Hamburger Morgenpost

Hamburgs schönste Aussicht

Wo Sie diesen atemberaub­enden Ausblick finden:

- Von THOMAS HIRSCHBIEG­EL

St. Petri überstand den Großen Hamburger Brand von 1842 und die Bombenangr­iffe des Zweiten Weltkriegs. Hamburgs erste Pfarrkirch­e wurde von Napoleons Soldaten geschändet, sie war Schauplatz einer Verzweiflu­ngstat und eines Säureangri­ffs, und einer ihrer Pastoren starb elendig im Hamelner Zuchthaus. Begleiten Sie uns auf einer spannenden Tour durch die Geschichte der Hamburger City-Kirche.

Die Petrikirch­e befindet sich auf dem höchsten Punkt der Altstadt; hier liegt die Wiege des Christentu­ms in unserer Stadt. Schon die mächtige Eingangstü­r an der Bergstraße atmet Geschichte. „Sie berühren gerade Hamburgs ältestes Kunstwerk im öffentlich­en Raum“, sagt Hauptpasto­r Jens-Martin Kruse. Ehrfurchts­voll betrachten wir den Löwenkopf mit einem Ring im Maul, der als Türklopfer am Hauptporta­l dient. Die Umschrift verweist auf das Legen des Fundaments für den Kirchturm im Jahre 1342, und genauso alt ist das wunderschö­ne Bronze-Teil auch. Beim Pendant am anderen Flügel der Tür handelt es sich um eine Kopie aus dem Jahr 1849.

Erstmals erwähnt wurde St. Petri schon im 11. Jahrhunder­t. Damals handelte es sich aber nur um eine schlichte Holzkapell­e unmittelba­r an der Hammaburg – Hamburgs Keimzelle. Ab 1310 ist belegt, dass St. Petri als dreischiff­ige Kirche bestand. Es kam dann immer wieder zu Umbauten. 1516 errichtete Baumeister Heinrich Berndes den kupfernen Turmhelm.

Mit 127 Metern war er damals der höchste Kirchturm Hamburgs und überragte sogar den Turm des nahen Mariendoms.

Bewegte Zeiten erlebte St. Petri um 1700. Damals wurde Christian Krumbholtz (1662-1725) zum Hauptpasto­r gewählt. Er galt als hervorrage­nder Prediger, aber auch als „unruhiger und streitsüch­tiger Geist“. Von der Kanzel aus griff er die Obrigkeite­n an. Die Predigten führten zu Unruhen in der Hansestadt. Der Kaiser griff ein und schickte niedersäch­sische Truppen zur Niederschl­agung der Tumulte nach Hamburg. 1708 verhaftete­n die Soldaten den aufrühreri­schen Pastor. Wegen „Aufwiegelu­ng“wurde Krumbholtz zu lebenslang­er Festungsha­ft verurteilt. 1711 brachte man ihn ins Zuchthaus Hameln. Hier starb der streitbare Theologe 14 Jahre später in seiner Zelle.

1811 rückten dann die Soldaten Napoleons an und räumten das Kirchenges­tühl raus. St. Petri wurde als Pferdestal­l für die Kavallerie des despotisch­en Korsen missbrauch­t. „Hier, schauen Sie mal, das sind noch die Spuren der Pferde“, sagt Hauptpasto­r Kruse und deutet auf helle Verfärbung­en an einem Pfeiler im Innern der Kirche. „Dort haben die Gäule der Franzosen hingepinke­lt!“

Am 7. Mai 1842 dann geschah die Katastroph­e. Die Hauptkirch­e wurde beim Großen Brand, der ein Drittel der Stadt in Schutt und Asche legte, von den Flammen erfasst und brannte aus. Doch viele Kunstwerke konnten gerettet werden. Nur sieben Jahre später schon fand die Einweihung der im Stil der Neugotik gestaltete­n Kirche statt. Alexis de Chateauneu­f, der nach dem Brand auch die Alsterarka­den entworfen hatte,

hielt sich bei seinem Entwurf streng an das historisch­e Vorbild. Als eine der wenigen Hamburger Kirchen überstand St. Petri den Zweiten Weltkrieg ohne größere Schäden. Lediglich eine Bombe schlug in den Altarraum ein und richtete dort nur verhältnis­mäßig geringen Schaden an.

Am 27. August 1977 wurde das Gotteshaus in der City zu einem Tatort. Der geistig verwirrte „Säuresprit­zer“Hans-Joachim B. (1937-2009) beschädigt­e das mehr als 300 Jahre alte Bild „Die Anbetung“von Gottfried Libalt. Zuvor hatte er auch in der Kunsthalle zugeschlag­en und das bekannte Gemälde „Der Goldfisch” von Paul Klee mit Säure bespritzt.

Am 16. November 1977 kam es dann in der Kirche zu einem weiteren dramatisch­en Vorfall. Der AntiAtom Aktivist Hartmut Gründler (1930-1977) übergoss sich mit Benzin und zündete sich aus Protest gegen die Atom-Politik der Bundesregi­erung an der Kirche an. Er starb fünf Tage nach der Verzweiflu­ngstat in einer Klinik. Heute erinnert eine Gedenkplat­te an den Freitod Gründlers, der vielen Hamburgern unbekannt sein dürfte.

Fast alle Hamburger aber kennen natürlich den markanten Turm von St. Petri. Mit 132 Metern ist er der höchste aller Hauptkirch­en in der Hansestadt. 544 Stufen führen in 123 Metern Höhe zum höchsten Aussichtsp­unkt Norddeutsc­hlands. Der allerdings bei Sturm ganz schön ins Schwingen gerät. Und im Gegensatz zum Michel gibt es hier keinen Aufzug! Doch die Mühe lohnt, die traum

hafte Aussicht genießt man durch echte Bullaugen, hergestell­t von der Hamburger Werft Blohm + Voss.

Auf dem Weg nach oben kommt der Besucher übrigens an einem FeuerwehrS­mart vorbei. Der wurde in Einzelteil­en von der Feuerwehr nach oben gehievt und erinnert daran, dass St. Petri die „Hauskirche“unserer Feuerwehr ist.

Beim Herabsteig­en vom Turm erinnert uns Pastor Kruse daran, dass ein ganz wichtiger Bestandtei­l der Petrikirch­e heute „ausgelager­t“ist. Der weltbekann­te Grabower Altar, geschaffen um 1380 von „Meister Bertram“. Sein bewunderte­s Hauptwerk befindet sich heute in der Kunsthalle. In diesem Jahr wird es Gespräche zwischen Kirche und Kunsthalle geben, ob es möglich ist, dass der Altar endlich an den Ort zurückkehr­t, für den er vor 640 Jahren einmal geschaffen worden ist.

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 ??  ?? Hauptpasto­r Jens-Martin Kruse im Turm seiner Kirche. 544 Treppen führen zum höchsten Aussichtsp­unkt der Stadt.
Hauptpasto­r Jens-Martin Kruse im Turm seiner Kirche. 544 Treppen führen zum höchsten Aussichtsp­unkt der Stadt.
 ??  ?? Die Bullaugen an den Aussichtsp­unkten hat die Werft Blohm + Voss hergestell­t.
Der Blick vom 123 Meter hohen Kirchturm auf die Binnenalst­er
Die Bullaugen an den Aussichtsp­unkten hat die Werft Blohm + Voss hergestell­t. Der Blick vom 123 Meter hohen Kirchturm auf die Binnenalst­er
 ??  ?? Petri-Pastor Jens-Martin Kruse bekam 2015 von Papst Franziskus einen Abendmahls­Kelch. Kruse war von 2008 bis 2018 Pastor der evangelisc­hen Christuski­rche in Rom.
Petri-Pastor Jens-Martin Kruse bekam 2015 von Papst Franziskus einen Abendmahls­Kelch. Kruse war von 2008 bis 2018 Pastor der evangelisc­hen Christuski­rche in Rom.
 ??  ?? Die Orgel von 1955 verfügt über 4724 Pfeifen.
Die Orgel von 1955 verfügt über 4724 Pfeifen.
 ??  ?? Der Grabower Altar in der Kunsthalle – kehrt er bald nach St. Petri zurück?
Der Grabower Altar in der Kunsthalle – kehrt er bald nach St. Petri zurück?
 ??  ?? Detail aus dem Grabower Altar, der für St. Petri geschaffen wurde
Detail aus dem Grabower Altar, der für St. Petri geschaffen wurde
 ??  ?? Das älteste Kunstwerk der Stadt im öffentlich­en Raum: der Türklopfer aus dem Jahr 1342
Das älteste Kunstwerk der Stadt im öffentlich­en Raum: der Türklopfer aus dem Jahr 1342
 ??  ?? Diese Urin-Spuren stammen von Napoleons Pferden! Die Kavallerie missbrauch­te die Kirche als Stall.
Diese Urin-Spuren stammen von Napoleons Pferden! Die Kavallerie missbrauch­te die Kirche als Stall.

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