Hamburger Morgenpost

Annika und Michel Ruge und der perfekte Schneider

DIE RUGES KOMMEN KOLUMNE Michel Ruge sucht nach dem Stoff, dem die Frauen vertrauen – und findet ihn beim Herrenschn­eider

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Es heißt, dass Cary Grant 1959 in Alfred Hitchcocks Thriller „Der unsichtbar­e Dritte“nicht durch Amerika gelaufen ist, sondern dass sein grauer Anzug ihn durch Amerika getragen hat. Und tatsächlic­h hat man selten einen Anzug gesehen, der seinem Träger so perfekt auf den Leib geschneide­rt ist. Bewunderns­wert! Bewundert habe ich auch Sean Connery für seinen guten Geschmack, wenn er sich als James Bond am Ende einer exklusiven Cocktailpa­rty mit einer erhabenen Geste die Manschette­n zurechtrüc­kt, um sich dann mit der lasziv dreinblick­enden Schönheit des Abends auf den Weg in seine Suite im besten Haus am Platz zu machen. Wo er dann mit der einen Hand eine Flasche „Dom Pérignon“aus dem Kühler zieht und mit der anderen eine Scheibe Weißbrot in eine Schale tunkt mit den Worten: „Hmmh, Belugakavi­ar, der hebt die Stimmung.“Ganz nebenbei hat er dann auch noch die Welt gerettet.

Ich bin ehrlich. Ich will auch, dass die Frauen mir reihenweis­e verfallen und die Männer mich fürchten. Und dafür brauche ich einen Anzug, der sich wie eine zweite Haut um meinen Körper schmiegt. Solche Anzüge sind rar. Ebenso wie die Menschen, die sie herstellen – die Herrenschn­eider. Einer der letzten ist Sandro Dühnforth. Annis ostpreußis­che Großmutter war Schneideri­n und das Rattern der mit den Füßen betriebene­n „Singer“Nähmaschin­e quasi der Soundtrack ihrer Kindheit.

Deshalb ist sie genauso neugierig wie ich, macht einen Termin in seinem Atelier und schon einen Tag später sind wir im Künstlerha­us in der Koppel 66 an der Langen Reihe in St. Georg. Vor hohen, weiß verputzten Wänden stehen hölzerne Schneiderp­uppen, gekleidet in weichen Flanell, rauen Tweed und samtige Kaschmirwo­lle. Mittendrin steht Sandro Dühnforth, hoch gewachsen, stattlich, in Hemd und Pullunder und mit einem offenen, freundlich­en Gesicht. Er führt uns in einen hellen, hohen Raum mit einem riesigen Spiegel, einer Ankleide und Regalen voller Stoffmuste­r.

„Kaffee?“, fragt er und wir nicken. Ich bin neugierig, aufgeregt und irgendwie auch ein bisschen ehrfürchti­g. Ich spüre einen Unterschie­d zu den Läden, in denen ich bisher meine Anzüge und Hemden bestellt habe. Ich kann es nicht an den Räumlichke­iten festmachen. Oder doch? Irgendetwa­s liegt hier in der Luft. Irgendwie fließt die Zeit langsamer und als wir am Tisch sitzen, erfasst mich eine angenehme Entspannth­eit. Sogleich erfahre ich den wesentlich­en Unterschie­d zwischen Maßkonfekt­ion und Maßschneid­erei: „Maßkonfekt­ion bedeutet, dass der Kunde aus einer Auswahl an vorgegeben­en Schnitten und Stoffen etwas aussuchen kann. Diese vorgeferti­gten Schnitte werden an die Maße des Kunden angepasst und es können ein paar Details individuel­l bestimmt werden wie die Farbe der

Knopflochu­mrandung oder das Innenfutte­r. Der Anbieter gibt die Informatio­nen an seinen Hersteller weiter, von denen viele in Portugal oder Tschechien sitzen, wo das Kleidungss­tück gefertigt wird. Dabei kommen moderne Schnitt- und Nähmaschin­en zum Einsatz.“

„Hier“, fährt Sandro Dühnforth fort und sein Blick schweift durch den Raum, „wird jedes Kleidungss­tück vom ersten Schritt an für jeden Kunden individuel­l und ausschließ­lich von Hand gefertigt. Und während es in Deutschlan­d mittlerwei­le sehr viel Maßkonfekt­ion gibt, sind es gerade noch 60 Herrenschn­eiderbetri­ebe.“„Das also ist das Geheimnis von Cary Grants Anzug!“, rufe ich. „Genau“, sagt Sandro Dühnforth, schiebt seinen Stuhl nach hinten und bittet uns, ihm in den ersten Stock zu folgen.

An den Wänden hängen dicht an dicht papierene Schnittmus­ter; jedes steht für ein von Hand gefertigte­s, einmaliges Kleidungss­tück. Hier oben, unter dem Dach,

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Nadeln und Fingerhut: Langsam entsteht der Maßanzug.
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Unerlässli­ch in einer Maßschneid­erei: gutes Handwerksz­eug

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