Hamburger Morgenpost

GESUNDHEIT

Dickdarmkr­ebs ist durch Vorsorge vermeidbar

- STEFAN FUHR stefan.fuhr@mopo.de

50 000 Liter Flüssigkei­t und 30 Tonnen Nahrung verarbeite­t der Darm im Laufe eines Lebens durchschni­ttlich. Der Verdauungs­trakt ist eine wahre Hochleistu­ngsmaschin­e, die ihre Arbeit meistens ohne Probleme macht. Was aber tun, wenn es mal nicht so richtig rundläuft? Oder wenn man richtig krank wird? Pro Jahr gibt es etwa 20 000 Todesfälle infolge von Darmkrebs. Dabei ist gerade dieser Krebs vermeidbar, sagt Prof. Dr. Jürgen Pohl, Chefarzt der Gastroente­rologie an der Asklepios Klinik Altona. Er gibt uns einen Überblick über Darmgesund­heit.

MOPO: Was macht eigentlich ein Gastroente­rologe?

Jürgen Pohl: Der Name übersetzt sich aus Gastro – der Magen – und Enterto – der Darm. Also eigentlich sind wir Magen-Darm-Ärzte. Aber wir beschäftig­en uns mit allen Organen, die an der Verdauung beteiligt sind. Dazu gehören Speiseröhr­e, Leber, Galle und auch die Bauspeiche­ldrüse. Der gesamte Verdauungs­trakt vom Mund bis zum Anus ist circa sieben Meter lang. Vom Mund geht es durch die Speiseröhr­e in den Magen. Von dort in den Zwölffinge­rdarm, der schon ein Teil des Dünndarms ist. Nach fünf Meter Dünndarm kommt der Dickdarm. Auf diesem gesamten Weg wird die Nahrung verarbeite­t. Wir wollen uns heute mit dem Darm beschäftig­en. Welche Aufgabe hat der Darm bei der Verdauung? Der Darm übernimmt die Aufgabe des Transporte­s und der Zerkleiner­ung der Nahrung. Alleine der Dünndarm hat durch viele Falten und Zotten eine Oberfläche von der Größe eines Fußballpla­tzes. Die braucht er aber auch, um kleine Nahrungsbe­standteile aufzunehme­n. Gleichzeit­ig ist der Darm auch ein Abwehrorga­n. Hier lernen die Immunzelle­n mit der Außenwelt umzugehen. Denn: Der Darm ist ja eigentlich eine in den Körper gestülpte Außenwelt.

Ist der Darm das zweite Gehirn?

So weit würde ich jetzt nicht gehen. Aber in der Tat stehen der Darm und das Gehirn durch eine direkte Datenautob­ahn – den Vagusnerv – in Verbindung. Man kennt das ja: Läuft die Verdauung nicht rund, hat es auch Auswirkung­en auf das gesamte Wohlbefind­en. Der Darm zwickt uns wahrschein­lich am meisten von allen Organen im Körper. Oder denken Sie an Stress-Situatione­n: Prüfungsod­er Flugangst können bei einigen Menschen zu Durchfälle­n führen.

Wie oft sollte man für das „große Geschäft“auf Toilette gehen? Was ist normal?

Da gibt es keine genaue Gesetzmäßi­gkeit. Jeder Mensch ist unterschie­dlich und durchlebt verschiede­ne Phasen. Manch einer geht vier Mal täglich, andere gehen vier Tage nicht. Der Verdauungs­trakt ist ein Biosystem und kein Fahrplan. … und die Form? Hier gilt dasselbe. Jeder erinnert Phasen mit extrem hartem oder extrem weichem Stuhlgang. Wann sollte man zum Arzt? Längerfris­tiger Durchfall – gerade auch in Verbindung mit Fieber – oder auch Beschwerde­n, die länger andauern, können ein Alarmzeich­en sein. Hellhörig sollte man immer bei Blut im Stuhl sein. Das ist immer ein Warnzeiche­n und gehört ärztlich abgeklärt.

Wie läuft eine Darmspiege­lung ab?

Wir benutzen dazu das Endoskop – einen langen schwarzen Schlauch, in dem sehr viel modernste Technik sitzt. Durch eine hochauflös­ende Kamera und eine starke Leuchte kann der Arzt sehen, was im Körper los ist – eine fantastisc­he Möglichkei­t, nicht nur für eine Diagnose. Denn durch Arbeitskan­äle kann der

Arzt auch direkt behandeln. Man kann Proben nehmen oder Polypen direkt entfernen. Hier bei uns in Altona entfernen wir auf diese Art auch ganze Tumore.

Stichwort Tumore. Die Dickdarmsp­iegelung als Vorsorge ...

… ist eine Perle in unserem Gesundheit­swesen. Jeder Mensch kann sich im Laufe seines Lebens ab einem bestimmten Alter zur Vorsorge untersuche­n lassen. Bei der Spiegelung werden Vorstufen oder ein beginnende­r Dickdarmkr­ebs gesehen und meistens sofort entfernt.

Das heißt, durch das Entfernen von Vorstufen während der Vorsorgeun­tersuchung kann ein Darmkrebs verhindert werden?

Ja, das ist so. Das ist auch der besondere Wertgehalt dieser Untersuchu­ng: Es nicht nur eine Früherkenn­ung, sondern man kann mit dieser Vorsorgeun­tersuchung über die Abtragung von Vorstufen – den Polypen – einen Darmkrebs verhindern. Das kann man bei anderen Vorsorgeun­tersuchung­en nicht.

Trotzdem geht nur jeder Vierte zur Darmkrebsv­orsorge ...

Das ist noch lange nicht die Anzahl, die wir uns wünschen. Jeder, der zur Vorsorge geht, hat dafür einen bis zu 95-prozentige­n Schutz, innerhalb der nächsten zehn Jahre keinen Dickdarmkr­ebs zu bekommen.

Den meisten graut es vor dem Abführen vorher.

Damit der Arzt auch etwas sieht, muss der Darm gut vorbereite­t werden. Daher ist das Trinken einer Abführlösu­ng zusammen mit einem Liter klarer Flüssigkei­t schon am Tag vor der eigentlich­en Untersuchu­ng nötig. Dann rührt sich schon ein bisschen etwas, aber der Patient kann trotzdem noch gut schlafen und muss nicht dauernd zur Toilette rennen. Am Morgen vor der Untersuchu­ng wiederholt sich die Prozedur. Das hat dann einen sehr prompten Spüleffekt. Dann ist der Darm optimal vorbereite­t und kann seine volle Ästhetik entfalten.

Schläft der Patient bei der Spiegelung?

Einige wenige P atienten möchten gerne auf einem zweiten Monior t zugucken, aber die meisten bekommen eine Spritze und verschlafe­n die Prozedur. Nach der Untersuchu­ng ist man auch schnell wieder fit. Einzige Einschränk­ung: Durch die Schlafspri­tze sollte man nicht mehr aktiv am Straßenver­kehr teilnehmen.

Ab wann sollte man mit der Vorsorge beginnen?

Männer ab dem 50. Lebensjahr und Frauen, die etwas seltener Dickdarmkr­ebs bekommen, ab dem 55. Lebensjahr sollten das erste Mal zur Darmkrebsv­orsorge gehen. Es sei denn, es gibt familiäre Vorbelastu­ng. Dann schon erheblich früher in Absprache mit dem Arzt.

2 5% der Deutschen gehen zur Darmkrebsv­orsorge. Das ist viel zu wenig.

Der Verdauungs­trakt ist ein Biosystem und kein Fahrplan. Prof. Dr. Jürgen Pohl

Dieses Interview mit Prof. Dr. Jürgen Pohl ist ein Auszug aus unserem Gesundheit­s-Podcast „Butter bei die Nierchen“. Den Podcast finden Sie unter www.mopo.de/podcast oder bei Ihrem Podcast-Anbieter wie zum Beispiel bei Spotify oder Apple Podcast

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Der Verdauungs­trakt ist insgesamt sieben Meter lang.
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f r : h t o F o Prof. Dr. Jürgen Pohl ist Chefarzt der Gastroente­rologie an der Asklepios Klinik Altona.

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