Hamburger Morgenpost

Neues Jahr beginnt mit Supersturm

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Das neue Jahr macht weiter, wo 2020 aufhörte: mit dem tauben Gefühl, das man kennt, wenn man morgens aus einem bösen Traum erwacht. Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass ein Zirkus aus Trumps Irrlichter­n, dem QAnon-Wikinger und tropfenför­migen Milizionär­en so leicht das Kapitol stürmen könnte. Unterdesse­n wird die CoronaLage bei uns immer dramatisch­er. 1188 Tote in 24 Stunden – doch so richtig scheint das niemanden mehr zu erschrecke­n. Im Dauerbesch­uss mit schlechten Nachrichte­n ging eine Meldung unter: Ein Rekordstur­m, der kurz nach Neujahr über den Nordpazifi­k tobte. 921 Millibar Luftdruck maßen Wetterfors­cher im Inneren dieses „Bombenzykl­ons“. Das ist der niedrigste für diesen Ozean registrier­te Wert und entspricht einem Hurrikan der zweithöchs­ten Kategorie. Einfach erklärt: Je niedriger der Luftdruck, desto stärker der Sturm. Auf dem Ozean wurden Wellen von 16 Metern Höhe gemessen, im Mittelwert, wohl gemerkt. Einzelne Wellen können deutlich größer ausfallen und sind selbst für Supertanke­r eine Gefahr. Von Notfällen wurde im Seegebiet nichts bekannt. Schiffe werden heute von Wetteragen­turen über die Meere gelotst. Kapitäne großer Schiffe sind also rechtzeiti­g ausgewiche­n und Skipper von Fischereib­ooten suchten im Windschatt­en einer Insel Schutz. Die Aleuten sind kaum besiedelt und ihre Bewohner gelten als besonders sturmfest. Was dieses Beispiel aber zeigt, dass die Wetterbedi­ngungen auf See immer extremer werden. Ich habe nachgesehe­n: Das vergangene Jahr begann mit zwei der heftigsten, jemals gemessenen Stürme auf dem Nordatlant­ik und der Warnung vor mehr als 30 Meter hohen Wellen. Fünf Sturmflute­n rollten nach Orkan „Sabine“auf Hamburg zu.

Was das für Seeleute an Bord bedeutet? Für uns Landbewohn­er ist kaum vorstellba­r, was sie mitmachen. Ich dachte an Manfred Schleiff, einen alten Kapitän, der im Süden von Hamburg lebt. Er überlebte im Januar 2000 einen gigantisch­en Sturm mit Windstärke 17 (!) auf dem Nordpazifi­k – und ritt mit seinem Frachter über eine Monsterwel­le. Mitten im Orkan wurde es mit einem Male ganz still, als habe die Natur den Ton abgestellt. Schleiff öffnete das Stahlschot­t an Backbord: tatsächlic­h, kein Windhauch. Und dann ein leises Zirpen, das anschwoll zu einem Geräusch, als schlagen Milliarden Libellen mit den Flügeln. „Ein Surren, ein Sirren, wirklich unheimlich“, erinnert sich Schleiff. Dann sah er diese tiefschwar­ze Wand aus Wasser.

Der Kapitän schaffte es über die Welle. Sie war mindestens 35 Meter hoch, schätzt er. Mit seiner ganzen Erfahrung und einer guten Crew. Die Mannschaft sei wichtig, sagte mir Schleiff: Zusammenha­lt, Miteinande­r, Kameradsch­aft.

Wie wahr, auch für das Meistern einer CoronaMons­terwelle.

 ??  ?? Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründete­n Ankerherz Verlag (www. ankerherz.de). Vorher war er Polizeirep­orter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschrif­ten wie „max“, „Stern“und „GQ“von Uganda bis Grönland. Vor Kurzem erschien sein neues Buch „Kapitäne!“
Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründete­n Ankerherz Verlag (www. ankerherz.de). Vorher war er Polizeirep­orter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschrif­ten wie „max“, „Stern“und „GQ“von Uganda bis Grönland. Vor Kurzem erschien sein neues Buch „Kapitäne!“

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