Wir hatten Corona
Sie lagen im Koma, wurden beatmet, sind dem Tod nur knapp entkommen. Viele leiden immer noch an Spätfolgen. Diese Hamburger geben der Krankheit ein Gesicht
Die Zahlen steigen, die Zahlen sinken – seit einem Jahr dominiert Corona unser Leben. Und doch ist das Virus für viele Menschen immer noch nicht greifbar. Für viele ist es bloß eine abstrakte Gefahr, über die man die unterschiedlichsten Dinge hört. Die MOPO hat mit Menschen gesprochen, die die Krankheit durchgemacht haben. Die flach im Bett oder im Koma lagen, die beatmet wurden und den drohenden Tod besiegten. Manche leiden noch immer unter Spätfolgen. Diese Hamburger geben der Krankheit ein Gesicht.
„Meine Lippen wurden auf einmal blau“
Carsten Mühlenkamp ist ein Überlebender. Das ist dem Ingenieur aus Stade anzumerken. Wenn er spricht, dann ist die Wertschätzung für das Leben aus seinen Sätzen immer wieder herauszuhören. „Ich bin gerade 55 geworden. Glücklicherweise“, sagt er zum Beispiel auf die Frage nach seinem Alter. Dass er diesen Geburtstag erreichen würde – dan ch sah es lan nict aus. Carsten Mühlenkamp hatte sich Anfang März beim Singen im Chor infiziert. So wie eine Reihe von anderen Sängern auch. Zuerst fühlte er sich nur schlapp. Erst als das Fieber auf 40,5 Grad stieg, machte er den Test. Ergebnis: positiv. Nur der Aufmerksamkeit seiner Frau, einer examinierten Krankenschwester, hat Mühlenkamp es zu verdanken, dass er schnell ins Krankenhaus kam.
„Meine Lippen wurden auf einmal blau, meine Finger weiß“, erinnert sich Mühlenkamp. Seine Frau wusste: Das sind Anzeichen für eine niedrige Sauerstoffsättigung. Mühlenkamp wurde mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus Stade gefahren. Dort endet seine Erinnerung. Mühlenkamp wurde
ins künstliche Koma versetzt. Als sich sein Zustand weiter verschlechterte, wurde er mit einem Rettungseinsatz ins UKE nach Hamburg verlegt, wo er an die Beatmungsmaschinen angeschlossen wurde.
„Ich habe davon nichts mitbekommen. Als ich drei Wochen später aufwachte, wusste ich nicht, wo ich war. Es war wie ein Albtraum“, so der Ingenieur. „In der ersten Woche ist niemand davon ausgegangen, dass ich es schaffe.“Nur langsam ging es bergauf. Mühlenkamp, der keine Vorerkrankungen hatte, nur etwas Übergewicht, verlor 30 Kilo. Seine Muskeln waren weg. Er musste das Laufen erst wieder lernen. Bis heute kann er kaum Treppen steigen, ist ständig müde und kann nicht mehr als sechs Stunden arbeiten.
„Ein Arzt hat mir gratuliert, dass ich überlebt habe. Aber er sagte auch, dass ich nie wieder der Alte werde“, sagt Mühlenkamp. Sein Blutdruck, sein Puls werden nie wieder wie früher sein. Im Oberschenkel und Po hat der 55-Jährige kein Gespür mehr. „Das ist keine Krankheit, die man mal durchmachen kann“, warnt Mühlenkamp. „Denn das kann fürchterlich in die Hose gehen. Es ist ein Wunder, das überlebt zu haben.“
„Es war wie ein Tsunami“
Auch Babette Grosch hat die Infektion nur knapp überlebt. Die beliebte Weinhändlerin aus Ottensen lag mit Leukämie auf der Krebsstation des UKE, als es dort im April zur Katastrophe kam. Das Virus bahnte sich seinen Weg in die eigentlich abgeschottete Station. Durch eine Reinigungskraft, durch einen Pfleger, einen Arzt? Das weiß man bis heute nicht genau. Es ist auch nicht so wichtig. Schuld an der brutalen Bilanz des Ausbruchs ist allein Sars-CoV-2: 40 Mitarbeiter und 22 Patienten infizierten sich, elf starben.
„Es war wie ein Tsunami, als es losging“, sagt Babette Grosch. Bei ihr selbst sei es mit einem schweren Husten losgegangen. Dazu kam Atemnot. „Es ging mir richtig schlecht“, sagt die 65-Jährige. „Jedes Luftholen war eine Qual.“Grosch wurde auf die Intensivstation verlegt. Dort bekam sie Sauerstoff in die Nase, auch ihr Blut wurde mit Sauerstoff angereichert. Das half. Um die Beatmungsmaschine kam sie herum.
Erst Wochen später konnte sie sich wieder dem Kampf gegen ihre eigentliche Krankheit widmen – dem Krebs. Bis kurz vor Weihnachten lag sie noch im UKE. Was sie dort erlebt hat, lässt sie vermutlich nie wieder los. „Besonders das mit Ines“, sagt sie leise. Ines. Das war eine junge Leidensgenossin auf der Station. Eine Studentin, 21 Jahre alt, mit der Babette Grosch immer Schach spielte. Sie ist gestorben. „Ich hab’ Angst, dass ich sie angesteckt habe“, sagt Grosch. Sie fühlt sich schuldig. Und auch wenn sie es nicht ist. Das Überlebenstrauma bleibt.
„Es fühlte sich wie eine Erkältung an“
Infektion auf Station – das gibt es auch in anderen Krankenhäusern. Tanja Hoffmann (31) ist Stabsärztin am Bundeswehrkrankenhaus in Wandsbek. Sie arbeitet auf der Covid-Station. Wie genau sie sich infiziert hat, das weiß sie nicht. „Wir arbeiten ja in voller Schutzkleidung“, sagt sie. Ihre sozialen Kontakte hatte sie im November schon fast komplett heruntergefahren. Ihr Lebensgefährte arbeitet im Homeoffice. Trotzdem fand das Virus seinen Weg.
Am 24. November entwickelte Tanja Hoffmann erste Symptome. „Es fühlte sich an wie eine Erkältung. Ich war schon überrascht, als der Corona-Test positiv ausfiel.“In den folgenden Tagen wurden die Symptome stärker. Acht Tage lag Hoffmann zu Hause flach. „Ich war sehr erschöpft.“Der Geschmacks- und Geruchssinn war eingeschränkt und ist es bis jetzt.
Hoffmann hatte das, was man einen „milden Verlauf“nennt. Auf die leichte Schulter sollte man Corona deshalb trotzdem niemals nehmen, betont die Ärztin. „Ich sehe ja täglich, was hier bei uns auf der Station los ist. Die Zahlen steigen. Es gibt immer mehr Todesfälle. Wenn wir uns nicht an die Regeln halten, gehen die Zahlen nicht runter. Es hängt von uns ab! Die Maßnahmen, die die Politik vorgibt, sind wichtig.“
„Eier schmecken nur noch furchtbar“
Sonja Carhardt (74) ist gelernte Krankenschwester und arbeitet ehrenamtlich am Agaplesion Diakoniekrankenhaus in Eimsbüttel, wo sie sich als sogenannte „Grüne Dame“um alte Menschen kümmert. Dort muss sie sich im März auch infiziert haben – wie, weiß sie nicht. „Die alten Leute umarmen einen ja ganz gerne“, meint sie. Vielleicht kam es so. Vielleicht auch nicht. Trotz ihres Alters erlebte die 74-Jährige einen milden Verlauf.
Ein Arzt hat mir gratuliert, dass ich überlebt habe. Er sagte auch, dass ich nie wieder der Alte werde.
Carsten Mühlenkamp
Man wird als gesund aus dem Krankenhaus entlassen. Aber man ist noch lange nicht genesen. Horst R.
„Ich hatte Husten, Halsschmerzen und ein bisschen Gliederschmerzen“, erzählt die rüstige Seniorin, die keinerlei Vorerkrankungen hatte. Erst viel später, Ende Juni, als die Infektion längst erwunden war, tauchten plötzlich Beschwerden auf. Carhardt fühlt sich ständig hlapp. Sie ist müde, hat oft Atemn t. „Und mein Gekssinn ist gestört. zum Beispiel schmec en f r mich nur noch fu chtbar!“
Die Ärzte untersuchten die 4-Jährige, konnten aber hts finden. „Ich kriege es c o ein bisschen mit der , b es jetzt doch noch gliche Auswirkundie Organe gibt“, hardt. „Ich bin nicht o fit wie früher.“Carhardt von Menen hört, die die Coona-Gefahr herunterspielen, wird sie ärgerlich. „Man sieht doch, wie viele Menschen daran sterben! Das müssen die Leugn er doch mal begreifen.
Wenn ich daran denke, dass die Angehörigen sich nicht mal von ihren Liebsten verabschieden können, macht mich das traurig.“
„Ich war wie zugeschnürt“
Alice K. wird Corona seit Wochen nicht los. Am 8. Dezember wurde sie zum ersten Mal positiv getestet. Infiziert hat sie sich wahrscheinlich beim Einkaufen. Doch auch nach drei Wochen gibt es noch keine Entwarnung. Alle Tests sind weiter im roten Bereich. Dennoch: Das Schlimmste hat die 63-Jährige hinter sich – die Lungenentzündung, die sie durch die Infektion entwickelte.
„Ich lag zu Hause mit 39 Fieber im Bett“, erzählt Alice K. Sie habe nichts essen können, nichts trinken und wurde immer schwächer. Als sie dachte, sie würde zusammenbrechen, rief sie den Notarzt. Der holte den Rettungswagen. Alice K. kam in die Schön-Klinik. Notaufnahme.
Die Entzündungswerte waren hoch, in der Lunge war Wasser. „Ich war wie zugeschnürt. Ich konnte nicht durchatmen“, sagt Alice K. Sie bekam Sauerstoff zur Unterstützung in die Nase zugeführt. Langsam stabilisierte sich ihr Zustand. Atembeschwerden und Schwäche verspürt sie weiter.
„Dass es immer noch Menschen gibt, die rona n cht ernst nehmen, kann ich nicht verstehen“, sagt Alice K. Nicht nur wegen der Gefahr für einen selbst und seine Mitmenschen. Sondern auch wegen der Situation in den Krankenhäusern. „Ich habe die Anspannung dort sehr deutlich gespürt“, sagt die 63-Jährige, die selbst bei einem Pflegedienst arbeitet. „Das Klinik-Personal ist einem ständigen Risiko ausgesetzt. Es gibt dauernd Wechsel, weil sich jemand infiziert hat. Die Ärzte und Pfleger arbeiten am Limit!“
„Mein Leben hing am seidenen Faden“
Als ehemaliger Kapitän hat Horst R. schon so manchen Sturm durchstanden. Doch keine Turbulenzen haben ihn je so in Gefahr gebracht wie das Coronavirus. Drei Wochen lag der 67-Jährige im UKE, zwei Wochen davon auf der Intensivstation.
„Mein Leben hing am seidenen Faden“, sagt Horst R. „Die Ärzte sagten meiner Frau, sie seien nicht sicher, ob ich es schaffen würde.“Problem: Rohde leidet an einer Lungen-Vorerkrankung. Das Coronavirus brachte ihn in akute Lebensgefahr.
Wie das Virus zu ihm kam, weiß der Rentner nicht genau. Vielleicht war es der Mann, der auf dem Rückflug
Den Unterschied zwischen einer Zwiebel und einer Grapefruit habe ich nicht geschmeckt.
Laura Steffens
von Mallorca Ende Februar neben ihm saß und stark hustete. Vielleicht war es auch der Besuch eines HSVHandballspiels. In jedem Fall bekam Horst R. am 17. März ganz plötzlich keine Luft mehr. Sowohl der Notdienst als auch die CoronaHotline waren zu diesem Zeitpunkt komplett überlastet. Da kam es dem Ex-Kapitän zugute, dass er schon seit Jahren Patient der UKEPneumologie ist und ein Anruf genügte, um die Aufnahme zu erwirken.
Wegen seiner Vorerkrankung konnte Horst R. nicht intubiert werden. Seine Überlebenschance wäre nur 50 Prozent gewesen. Er schaffte es, wenn auch nur knapp, mit einer nichtinvasiven Beatmung durch die Nase. „Di eZeitaufderIntensivstation war hart. Aber die Versorgung durch die Pfleger war sehr gut – sowohl fachlich als auch menschlich.“
Wie viele andere Patienleidet ten auch, Horst R. bis heute unter Atembeschwerden. Das Laufen musste er erst wieder lernen. Langsam und beschwerlich. Was ihm am meisten zu schaffen macht, ist aber sein „Kopp“.
„Ich habe Demenz-Erscheinungen“, sagt der 67-Jährige betrübt. Sein Kurzzeitgedächtnis sei deutlich eingeschränkt. Er ver„Ich gesse viel. muss mir alaufschreiben“, les sagt Horst
R. In der Reha in Heiligendamm sei er mehreren Patienten begegnet, denen es genauso ging. Mittlerweile gibt es Studien zu dieser Spätfolge. Horst R.: „Man wird als gesund aus dem Krankenhaus entlassen. Aber man ist noch lange nicht genesen.“
„Nach Corona sinkt die Lebensqualität“
Der CDU-Abgeordnete David Erkalp war der erste Politiker in Hamburg, der an Covid 19 erkrankte. Der 46-Jährige gibt zu, dass die Erfahrung seine Einstellung gegenüber dem Virus komplett verändert hat. „Vor diesem 24. Oktober, an dem ich positiv getestet wurde, war Corona irgendwie weit weg. Ich kannte niemanden, der es hatte. Dann kam die Riesenwelle“, erzählt David Erkalp. Erst erkrankte er selbst. Dann erwischte es seinen Freundeskreis. Während der Politiker selbstehermildeSymptome hatte, traf es seine Freunde schwer. „Ich habe miterlebt, wie die Familien nicht zu dem Kranken in die Klinik durften. Wie die Kinder bangten, ob ihre Väter überleben würden. orona ist eine grausame Krankheit“, sagt der CDU-Mann aus Mitte. Er leidet noch immer an den Spätfolgen. „Ich kann nichts riechen!“, erzählt Erkalp. Das habe ihm nicht nur das
Weihnachtsfest verdorben, wo der gebürtige Aramäer das Festessen nicht genießen konnte. Auch im Alltag stört es den 46-Jährigen schrecklich. „Ich bin ein eher penibler Mensch, der viel Wert auf Sauberkeit und Ordnung legt“, gesteht Erkalp. Dass er nicht mal seine eigenen Körpergerüche wahrnehmen könne und seine Familie fragen muss, ob er rieche, sei eine Belastung für ihn. „Nach Corona sinkt die Lebensqualität. Das ist bitter“, sagt Erkalp.
„Ich habe mein Parfum nicht mehr gerochen“
Wenn Laura Steffens sich daran erinnert, wie sie sich angesteckt hat, dann spricht sie vom „Tatabend“. Die Flugbegleiterin aus Eppendorf war gerade aus Washington gelandet. Für den Abend hatten sie und ihr Partner drei Freunde zum Essen eingeladen. Das war am 12. März.
Was niemand ahnte: Einer der Anwesenden trug das Virus bereits in sich – und wurde, ohne es zu wissen, zum Superspreader. Der Freund hatte sich bei einem Kollegen angesteckt, der zum Skifahren in Ischgl war. An diesem Abend bei Laura Steffens steckten sich alle Anwesenden ohne Ausnahme an. Den Superspreader traf es am härtesten.
„Ich hatte das, was man einen milden Verlauf nennt“, sagt Laura Steffens. Dennoch seien die Gliederschmerzen heftig gewesen. „Ich war wie erschlagen“, sagt die 38-Jährige. Zur Atemnot kamen später Geschmacksund Geruchsirritationen. „Ich habe mein Parfum nicht mehr gerochen. Den Unterschied zwischen einer Zwiebel und einer Grapefruit habe ich nicht geschmeckt.“Diese Sinnesverluste hätten auch hinterher noch lange angehalten. „Bei meinem Freund ist es bis heute nicht normal. Nach zehn Monaten!“
Seit Beginn der Pandemie sind Laura Steffens und ihr Freund, ein Pilot, in Kurzarbeit. Das Leben ohne Beschäftigung setzt ihnen schwer zu. „Man weiß gar nicht, wie es weitergeht“, sagt Steffens. Die Unsicherheit, die Nichtplanbarkeit führe zu Zukunftsängsten. Oft ist Laura Steffens mutlos: „Das Leben hat sich komplett verändert.“