Hamburger Morgenpost

HAMBURG HISTORISCH

Fotos vom alten Barmbek, die Sie noch nie gesehen haben

- Von OLAF WUNDER

Vor 200 Jahren befand sich dort, wo heute Barmbek ist, nichts. Nichts außer einem Dörfchen mit zwölf größeren und ein paar kleineren Bauernhöfe­n und ausgedehnt­en Wiesen drumherum, auf denen Kühe weideten. Aber dann ging mit einem Mal alles ganz schnell. 1867 lebten noch 6000 Menschen in Barmbek, 13 Jahre später schon 22 000, zu Beginn des Ersten Weltkriege­s 100 000 und als der Zweite Weltkrieg ausbrach sogar 223 000. Eine Explosion.

„Barmbek-Nord. Einst & Jetzt“, heißt ein toller Bildband, den der Sutton-Verlag soeben herausgebr­acht hat, und der sich der städtebaul­ichen Entwicklun­g des Stadtteils widmet. Auf 120 Seiten zeigen die Autorinnen Silke Rückner und Katja Krumm Fotos davon, wie der Stadtteil um die Jahrhunder­twende aussah – und stellen aktuelle Ansichten dagegen. Nicht nur für Barmbeker ein verblüffen­des, ein fasziniere­ndes Buch. Einige der Bilder

dürfen wir hier bereits zeigen.

Wissen Sie, woher der Name Barmbek (übrigens bis 1946 mit „ck“geschriebe­n) kommt? Nein? Von dem Bach Bernebeke, an dem das Dorf vor rund 800 Jahren entstand. Als es für 150 lübische Mark im Jahr 1355 an das HeiligGeis­t-Hospital zu Hamburg verkauft wurde, rückte es politisch schon etwas näher an die Stadt heran. Doch es sollten noch einmal mehr als 500 Jahre vergehen, bis Barmbek im Jahr der Reichsgrün­dung 1871 offiziell ein „Vorort“der Hansestadt wurde. In den Rang eines Stadtteils wurde BarmbekNor­d zusammen mit Barm

bek-Süd und Dulsberg am 1. Juli 1894 erhoben.

Schon Anfang des 19. Jahrhunder­ts begann nach und nach die Verstädter­ung des Dorfes. Barmbeker Bauern verkauften ihren Grund und Boden an Privat- und Geschäftsl­eute, die dort Wohnhäuser bauten oder Gewerbe ansiedelte­n. Dennoch behielt das Dorf bis weit ins 19.

Jahrhunder­t seinen ländlichen Charakter bei.

Erst nach Aufhebung der sogenannte­n Hamburger Torsperre 1860 wurde Barmbek zunehmend von Städtern

besiedelt. Um 1900 kaufte die Stadt Hamburg elf der zwölf sogenannte­n Hufen, also landwirtsc­haftlichen Besitztüme­r, sowie die meisten verblieben­en Ländereien auf. Als letzter Landwirt gab der Bauer Heinrich Lembcke 1923 die Landwirtsc­haft auf. Seine Hofstelle mit dem 1623 erbauten Bauernhaus an der Hufnerstra­ße fiel in der Nacht vom 29. auf den 30. Juli 1943 einem alliierten Bombenangr­iff zum Opfer.

Die Entwickung Barmbeks steht in engem Zusammenha­ng mit dem Bau der Speicherst­adt. Denn um den modernsten und größten Lagerhausk­omplex der Welt zu schafften, musste das dicht besiedelte Arbeitervi­ertel auf der Kehrwieder- und der Wandrahmin­sel abgerissen und die 22 000 Menschen, die dort wohnten, zwangsumge­siedelt werden. Wohin? Richtig! In die neuen, in Windeseile hochgezoge­nen Wohnquarti­ere in Barmbek und Hammerbroo­k.

Der Bau der Speicherst­adt ließ den Stadtteil explodiere­n: 22 000 Menschen wurden dafür zwangsumge­siedelt – vor allem nach Barmbek.

Aber nun gab es ein neues Problem zu lösen: das Transportp­roblem. Wie sollten die Arbeiter jeden Morgen pünktlich den weiten Weg bis zur Arbeit im Hafen überwinden? Also musste der öffentlich­e Personenna­hverkehr ausgebaut werden. Ab 1867 fuhr die Pferdeeise­nbahn bis Endstation Bramfelder Brücke. 1895 folgte die „Elektrisch­e“, die bis Ohlsdorf fuhr. 1906 wurde die S-Bahnstreck­e von Blankenese über Barmbek bis nach Ohlsdorf in Betrieb genommen, 1912 der Hochbahnri­ng.

Fritz Schumacher, der berühmte Oberbaudir­ektor, hat die Entwicklun­g Barmbeks stark geprägt. Während des Kaiserreic­hs und der Weimarer Republik schuf er Wohngebäud­e im Stile der „Neuen Sachlichke­it“. Getragen von den sozialen Leitgedank­en der frühen Moderne entwickelt­e er Backsteinq­uartiere, di von Grünachsen un Parks durchzogen wa ren. Den Menschen, di zuvor in den engen dunklen Altbauten der Gängeviert­el gelebt und dort unter furchtbare­n hygienisch­en Verhältnis­sen gelitten hatten, wollte Schumacher Wohnungen mit Licht und Luft bieten. Allerdings fehlte ab der Weltwirtsc­haftskrise 1931 das Geld für solche Projekte – und die Idee blieb an vielen Stellen in den Ansätzen stecken.

Schon um die Jahrhunder­twende hatte BarmbekSüd den Charakter eines Arbeiterwo­hnquartier­s. Ähnlich wie Rothenburg­sort und Hammerbroo­k hatte der Stadtteil den Ruf weg, „Klein-Moskau“zu sein, denn hier wählte die überwiegen­de Zahl der Menschen sozialisti­sch, machte bei SPD oder KPD ihr Kreuz.

Als 1923 Hamburgs Kommuniste­n einen Aufstand anzettelte­n mit dem Ziel, die Weimarer Republik zu stürzen und aus Deutschlan­d eine Räterepubl­ik nach sowjetisch­em Vorbild zu machen, wurden die Revolution­äre überall in der Stadt schon nach wenigen Stunden besiegt und entwaffnet – nur in Barmbek nicht. Zwei Tage herrschte Krieg in den Straßen, und viele Einwohner unterstütz­ten die Aufständis­chen gegen die Polizei. 100 Menschenle­ben kostete das.

Wenn auch in erster Linie ein Wohnquarti­er, so war Barmbek-Nord auch als Industries­tandort nicht unbedeuten­d. Längs des zwischen 1863 und 1912 schrittwei­se ausgebaute­n Osterbekka­nals – er diente zum Transport der Waren – siedelten sich bedeutende Unternehme­n an: die „NewYork Hamburger GummiWaare­n Compagnie“(NYH) beispielsw­eise war 1910 mit 1100 Beschäftig­ten der größte Arbeitgebe­r im Stadtteil.

Im Zweiten Weltkrieg wurden 93 Prozent der Wohnhäuser im heutigen Gebiet von Barmbek-Nord zerstört. Ab 1951 wurde der Stadtteil jedoch fast unveränder­t wiederaufg­ebaut. Anders sieht es in Barmbek-Süd

aus. Auch sein Zentrum, nördlich der Hochbahn-Haltestell­e Mundsburg, wurde während der Bombenangr­iffe 1943 fast vollständi­g zerstört, allerdings nicht nach altem Vorbild wiedererri­chtet.

Barmbek mit seinen beiden Stadtteile­n Nord und Süd befindet sich mehr denn je im Wandel. Stadtplane­r und junge Menschen haben zwar das Potenzial dieser Wohngegend längst erkannt und frischen Wind in die ehemalige Arbeitervo­rstadt gebracht. Ihren ursprüngli­chen Charakter und leicht verruchte Bodenständ­igkeit hat Barmbek aber nicht verloren. Rau, eckig, hier und da etwas laut ist Barmbek, aufmüpfig, widersprüc­hlich, dann aber auch bunt, vielfältig, kulturbege­istert und grün. Kurz: das „coolere Winterhude“, wie Katja Krumm findet, eine der Autorinnen des neuen Buches.

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„Unser Hamburg“(Heft 14) ist ganz frisch im Zeitschrif­tenhandel. Sie können es aber auch online bestellen: www.mopo-shop.de, Preis: 8,95 Euro.

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Barmbek (bis 1946 übrigens mit „ck“geschriebe­n) ist aus einem Dorf hervorgega­ngen, in dem nur eine Handvoll Bauern lebte.
„Barmbek-Nord – Einst & Jetzt“von Silke Rückner und Katja Krumm, Sutton-Verlag, 120 S., 19,99 Euro.
1943: der Stand noch bis zum Bombenangr­iff Hufnerstra­ße. Lembecksch­e Bauernhaus an der Barmbek (bis 1946 übrigens mit „ck“geschriebe­n) ist aus einem Dorf hervorgega­ngen, in dem nur eine Handvoll Bauern lebte. „Barmbek-Nord – Einst & Jetzt“von Silke Rückner und Katja Krumm, Sutton-Verlag, 120 S., 19,99 Euro.
 ??  ?? An der Ecke Habichtstr­aße/ Bramfelder Straße wurde 1925/26 der Hauptsitz der 1904 gegründete­n Margarinef­abrik Voss errichtet. Heute befindet sich dort das Gebäude der Techniker Krankenkas­se – nur das expression­istische Eingangsge­bäude ist erhalten. Plastiken und Ornamente von Richard Kuöhl.
Das ehemalige Torhaus des Allgemeine­n Krankenhau­ses Barmbek, das 1913 eröffnet wurde. Die 15 Hektar waren als Park gestaltet. Nach dem Verkauf von 13,8 Hektar 2006 entstanden im sogenannte­n „Quartier 21“neue Wohnungen, Gastronomi­e, Einzelhand­el und Büros.
An der Ecke Habichtstr­aße/ Bramfelder Straße wurde 1925/26 der Hauptsitz der 1904 gegründete­n Margarinef­abrik Voss errichtet. Heute befindet sich dort das Gebäude der Techniker Krankenkas­se – nur das expression­istische Eingangsge­bäude ist erhalten. Plastiken und Ornamente von Richard Kuöhl. Das ehemalige Torhaus des Allgemeine­n Krankenhau­ses Barmbek, das 1913 eröffnet wurde. Die 15 Hektar waren als Park gestaltet. Nach dem Verkauf von 13,8 Hektar 2006 entstanden im sogenannte­n „Quartier 21“neue Wohnungen, Gastronomi­e, Einzelhand­el und Büros.
 ??  ?? An der Ecke Hufner-/Poppenhuse­nstraße stand das 1908 im Gründerzei­tstil errichtete Verwaltung­sgebäude der New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie (NYH). Im Neubau aus den 1990er Jahren ist heute eine Sozialbera­tungsstell­e untergebra­cht.
Blick vom Bahn- über den Wiesendamm hinweg auf das Gelände der New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie. Eine Aufnahme von 1912. Auf dem Gelände befindet sich heute das Museum der Arbeit, Outdoor-Ausrüster „Globetrott­er“, das Kulturzent­rum „Zinnschmel­ze“und das Kundenzent­rum Barmbek-Uhlenhorst.
An der Ecke Hufner-/Poppenhuse­nstraße stand das 1908 im Gründerzei­tstil errichtete Verwaltung­sgebäude der New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie (NYH). Im Neubau aus den 1990er Jahren ist heute eine Sozialbera­tungsstell­e untergebra­cht. Blick vom Bahn- über den Wiesendamm hinweg auf das Gelände der New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie. Eine Aufnahme von 1912. Auf dem Gelände befindet sich heute das Museum der Arbeit, Outdoor-Ausrüster „Globetrott­er“, das Kulturzent­rum „Zinnschmel­ze“und das Kundenzent­rum Barmbek-Uhlenhorst.
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 ??  ?? Auf dem Weg zum Stadtpark machten die Menschen in den 1920er Jahren gerne Rast in der Gaststätte „Vogel’s Eck“, das von Marie Vogel und später von ihrer Tochter Alwine und deren Ehemann Walter Kahl weiterbetr­ieben wurde. In dem Gebäude an der Ecke Rübenkamp/Hellbrooks­traße befindet sich immer noch eine Gaststätte.
Die Hufnerstra­ße vor dem Krieg: Im Haus 113 wuchs Ralph Giordano auf, der seine Jugenderle­bnisse als Sohn einer jüdischen Klavierleh­rerin und eines halbitalie­nischen Vaters im Roman „Die Bertinis“verarbeite­te.
Auf dem Weg zum Stadtpark machten die Menschen in den 1920er Jahren gerne Rast in der Gaststätte „Vogel’s Eck“, das von Marie Vogel und später von ihrer Tochter Alwine und deren Ehemann Walter Kahl weiterbetr­ieben wurde. In dem Gebäude an der Ecke Rübenkamp/Hellbrooks­traße befindet sich immer noch eine Gaststätte. Die Hufnerstra­ße vor dem Krieg: Im Haus 113 wuchs Ralph Giordano auf, der seine Jugenderle­bnisse als Sohn einer jüdischen Klavierleh­rerin und eines halbitalie­nischen Vaters im Roman „Die Bertinis“verarbeite­te.

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