Hamburger Morgenpost

GETÖTET FÜR 320 MARK

Tatort-Serie: Der Tod von Inge D. schockiert­e Hamburg.

- Von THOMAS HIRSCHBIEG­EL

Das kleine Geschäft an der Brahmsalle­e 24 in Harvestehu­de war ein Tante-EmmaLaden wie aus dem Bilderbuch. Und Inge D. stand hinterm Tresen. Sie hatte für jeden einen lieben Schnack, und wer am Monatsende klamm war, der durfte anschreibe­n lassen. Am 12. April 1985 dann wurde die damals 55-Jährige Opfer eines Räubers. Der 23 Jahre alte Dieter Gurkasch prügelte die Frau nieder und sprang ihr mit Springerst­iefeln an den Füßen auf den Kopf. Sie starb drei Wochen später im UKE. Der Täter erbeutete 320 Mark (160 Euro).

Karl-Heinz Köpcke (†68) war einer der vielen zufriedene­n Kunden von Inge D., der legendäre Chefsprech­er der „Tagesschau“moderierte die Nachrichte­nsendung von 1959 bis 1987. In dem Lädchen im Schatten der Grindelhoc­hhäuser kaufte er jahrelang seinen Kaffee, gelegentli­ch auch ein belegtes Brötchen. Genau wie alle anderen Stammkunde­n war Köpcke 1983 geschockt, als er erfuhr, dass Inge D. Opfer eines Überfalls geworden war: Ein Räuber hatte sie mit einem Messer bedroht und Geld gefordert. Doch weil die Kauffrau damals laut um Hilfe geschrien hatte, war der Täter geflüchtet – unerkannt und ohne Beute.

Zwei Jahre später, am Freitag, den 12. April 1985, geschah dann das Schrecklic­he: Die Mordkommis­sion rekonstrui­erte anschließe­nd, dass Inge D. noch gegen 16.30 Uhr beim nahen Bäcker telefonisc­h Brötchen bestellte. Nur Minuten später betrat Dieter Gurkasch den Tante-Emma-Laden. Er drohte mit einem Gasrevolve­r und forderte Geld. Was dann genau geschah, ist unklar. Schrie Inge D. wieder um Hilfe? Brutal prügelte der Mann die 55-Jährige nieder. Dann stieg Dieter Gurkasch auf einen Absatz und sprang – mit schweren Stiefeln an den Füßen – auf den Kopf der Frau.

1986 sagte er vor dem Richter: „Ihr Gewimmer ging mir auf den Sack.“Vor Gericht gab der Verbrecher den knallharte­n Gangster. Ein Kripomann schilderte, dass Gurkasch auch in der Vernehmung „absolut eiskalt“gewesen sei. Ein weiterer Zeuge bestätigte das. Der Täter dazu vor Gericht:

„Wie er das so erzählt, bin ich ja ein schrecklic­h böser Junge.“Der vom Gericht bestellte psychiatri­sche Gutachter ordnete das Verhalten des Totschläge­rs ein: „Er will durch sein Auftreten sein schwaches Ich übertünche­n.“Gurkasch hatte ihm gesagt, dass die Eltern ihn nie in den Arm genommen hätten. Weiter erklärte er, er habe in den Zügen der wimmernden Kauffrau seine Mutter wiedererka­nnt. Das Urteil: 13 Jahre Haft.

1988 sägte Gurkasch in „Santa Fu“ein Gitter durch

und brach zusammen mit zwei weiteren Häftlingen aus. Schon nach 24 Stunden wurde er wieder gefasst, 1996 dann vorzeitig aus der Haft entlassen. Eine Strafvolls­treckungsk­ammer stellte fest: „Es ist nicht zu erwarten, dass Gurkasch weitere Straftaten begeht.“Falsch! 1997 geriet er im U-Bahnhof Lutteroths­traße mit einer Gruppe Jugendlich­er in Streit. Er zog eine 16-schüssige Pistole vom Typ „Glock“und feuerte. Niemand wurde verletzt. Der 35-Jährige flüchtete.

Als die Polizei ihn schließlic­h noch in Eimsbüttel stellte, eröffnete Gurkasch mitten im Wohngebiet das Feuer. Kugeln schlugen in mehrere Wohnungen ein. Als das Magazin der „Glock“leer geschossen war, griff er noch zu einer mehrschüss­igen Schrotflin­te und feuerte weiter auf Polizisten. Die stoppten ihn schließlic­h durch einen Schuss in die Brust.

Das Urteil: zwölf Jahre Haft. Ende 2011 kam er frei.

2012 äußerte sich der heute 59-Jährige gegenüber der MOPO zum Mord an Inge D.: „Das war monströs, ich war ein Monster.“Gurkasch hatte im Knast Yoga gelernt und lehrt heute selber. Mit „Leben reloaded“hat der Ex-Häftling ein Buch geschriebe­n, im TV trat er als geläuteter Verbrecher auf. Im MOPO-Gespräch sagte er damals, er könne verstehen, wenn man ihm die Wandlung nicht abnehme. „Nach 25 Jahren Knast bin ich natürlich kein normaler Mensch. Aber ich habe meine Wut zu Trauer werden lassen. Ich werde nie mehr Straftaten begehen.“

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Dieter Gurkasch (59) 2012 bei einer Yoga-Übung an der Alster
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Die schwer verletzte Inge D. (55) wird zum Rettungswa­gen gebracht. Anwohner schauen betroffen zu.

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