Hamburger Morgenpost

Das frustriere­nde Rätsel um die Ansteckung

CORONA Experte: Grundlage für politische Entscheidu­ngen fehlt weiterhin

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BERLIN – Der Prozess ist zäh und er ist frustriere­nd: Trotz seit mehr als zwei Monaten geltender Lockdown-Maßnahmen bleiben die Corona-Fallzahlen hoch – und noch immer ist das Rätsel um die Ansteckung­sorte nicht ausreichen­d gelöst. Die Suche nach Antworten gleicht dem Stochern im Nebel.

In vielen Fällen wisse man noch immer nicht, wo Infizierte sich angesteckt haben, sagte Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Prävention­sforschung und Epidemiolo­gie in Bremen der Deutschen Presse-Agentur. „Einerseits haben wir zwar weniger Kontakte, anderersei­ts wissen wir scheinbar aber trotzdem wenig darüber, wo es gewesen sein könnte.“

Es gebe wenig große Ausbrüche. „Von Infektions­herden kann man nicht wirklich sprechen, eher von einzelnen Kerzen.“In den Lageberich­ten des RobertKoch-Instituts (RKI) ist von einer oft diffusen Ausbreitun­g von Sars-CoV-2-Infektione­n in der Bevölkerun­g die Rede, „ohne dass Infektions­ketten eindeutig nachvollzi­ehbar sind“. Häufungen stünden im Zusammenha­ng mit Alten- und Pflegeheim­en, privaten Haushalten und dem berufliche­n Umfeld. Zu der hohen Inzidenz trügen aber auch viele kleinere Ausbrüche etwa in Kliniken bei.

Zeeb ist zudem unklar, wie stark die wohl ansteckend­ere Coronaviru­s-Variante B.1.1.7 in Deutschlan­d schon verbreitet ist. Der Anteil untersucht­er Proben sei viel zu gering, um Rückschlüs­se darauf zu ziehen. Dass das Sinken der Neuinfekti­onszahlen nur sehr langsam vorankomme, könne aber ein Indiz dafür sein, dass sich das Virus an manchen Stellen verändert habe.

Als Problem sieht der Experte, dass noch immer nicht genügend Menschen im Homeoffice blieben. Anders als im Lockdown im Frühjahr hätten viele große Betriebe noch offen, so der Epidemiolo­ge. „Das führt dazu, dass viele Menschen unterwegs sein müssen.“

Kai Nagel, Leiter des Fachgebiet­s Verkehrssy­stemplanun­g und Verkehrste­lematik an der TU Berlin, sagte dem „Tagesspieg­el“, im Frühjahr hätten die Menschen den Lockdown praktisch vorweggeno­mmen und die Menge ihrer Aktivitäte­n außer Haus um 40 Prozent reduziert, noch bevor die Regierung das anordnete. Zum Jahresende hin sei es umgekehrt gewesen: „Die Maßnahmen griffen ab Mitte Dezember, und davor gab es hektische Betriebsam­keit.“

Zur Situation in den Schulen sagt der Experte: „Wenn die Schulkinde­r wirksame Masken tragen und jeweils nur jeden zweiten Tag in die Schule kommen würden, wäre ihr Anteil an den Infektione­n so gering, dass er keine Rolle mehr spielen würde.“

Klar sei, dass die Grundlagen für politische Entscheidu­ngen verbessert werden müssten, betonte Hajo Zeeb. „Wir können unsere Entscheidu­ngen noch nicht gut begründen, auf Grundlage von Daten“, so der Forscher. „Wir wissen nicht mal hinterher, was ausschlagg­ebend gewesen ist.“Weil die Pandemie noch Monate anhalten werde, sei es wichtig, gemeinsam festzuzurr­en, welche Daten man erheben wolle und wie diese intelligen­t interpreti­ert werden können. Das laufe bisher viel zu lückenhaft und uneinheitl­ich.

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Im Bus, in der Uni, im Supermarkt? Wo genau wir uns mit Corona anstecken, ist noch nicht abschließe­nd geklärt.
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Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Prävention­sforschung

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