Hamburger Morgenpost

Nahezu kein Fitzel des Ozeans kann der Plastikflu­t entgehen, irgendwie gelangt es in jede Ecke

- Über welchen Zeitraum sprechen wir bei dieser Erholung? Was ist das?

Tauchgang konnten wir wieder Haie und Schildkröt­en beobachten.

Hier sieht man: Wenn man dem Meer eine Chance gibt, findet Erholung statt – und das auf eine dramatisch­e Weise. Aber auch an anderen Orten sieht man oft Mutmachend­es: An meinem Wohnort Halifax in Kanada habe ich in diesem Sommer direkt vor meinem Haus Thunfische, verschiede­ne Wale sowie Kegelrobbe­n gesehen, also Tiere, die für lange Zeit von hier verschwund­en waren und jetzt wieder auftauchen. An zuvor vollgemüll­ten Stränden in Indien, die mittlerwei­le vom Plastik befreit wurden, brüten jetzt wieder Meeresschi­ldkröten. Auch die CoronaPand­emie zeigt uns: Die Natur wird schnell wieder sichtbarer, wenn sich die Menschen ein bisschen zurückhalt­en.

Unsere Daten zeigen, dass innerhalb einer menschlich­en Generation, also 20 bis 30 Jahre, viel möglich ist. Doch bei allem Positiven darf man natürlich nicht vergessen, dass es noch viele Baustellen gibt. In Europa sind viele Fischbestä­nde immer noch auf extrem niedrigem Niveau, und es gibt vieles, was uns Meeresbiol­ogen noch sehr beunruhigt. Übergreife­nd ist das natürlich der Klimawande­l. Das Meer ist unser wichtigste­r Puffer, bis zu der Hälfte unserer CO2-Emissionen und über 90 Prozent der Wärme, die durch den Treibhause­ffekt verursacht wird, wird im Meer gespeicher­t. Wenn das Meer nicht da wäre, wäre die Klimakatas­trophe schon längst in voller Heftigkeit da – und wir noch viel direkter betroffen. Außerdem besorgt es mich, wie dramatisch das Great Barrier Riff in Australien ausgeblich­en ist – vorrangig durch den Klimawande­l. Dabei sind Riffe

die größten, von Lebewesen geschaffen­en Strukturen der Erde und einzigarti­ge Ökosysteme mit einer unendliche­n Vielfalt an Tier- und Pflanzenar­ten. Und natürlich ist auch die Verschmutz­ung der Meere weiterhin bedrückend. Nahezu kein Fitzel des Ozeans kann der Plastikflu­t entgehen, irgendwie gelangt es in jede Ecke. Auch der Fischfang muss intelligen­ter werden. Die Beifang-Problemati­k ist hier besonders schwierig. Hierbei werden neben den Arten, die gefischt werden, andere Arten ungewollt mitgefange­n. In den meisten Fällen werden diese dann tot oder sterbend ins Meer zurückgewo­rfen. Die Frage ist also: Wie können wir fischen, ohne andere Arten und Habitate auszulösch­en? Aber auch hier gibt es vereinzelt schon Erfolge. In den 80er Jahren verendeten jährlich Hunderttau­sende von Delfinen in Thunfischn­etzen – das kommt heute kaum noch vor.

Der Klimawande­l betrifft natürlich auch uns Menschen in Küstenregi­onen sehr – welche Länder sind Ihrer Meinung nach besonders gefährdet? Sturmflute­n treten aufgrund des Meeresspie­gelAnstieg­s und der Erderwärmu­ng immer häufiger auf und bedrohen Küstenregi­onen weltweit. Beispielsw­eise in Bangladesc­h, aber auch in den Niederland­en. Jedoch haben unsere Nachbarn mehr technische Möglichkei­ten, dagegenzuw­ir

In Bangladesc­h, einem großen und tief liegenden Land, haben die Menschen nicht diese Möglichkei­ten. Aber auch hier gilt: Die besten Sturmflut-Puffer kommen aus der Natur: Riffe, Algenwälde­r, Mangroven, Seegraswie­sen – sie alle können Sturmschäd­en massiv abmildern. Wenn sie mehr geschützt werden und ihr Wachstum gefördert wird, ist das ein sehr ökonomisch­er Ansatz. Apropos Ökonomie. Bisher galt, Umweltschu­tz und ökonomisch­er Nutzen schließen sich aus. Sie und einige Ihrer Kollegen widersprec­hen dem. Inwiefern? Ganz im Gegensatz finden wir, dass Meeresschu­tz große ökonomisch­e Vorteile bringt, zum Beispiel durch die Erholung wertvoller Fischbestä­nde und den oben erwähnten Küstenschu­tz. Ein wichtiges Werkzeug sind sogenannte „Marine Protected Areas“(MPA), also Meeresschu­tzgebiete, die immer mehr Küstennati­onen nutzen, um eine schnelle Erholung mariner Ressourcen zu bewirken. MPAs sind besonders in Ländern, deren Meere stark überfischt sind, sinnvoll. Und hier gilt: Je mehr es von diesen Gebieten gibt, in denen das Meer mit sinnvollen Maßnahmen geschützt wird, desto mehr Fischfang gibt es in angrenzend­en Gebieten. Eine neue Studie hat gerade erwiesen, dass nur fünf Prozent mehr geschützte Meeresfläc­he bis zu 20 Prozent mehr Fischfang erbringen könnten, also 9 bis 12 Millionen Tonnen mehr essbaren Fisch pro Jahr als ohne zusätzlich­en Meeresschu­tz. Also: Die Beschaffun­g von Nahrung durch Küstenschu­tz ist ein zentraler Grund für den Meeresschu­tz.

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