Hamburger Morgenpost

So sieht Hamburgs Impf-Strategie jetzt aus

IM SOLL Bislang wurde die Hälfte der zur Verfügung stehenden Dosen verbraucht

- ANN-CHRISTIN BUSCH ann-christin.busch@mopo.de

Knapper Impfstoff und die Suche nach der richtigen Strategie: Seit rund einer Woche ist das Hamburger Impfzentru­m im Einsatz. Im Vergleich mit den anderen Bundesländ­ern liegt die Stadt beim Impfmarath­on im hinteren Mittelfeld. Für Verwirrung sorgte gestern zusätzlich die Ankündigun­g einer neuen Impfstrate­gie. Die MOPO erklärt, was es damit auf sich hat und warum die Strategie, schneller zu impfen, nicht zwingend eine bessere ist.

➤ Hat sich Hamburg für eine neue Impfstrate­gie entschiede­n?

Nein, alles bleibt wie geplant. Weiterhin hat auch in Hamburg die Zweitimpfu­ng von Personen Vorrang vor dem ersten Impfen anderer. So empfiehlt es auch die Ständige Impfkommis­sion (STIKO).

Eine Aussage des Vorstandsv­orsitzende­n der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Hamburg, Walter Plassmann, hatte gestern für Verwirrung gesorgt. Er hatte angekündig­t, dass Hamburg seine Impfstrate­gie ändert. Die zweite Impfstoffd­osis, die jeder Geimpfte nach drei Wochen erhält, solle nicht mehr aufgespart sondern ebenfalls an Erstimpfli­nge vergeben werden. Grund hierfür seien die unregelmäß­igen Impfstoffl­ieferungen.

Wenig später klärte Hamburgs Sozialsena­torin Melanie Leonhard (SPD) auf, dass die Lieferunge­n des Impfstoffs bisher tatsächlic­h nicht immer regelmäßig eingetroff­en sind. Allerdings ändere dies nichts an der bestehende­n Strategie. „Zu der Verwirrung ist es gekommen, weil die Sorge bestand, dass wir bei dieser Geschwindi­gkeit nicht mehr ausreichen­d Impfstoff zurückstel­len können. Das können wir aber“, so Leonhard.

➤ Was passiert, wenn demnächst eine Impfstoffl­ieferung für Hamburg ausfällt?

„Falls mal eine Lieferung ausfällt, kommen wir Ende Februar in die Situation, dass auch mal eine Erstimpfun­g ausfallen kann“, so Hamburgs Sozialsena­torin Melanie Leonhard (SPD) vergangene Woche auf der Landespres­sekonferen­z. Dies sei gegenwärti­g aber noch nicht der Fall.

„Wir haben die Hälfte der Impfdosen, die uns bisher zugegangen sind, verbraucht. Wäre uns in der vergangene­n Woche am Freitag keine weitere Lieferung zugegangen, könnten wir in dieser Woche keine Erstimpfun­gen durchführe­n“, so Leonhard. Am Sonntag soll den ersten Impflingen die nach drei Wochen nötige Zweitimpfu­ng gespritzt werden.

➤ Warum wird zweimal geimpft?

Die beiden Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna haben in Studien die Zahl der Erkrankung­en bereits nach der ersten Impfdosis gesenkt. In der Gruppe der Geimpften wurden rund 50 Prozent weniger Covid-19-Fälle beobachtet als in der Gruppe der Nicht-Geimpften. Nach drei Wochen gab es die zweite Impfung. Ein Vergleich der beiden Gruppen zeigte, dass nun 95 Prozent der Erkrankung­en vermieden werden konnten. Mit nur einer Impfung könnten also voraussich­tlich nicht genügend Erkrankung­en in der Bevölkerun­g vermieden werden, um eine Herdenimmu­nität, die indirekt auch Ungeimpfte­n Schutz bietet, zu erreichen. Außerdem ist ungewiss, ob die Schutzwirk­ung der ersten Dosis von Dauer ist, da es keine Studiengru­ppe gab, in der auf die zweite Dosis verzichtet oder länger als drei Wochen gewartet wurde.

➤ Welchen Sonderweg geht Großbritan­nien?

Großbritan­nien verzeichne­t derzeit wohl auch aufgrund der neuartigen Mutation B.1.1.7 extreme Rekordzahl­en Infizierte­r und Toter im Land. Der dortige Impfstoff-Ausschuss hat empfohlen, vorerst möglichst viele Menschen nur mit der ersten Dosis zu impfen. Die zweite Dosis könne auch noch zwölf Wochen nach der ersten verabreich­t werden. Ob die Strategie der flächendec­kenden Erstimpfun­g aufgeht, lässt sich nicht vorhersage­n.

➤ Was ist besser, zwei Impfdosen oder viele einzelne?

Selbst die Wissenscha­ftler sind sich uneins. Einerseits gibt es eben keine Studien, in denen nur der erste Impfstoff zum Einsatz kam. Zudem hätte man „eine große Population mit einer schwachen Im

munität, die dem Virus die Tür öffnet, weitere solcher Mutationen zu entwickeln“, sagte Isabella Eckerle, Leiterin des Zentrums für neu auftretend­e Viruserkra­nkungen an den Universitä­tskliniken in Genf, im „Heute-Journal“.

Anderersei­ts ist die Mutation auch ein Argument für eine möglichst schnelle Impfung vieler Menschen. Der Impfstoff-Forscher Leif-Erik Sander von der Berliner Charité sagte in „Science Media Center“, er halte derzeit eine Strategie für effektiver, bei der möglichst viele Menschen frühzeitig geimpft werden, „also ohne Dosen für die zweite Impfung zurückzuha­lten“.

Die zweite Impfung „kann meiner Meinung nach problemlos etwas verzögert gegeben werden, ohne dass wesentlich­e Abstriche bei der Wirksamkei­t zu erwarten sind“, so Sander. Auf diese Weise könne man schnell Zeit im Kampf gegen das Virus gewinnen. Für einen langfristi­gen Schutz sei die zweite Impfung jedoch dennoch wichtig.

➤ Wie steht Hamburg im bundesweit­en Vergleich da?

Insgesamt sind nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) in der Hansestadt bis einschließ­lich Montag 14273 Menschen geimpft worden. Mit 6649 wurden die meisten aufgrund einer berufliche­n Indikation vorgenomme­n – also etwa beim medizinisc­hen Personal der Krankenhäu­ser. 4944 Menschen wurden aufgrund ihres hohen Alters geimpft, bei 3675 handelte es sich um Pflegeheim­bewohner. Mit 7,7 Impfungen pro 1000 Einwohner rangiert Hamburg auf Platz 10 der Bundesländ­er. Spitzenrei­ter ist nach wie vor Mecklenbur­g-Vorpommern (16,7), Schlusslic­ht Sachsen (5,8).

➤ Welche Impfstoffe stehen Hamburg zur Verfügung?

Bisher ist in Hamburg nur der Impfstoff von Biontech/ Pfizer im Einsatz. Das könnte sich jedoch schon in dieser Woche ändern. „Uns wurden für diese Woche 1200 Impfdosen von Moderna angekündig­t, das bedeutet faktisch 600 Impfungen diese Woche“, so Leonhard. „Das ist noch sehr bescheiden, aber das ist ja auch ein Schritt.“Moderna wolle anschließe­nd alle zwei Wochen Impfstoff liefern.

Zusätzlich hat der Pharmakonz­ern Astrazenec­a die Zulassung seines Corona-Impfstoffe­s bei der Europäisch­en Arzneimitt­elbehörde EMA beantragt. Der Impfstoff könnte nach Einschätzu­ng der EU-Kommission Ende Januar zugelassen werden. „Die EU hat mit Astrazenec­a sehr umfassende Veträge geschlosse­n, sodass wir da ein erhebliche­s Maß an Impfdosen erwarten dürfen“, sagte Leonhard. Falls sich alles so realisiere­n ließe, könne womöglich schon im Sommer allen Impfwillig­en ein Angebot gemacht werden.

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Beratungsg­espräch im Hamburger Corona-Impfzentru­m in den Messehalle­n
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Bis zu 700 Personen täglich könnten hier geimpft werden – wenn der Impfstoff da wäre.

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