Hamburger Morgenpost

„Die Kollateral­schäden flößen uns Respekt ein“

INTERVIEW UKE-Chefarzt warnt vor allem vor den Spätfolgen von Corona

- Das Interview führte NINA GESSNER Warum hat sich das geändert? Aber haben nicht die wenigsten Patienten Spätfolgen? Was sind denn die typischen Folgeersch­einungen? Hängt das von der Schwere des Verlaufs ab? Warum dauern die Atemproble­me so lange an? Inwie

Atemnot, Müdigkeit, Gedächtnis­verlust – viele ehemalige Corona-Patienten klagen über diese Spätfolgen. Dr. med. Hans Klose ist Chefarzt der Pneumologi­e am UKE. Er leitet eine Studie zu den Problemen, mit denen viele Genesene auch Monate nach der Infektion noch zu kämpfen haben.

Ist Corona eine Krankheit, die man schon mal durchmache­n kann? So wie eine Grippe?

Ich kann Ihnen sagen, dass sich unsere Einstellun­g als Ärzte dazu klar geändert hat. Wie eine Kollegin von mir es einmal ausdrückte: Im März wollten wir Corona gerne alle durchgemac­ht haben, um dann immun zu sein. Jetzt sagen wir: Das wollen wir auf keinen Fall! Ich habe großen Respekt vor dieser Erkrankung. Corona ist anders als eine Grippe. Der Vergleich führt zu nichts. Das Virus ist ansteckend­er. Dadurch gibt es viel mehr Fälle. Allein durch die Masse an Patienten sehen wir nicht nur mehr Menschen sterben, sondern auch eine große Bandbreite an Spätfolgen. Es gibt einen Akutverlau­f, den die meisten gut überstehen. Aber das, was danach kommt, die Kollateral­schäden, flößen uns Respekt ein. Das muss gut aufgearbei­tet werden.

Ja, wahrschein­lich, aber unsere Studie steht erst ganz am Anfang. Erst in zwei Jahren können wir mehr sagen. Doch selbst wenn nur zwei Prozent mit Post-CovidSympt­omen zu kämpfen hätten – angesichts der enormen Infektions­zahlen bedeutet das eine ungeahnte Belastung für unser Gesundheit­ssystem.

Als Lungenarzt bin ich in die Studie zunächst mit dem Fokus auf die Belastbark­eit der

Lunge gegangen. Viele Patienten haben noch lange Atemproble­me und Schwierigk­eiten, z. B. beim Treppenste­igen. Doch wir führen die Untersuchu­ng in Kooperatio­n mit Psychologe­n und Psychosoma­tikern durch. Es hat sich herausgest­ellt, dass ein ganz zentrales Thema die Lebensqual­ität nach der Krankheit ist. Viele Menschen leiden noch lange unter großer Müdigkeit und

Mattheit. Nicht wenige können sich Dinge nicht mehr merken. Das Kurzzeitge­dächtnis leidet. Es gibt Wortfindun­gsstörunge­n. Auch Depression­en sind ein Thema.

Eher im Gegenteil! Gerade die Leichterkr­ankten haben hinterher eher mit psychische­n Folgen zu kämpfen als die Schwererkr­ankten. Die Schwererkr­ankten haben es vor allem mit körperlich­en Folgen zu tun. Wenn sie lange auf der Intensivst­ation waren, bauen sie Muskeln ab und brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen. Manche werden nie wieder so fit werden wie vorher.

Wir haben eine Auffälligk­eit hinsichtli­ch der Atemmuskel­kraft festgestel­lt. Sie wird normalerwe­ise selten gemessen. Das Coronaviru­s greift die Atemmuskel­kraft an und sorgt für eine länger andauernde Schwäche, selbst wenn der Sauerstoff­austausch längst wieder funktionie­rt. Das Problem: Da kann man leider nichts

Haben Sie Verständni­s für Menschen, die einer Impfung skeptisch gegenübers­tehen?

Es sind sehr viele Falschinfo­rmationen in Umlauf, die Ängste schüren. Meiner Tochter wurde z. B. erzählt, dass die Impfung unfruchtba­r macht. So etwas verbreitet sich dann über die sozialen Medien und ist nicht mehr bremsbar. Als Mediziner rechne ich die potenziell­en Impffolgen gegen die potentiell­en Infektions­folgen. Und dann ist die Antwort sehr einfach. Grundsätzl­ich kann es bei Impfungen zu seltenen Akutfolgen kommen. Eine Reizung an der Einstichst­elle oder eine allergisch­e Reaktion. Die Folgen einer Coronainfe­ktion

sind erhebliche­r. Ich werde mich auf jeden Fall impfen lassen. Nicht, weil ich Angst habe zu sterben. Aber ich will auch nicht drei Monate lang Luftnot und Wortfindun­gsstörunge­n haben.

Skeptiker meinen, der Impfstoff sei viel zu schnell entwickelt und noch nicht lange genug erprobt worden. Man muss die Entwicklun­g des Impfstoffe­s als eine Mammutleis­tung sehen. Noch nie hat es eine so gute Kooperatio­n aus Wissenscha­ft, Medizin, Geldgebern, Industrie und Politik gegeben. Und noch nie zuvor ist ein Impfstoff an einer so großen Zahl an Probanden getestet worden.

Wenn Impfskepti­ker denken, dass die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde (EMEA) oder die amerikanis­che FDA schlampig arbeiten, dann haben sie keine Ahnung. Die Leute, die dort arbeiten, sind gewissenha­ft und genau. Sie sind extrem streng, extrem kritisch, extrem unabhängig. Das sind echte, unabhängig­e Wissenscha­ftler. Jeder Mensch sollte Vertrauen in diese Institutio­nen haben. Glauben Sie, dass Corona unsere gesellscha­ftlichen Umgangsfor­men für immer verändert hat? Ich denke ja, auch wenn wir uns nach Umarmungen und körperlich­em Kontakt sehnen. Z. B. im Bereich der Medizin beim Kontakt zwischen Arzt und Patient wird, von meiner Seite aus, sicherlich der Handschlag zur Begrüßung in Zukunft wegfallen.

Ein ganz zentrales Thema ist die Lebensqual­ität nach der Krankheit. Dr. med. Hans Klose

Nein, sicher nicht komplett. Aber diese Pandemie wird Narben bei uns hinterlass­en, nicht nur körperlich, sondern auch in unserem sozialen Zusammenle­ben und Umgangsfor­men. Und selbstvers­tändlich müssen wir die Ursachen dieser Pandemie analysiere­n und daraus lernen. Und das nicht auf dem Niveau der Schuldzuwe­isungen gegenüber anderen Ländern. Wir müssen uns fragen, inwieweit Massentier­haltung und unser Streben nach immer mehr, höher, schneller und weiter nicht auch dazu beigetrage­n haben, diese Pandemie erst möglich zu machen.

Von meiner Seite aus wird der Handschlag zur Begrüßung künftig sicherlich wegfallen. Dr. med. Hans Klose

 ??  ?? Dr. med. Hans Klose ist Chefarzt der Pneumologi­e am UKE.
Dr. med. Hans Klose ist Chefarzt der Pneumologi­e am UKE.

Newspapers in German

Newspapers from Germany