie. Dieses Zimmer war ehemals eine große Wohnstube, nun war es Küche, Schlafzimmer, Bad und Wohnzimmer in einem.
Es war äußerst kalt in diesem Raum im Winter 1946/47, da in den zwei vorhandenen Fenstern die vom Krieg zerstörten Glasscheiben nur mit milchigem, undurchsichtigem und hauchdünnem Gummi ersetzt waren. Diese Gummibespannung schützte zwar vor Wind, aber nicht vor der eisigen Kälte. Es war minus 20 Grad! Es gab einen alten Küchen-Kohleherd, auf dem die liebe Mutter versuchte, wenn sie dann gar Lebensmittel und Brennbares hatte, etwas zu kochen.
Kohlen standen den beiden Armen leider nicht zu Verfügung. Somit musste die Mutter mit Stubben, also ausgegrabenen Baumwurzeln, heizen, die ihr die besorgte Nachbarsfamilie hin und wieder mal zusteckte.
Das hatte dann wiederum zur Folge, dass zwar das Süppchen irgendwann warm, aber die gesamte Stube vom Rauch der schwer brennbaren Baumwurzeln auch verqualmt war und die Fenster, trotz klirrender Kälte, weit aufgerissen werden mussten. Genau so ein Tag war auch wieder der Heilige Abend 1946/1947!
Es war so bitterkalt drauße wie auch in dieser frostigen Stube, dass sich eine feste und glitzernde dicke Eisschicht auf der Fensterinnenwand gebildet hatte. Daraufhin beschloss die Mutter, das letzte Geld auszugeben und mit ihrem Bub ins nahegelegene Gasthaus zu gehen.
Dort wurde geheizt und die zwei konnten endlich mal auf einer warmen Sitzbank Platz nehmen und hinausschauen durch ein eisfreies Fenster und sich ein Heißgetränk bestellen, welches aus viel, viel heißem Wasser und künstlichen Aroma-Extrakten bestand.
Nach etwa zwei Stunden gingen die beiden doch eigentlich sehr zufrieden, durch den tiefen Schnee nach Hause, ins kalte MietZimmer ohne Weihnachtsbaum, ohne Kerzen, ohne Kuchen, ohne Geschenke. Stattdessen gab es nur ein Brot mit selbst gemachtem Schmalzaufstrich zu essen. Beleuchtet wurde die ganze Szenerie von einer nackten Glühbirne, die von der Mitte der Stubendecke herabhing.
Mit dem Gedanken, im Prinzip doch noch viel Glück gehabt zu haben, denn immerhin hatte es etwas Heißes zu trinken gegeben, legen sich Mutter und Sohn sehr, sehr zeitig in das wenigstens etwas wärmende Bett am Heiligen Abend des Jahres 1946.“