DIE BAR-IKONE VOM KIEZ
Wie Betty Kupsa mit dem „Chug Club“eine Oase schuf:
Eine Knolle, ein Kurzer. Dazu dröhnende Party-Hits und grölende Party-Kids. Das findet man auf dem Kiez zu normalen Zeiten an jeder Ecke. Eine Bar mit abgeklebten Fensterscheiben, gedämpfter Musik und Verbot für Junggesellenabschiede – das muss man schon suchen. Mit „The Chug Club“an der Taubenstraße hat Betty Kupsa eine Oase für Cocktailbar-Besucher geschaffen. Die 43-jährige Wirtin mit der Leidenschaft für Tequila gilt als Bar-Ikone des Kiezes. Nicht ohne Grund: Ihr Laden wurde bereits als „Beste Bar des Jahres“, sie selber als „Gastgeberin des Jahres“ausgezeichnet.
Es gibt Menschen, die betreten einen Raum, und – zack! – ist er erfüllt. Betty Kupsa ist so eine Erscheinung. Mit ihrem lauten Lachen. Der Stimme, die sich vor Begeisterung überschlägt. Und ihrer herzlichen, warmen Art. Dass sie die Bar-Ikone von St. Pauli genannt wird, schmeichelt der Frau mit dem Bob-Haarschnitt, den rot geschminkten Lippen und tätowierten Armen. Aber es scheint ihr auch ein wenig unangenehm. Sich selber feiern – nicht ihre Art. Die Bar und deren Gäste sind es, um die es der Wirtin geht.
Trinken mit Stil. Und Ruhe. Das ist es, was der „Chug Club“bieten soll. Und das ist auch der Grund, warum die Scheiben mit Kirchenfenster-Folien zugeklebt sind. „Trinken ist etwas ganz Intimes und braucht Privatsphäre. Der Laden hier ist aber komplett verglast. Da würde ständig jemand von hinten gucken“, sagt Betty. Durch das Abschotten gibt es eine natürliche Selektion, die der Wirtin ganz gelegen kommt. Touristen-Horden und Junggesellenabschiede verirren sich in der Regel nicht in ihre Bar. Und wenn doch, müssen sie den Laden wieder verlassen. „Die sollen gerne ihren Spaß haben, aber 15 besoffene Engländer stören hier einfach nur. Das ist ein Ort der Entspannung.“
Zu Betty kommen viele Stammgäste, Kulinarik-Touristen, Nachbarn und Gastro-Kollegen. Und wenn sie nicht gerade arbeitet, kommt die Chefin auch gerne selber mal als Gast. „Aber nie, wenn ich sehr betrunken bin. Der Wirt darf nicht besoffener als seine Gäste sein. Das geht nicht“, sagt die lachende Chefin, die darauf achtet, mindestens drei alkoholfreie Tage in der Woche zu haben.
Das Besondere der Bar: Betty und ihr Team arbeiten viel mit „Infusionen“. Klingt nach Krankenhaus. Gemeint ist, dass Aromen zum Beispiel aus Früchten oder Kräutern gezogen und mit Schnaps versetzt werden. Aus den unterschiedlichsten Mixturen werden die Cocktails kreiert. Wie Thymian-Tequila mit
Das ist gerade eine brutale Zeit. Aber ich will glücklich sein und bin bereit, dafür zu kämpfen.
Holunderblütenlikör, weißem Schokoladensirup, Limette und Birnenschaum. Wen das überfordert, der bestellt einfach den „Chug Flight“, drei wechselnde Mini-Cocktails – sozusagen das „Überraschungs-Menü“der Bar. Oder auch mal ein Zwibie – Zwischenbier.
Die Kreationen sind Sache des gesamten Teams. Jeder kreiert Cocktails. Und jeder ist für alles zuständig. Vom Mixen bis hin zum Putzen. Es gibt keine festen Barkeeper, Küchen- oder Servicekräfte. „Wir wechseln uns ab. Dadurch überlegt man sich drei Mal, ob man den Barkeeper abfuckt, weil er ein bisschen länger mit den Getränken braucht. Am nächsten Tag kann man in der gleichen Situation sein.“Der Rollentausch gilt auch für die Chefin. „Niemand muss etwas machen, was ich selber nicht bereit bin zu tun“, sagt Betty und denkt kurz nach. Ach ja, eine Sache gibt es doch. „Kotze wegmachen.“Das kann sie einfach nicht. Zu ekelhaft. Normalerweise auch nicht nötig. Dass ein Gast sein Innerstes nach außen kehrte, kam erst ein einziges Mal vor.
Jeder macht alles – hört sich nach einem fairen Konzept an. Es stellt die Chefin allerdings bei der Personalsuche vor Probleme. Insbesondere Männer wollen häufig nur an der Bar arbeiten. Aber das gibt es im „Chug Club“nicht. Betty hat ihre Prinzipien – wenn auch nicht viele. Sie liebt es, Chefin zu sein und eigene Entscheidungen zu treffen. „Ich male mir Dinge aus und die müssen dann genau so sein.“Dabei kommt es aber immer wieder vor, dass es sich die Wirtin spontan anders überlegt. Ihr Team weiß genau, was sie meint, wenn Betty sagt: „Ich fühle es nicht mehr.“Dann wird alles wieder umgeworfen. Egal wie viel Arbeit bereits drinsteckt. Diese Freiheit und Unabhängigkeit ist das, was sie glücklich macht.
Und ihre große Leidenschaft: der Tequila. Dabei waren die ersten Erfahrungen mit der Spirituose eher abstoßend. Verschwitzte Hand ablecken, gekühlten Kurzen runterkippen, in Zitrone beißen. „Das ist für den Magen tödlich. Und am nächsten Tag war es der böse Tequila“, sagt Betty und schüttelt den Kopf. „Nein, nein, nein. So ist das aber nicht.“Begeistert hält sie einen Vortrag über die Vorzüge des Tequila, der eigentlich eine gesunde Spirituose sei und sich unter anderem positiv auf den Blutzuckerspiegel auswirke.
Die Bar-Chefin berichtete von der Agavenart, aus der Tequila gewonnen wird. „Diese göttliche Pflanze wächst fünf bis sieben Jahre in mexikanischer Erde, unter mexikanischer Sonne. Da braut sich eine Power zusammen.“Betty ist voller Leidenschaft. Sie berichtet von Tequila, wie andere von ihren Kindern. „Ja, weil ich keine Kinder habe. Und das war auch noch nie ein Thema für mich. Ich feiere meine Freiheit.“
Kinder und Chefin einer Bar – das sei ohnehin nur schlecht vereinbar. Betty arbeitet hauptsächlich nachts. Genauso wie ihr Mann. Er ist Produzent und Musiker in der Punk-Band Der Wahnsinn. Im „Roschinsky’s“auf dem Hamburger Berg, wo Betty jahrelang gearbeitet hat, lernten sich die beiden kennen. Er kam gerade von einem Auftritt und hatte seine Gitarre lässig umgeschnallt. Das überzeugte die Wirtin, die eigentlich Bettina heißt. Das hört sie aber nicht gerne. „Meine Mutter war die Einzige, die mich so genannt hat. Sie hat das echt bis zu ihrem Tod durchgezogen“, sagt die Frau in dem schwarzen Kleid kopfschüttelnd. Und es wirkt, als könne sie es noch immer nicht fassen.
Zu Betty wurde sie erst 1995. Damals. Als sie noch in einer „schönen, aber langweiligen“Kleinstadt nahe Graz in Österreich lebte. In den Sommerferien kam Betty das erste Mal nach Hamburg – weil eine deutsche Band sie auf ein Konzert eingeladen hatte. Die Frau er
Betty Kupsa
innert sich noch genau daran, wie sie in ihren ersten Laden auf dem Kiez stolperte: „Rosis Bar“. Schon da nahm St. Pauli sie gefangen. Nach dem Abitur zog sie in ihre erste eigene Wohnung.
Vom österreichischen Dorf auf den Hamburger Berg. Eine krasse Veränderung. Für Betty war es Ankommen. Hamburg. Heimat. „Ich liebe es hier. St. Pauli ist für mich wie eine Kleinstadt, wo jeder jeden kennt. Hier kommt so viel Unterschiedliches zusammen.“Trotzdem: Nach etlichen Jahren ist die 43-Jährige in eine Wohnung an der MaxBrauer-Allee gezogen. „Das war mir irgendwann zu krass auf St. Pauli. Morgens aufwachen, Hauseingang vollgepisst, über drei Alkoholleichen krabbeln. Das wollte ich nicht mehr.“
Ihre Bar würde sie allerdings nirgendwo anders haben wollen. Ein Handschlag. Ein Lächeln. Ein Kompliment. Betty vermisst den Betrieb in ihrem Laden. Langweilig ist ihr während des Lockdowns aber nicht. Sie kümmert sich um ihr neues Baby. „Lupita“. Ein roter Margarita mit mexikanischen Hibiskusblüten, Orangenlikör und Zucker. „Von mir per Hand abgefüllt“, sagt die Frau stolz und zeigt auf die Flasche mit dem Bild eines lachenden Frauen-Skeletts, das ihren Bob-Haarschnitt trägt.
Auf die Idee, einen Drink auf den Markt zu bringen, kam die Bar-Chefin, als Gäste immer wieder fragten, ob sie ihnen Cocktails für zu Hause abfüllen könne. „Das geht aus hygienischen Gründen natürlich nicht.“Deshalb gibt es „Lupita“jetzt online. Und freitags in ihrem Shop neben dem Laden. Da wird Betty zur Verkäuferin. Das macht ihr Spaß. Aber lieber noch wäre sie wieder Wirtin. „Das ist gerade eine brutale Zeit. Aber ich lasse mich nicht unterkriegen. Ich will glücklich sein und bin bereit, dafür zu kämpfen.“Betty lacht. Der Kampf um ihr Glück scheint längst gewonnen. Trotz aller Umstände.